Neueste Nachrichten aus Ärgersheim

Ach, das Knie­bänk­chen! Zwar soll, kann und darf in ei­nem zeit­ge­mä­ßen Mu­se­um so man­ches vir­tu­ell sein. Aber dass in der so­ge­nann­ten Schatz­kam­mer des neu­en Bay­reu­ther Wag­ner­mu­se­ums vor der Vi­tri­ne der ori­gi­na­len „Tristan“-Partitur kein An­dachts­mö­bel ste­hen wird, ist arg. Oder nicht? Sven Fried­rich, der zu­stän­di­ge Ar­chiv- und Mu­se­ums­di­rek­tor, ist im Um­gang mit der­lei Fra­gen ge­stählt: „Iro­nie ist der ein­zig mög­li­che Zu­gang zu Wagner.“

Das zu glau­ben, fiel den be­geis­ter­ten Zu­hö­rern bei sei­nem Vor­trag beim Ri­chard-Wag­ner-Ver­band im Ho­tel Bam­ber­ger Hof am 1. Juni 2015 auf­fal­lend leicht. Denn der Chef des Mu­se­ums, das am 26. Juli of­fi­zi­ell wie­der­eröff­net wird, er­läu­ter­te die mit Im­pon­de­ra­bi­li­en al­ler Art ge­spick­ten Re­stau­rie­rungs­ar­bei­ten, Neu- und Ein­bau­ten in und um Ri­chard Wag­ners Vil­la Wahn­fried mit so viel dras­ti­schen Wor­ten, Es­prit, trau­ri­gen Wahr­hei­ten und Witz, dass zwei Stun­den wie im Flug vergingen.

Eine der frü­hes­ten Fo­to­gra­fien der Ein­gangs­front der Vil­la Wahn­fried aus dem Win­ter 1874/75 mit der noch pro­vi­so­risch auf­ge­stell­ten Mar­mor­büs­te Lud­wigs II. Foto: Ri­chard-Wag­ner-Mu­se­um Bayreuth

Nicht um­sonst be­gann und en­de­te Fried­rich mit kul­tur­po­li­ti­schen Aus­sa­gen. Sät­ze wie „Kein Po­li­ti­ker wird ge­wählt, weil er kul­tu­raf­fin ist“ und „De­mo­kra­tie heißt, man muss aus­hal­ten, dass stets Leu­te ent­schei­den, die nichts von der Sa­che ver­ste­hen“ ver­deut­lich­ten, dass selbst, nein ge­ra­de das Wag­ner-Mu­se­um in Bay­reuth stän­dig kämp­fen muss. Un­ter an­de­rem, weil Wag­ner mit sei­nem ideo­lo­gi­schen Kunst­an­spruch und sei­nem An­ti­se­mi­tis­mus nicht ge­ra­de at­trak­tiv ist für welt­weit ope­rie­ren­de po­ten­zi­el­le Spon­so­ren. Im­mer­hin muss Fried­rich jetzt sei­ne Kol­le­gen vom Hein­rich-Schütz-Haus in Bad Kös­tritz bzw. Wei­ßen­fels nicht mehr be­nei­den. Denn es wur­de eine Lö­sung ge­fun­den, wie und wo man den „un­ap­pe­tit­li­chen Wag­ner“ un­ter­bringt: im un­mit­tel­bar an­gren­zen­den und in den Mu­se­ums­kom­plex ein­be­zo­ge­nen Siegfried-Wagner-Haus.

Das neue, in­zwi­schen mit Kos­ten von rund 20 Mil­lio­nen Euro fast fer­tig ge­stell­te Ri­chard-Wag­ner-Mu­se­um Bay­reuth in Wahn­fried und ei­ni­gen Ne­ben­ge­bäu­den, soll – wie anno 1874 beim Ein­zug Wag­ners in die Vil­la in ex­klu­si­ver Stadt­rand­la­ge – ein So­li­tär sein un­ter den Kom­po­nis­ten-Mu­se­en. Und kein „Är­gers­heim“, wie Ri­chard und Co­si­ma Wag­ner ihr künf­ti­ges Zu­hau­se be­zeich­ne­ten, als es mit viel Dif­fe­ren­zen, Miss­ver­ständ­nis­sen und Pan­nen er­rich­tet wur­de. So no­tier­te Co­si­ma am 23. De­zem­ber 1873 in ihr Ta­ge­buch: „Wir ge­hen nach­mit­tags aus, nach Är­gers­heim, wie wir das Haus nen­nen, da be­stän­dig ir­gend et­was Ver­fehl­tes oder Ver­ges­se­nes sich uns dar­in entdeckt.“

Haus Wahn­fried mit Ne­ben­ge­bäu­den und Vor­gar­ten mit der im Juli 1875 auf­ge­stell­ten Büs­te Lud­wigs II. von Cas­par Cle­mens Zum­busch. Foto: Ri­chard Wag­ner Museum

Bau­ge­schicht­lich zog das na­tür­lich al­ler­hand nach sich. Wag­ners ei­ge­ne Gruft und ei­ni­ge Ne­ben­ge­bäu­de gab es da schon, das ur­sprüng­lich klei­ne Sieg­fried-Wag­ner-Haus er­fuhr ab den 1890er Jah­ren meh­re­re Ver­grö­ße­run­gen, Um- und An­bau­ten, wäh­rend das so­ge­nann­te Gärt­ner­haus im­mer­hin bis 1935 fast un­ver­än­dert blieb. Was sonst noch bau­lich pas­sier­te, wird The­ma der ers­ten Son­der­aus­stel­lung in dem von Vol­ker Sta­ab ent­wor­fe­nem Neu­bau sein, der vom Gärt­ner­haus nach hin­ten tief in den Gar­ten führt.

Auch we­gen die­ses mo­der­nen Neu­baus gab es be­kannt­lich al­ler­hand Är­ger, soll­te doch dort zu­nächst das Mu­se­ums­ca­fé un­ter­ge­bracht wer­den, was in Hin­blick auf die nahe lie­gen­de Grab­stel­le im Gar­ten Iris Wag­ner auf den Plan brach­te. Die in­zwi­schen ver­stor­be­ne Wag­ner-Ur­en­ke­lin en­ga­gier­te sich im Stif­tungs­rat un­ter an­de­rem auch da­für, dass die Wohn­räu­me Wi­nif­red Wag­ners im Sieg­fried-Wag­ner-Haus ein ge­schicht­lich pas­sen­der Teil des Mu­se­ums wer­den sollten.

Laut Sven Fried­rich war bei der ge­sam­ten Pla­nung die Au­then­ti­zi­tät eine der zen­tra­len Fra­gen. Denn die Vil­la Wahn­fried wur­de im April 1945 durch Bom­ben so stark zer­stört, dass auf ih­rer Gar­ten­sei­te nur ein klei­ner Teil der ori­gi­na­len Fas­sa­de noch er­hal­ten ist. „Die Zeit­läuf­te ge­hö­ren bei sol­chen Über­le­gun­gen dazu. Der Zu­stand von 1945 ist schließ­lich auch au­then­tisch!“ Dass die nach der Grün­dung der Ri­chard-Wag­ner-Stif­tung 1973 re­stau­rier­te und 1976 als Mu­se­um wie­der­eröff­ne­te Vil­la un­ter Denk­mal­schutz ge­stellt wur­de, sei aus heu­ti­ger Sicht nicht mehr nachvollziehbar.

Im neu­en Wahn­fried, wo Le­ben und Werk Wag­ners im Zen­trum ste­hen, bleibt also nicht al­les beim Al­ten. Re­kon­stru­iert wur­den im Erd­ge­schoss die Raum­scha­len, das heißt, De­cken, Wän­de, Bö­den und das Trep­pen­haus sind so wie­der­her­ge­stellt, wie es etwa 1881/82 war. Hier soll Wag­ners Le­bens­welt sicht­bar wer­den. „Wir ha­ben ab­ge­lehnt, Mo­bi­li­ar nach­zu­bau­en, denn das ent­wer­tet al­les Ori­gi­na­le.“ Statt­des­sen gibt es mit Hus­sen über­deck­te Stell­ver­tre­ter, so als ob die Fa­mi­lie ge­ra­de wie­der nach Ita­li­en ge­reist wäre.“ Kein his­to­ris­ti­sches Wag­ner-Dis­ney­land also: „Was alt aus­sieht ist ori­gi­nal und be­fin­det sich an der rich­ti­gen Stel­le, die Co­si­ma-Por­träts hän­gen nicht an der Wand, son­dern ste­hen auf Staf­fe­lei­en. Aber die Kron­leuch­ter sind modern.“

Im Ober­ge­schoss und den nied­ri­gen Zwi­schen­ge­schos­sen kann man sich aus­führ­li­cher mit Le­ben und Werk aus­ein­an­der­set­zen, in Vi­tri­nen gibt es Ex­po­na­te zu Wag­ners Bio­gra­fie von Leip­zig 1813 bis Ve­ne­dig 1883, nicht zu ver­ges­sen ein Stamm­baum die­ser „ob­sku­ren Fa­mi­lie, bei der man sich stets fragt, wer mit wem ver­hei­ra­tet ist und war­um.“ Im Un­ter­ge­schoss ist die sa­kral in­sze­nier­te Schatz­kam­mer mit der Dresd­ner Bi­blio­thek und der „Tristan“-Partitur, wo man nach­voll­zie­hen kann, wie sys­te­ma­tisch Wag­ner ar­bei­te­te – von der ers­ten In­spi­ra­ti­on zum Stoff über ers­te mu­si­ka­li­sche Skiz­zen bis hin zur fer­ti­gen Partitur.

Wag­ner als Klang­tep­pich gibt es in Wahn­fried nicht. Nur bei Kon­zer­ten im Saal wird auch sei­ne Mu­sik er­klin­gen. Wer mehr hö­ren will, muss in den Neu­bau, zur in­ter­ak­ti­ven Par­ti­tur und den vie­len Hör­ni­schen, wo man un­ter an­de­rem „Bir­git Nils­son hö­ren kann, bis der Arzt kommt“. Im Erd­ge­schoss mit sei­ner Glas­fas­sa­de ist ein gro­ßer Aus­stel­lungs- und Mehr­zweck­saal so­wie der Mu­se­ums­ein­gang, im Un­ter­ge­schoss ein klei­nes Kino, denn Wag­ner ist der „God­fa­ther der Film­mu­sik“, und als Dau­er­aus­stel­lung mit fünf gro­ßen Kos­tüm­vi­tri­nen, Büh­nen­bild­mo­del­len und Tech­nik-Ex­po­na­ten die Fest­spiel- und Inszenierungsgeschichte.

Das in den 1890er Jah­ren er­bau­te Sieg­fried-Wag­ner-Haus ist der Ort, wo der ideo­lo­gi­sche Wag­ner ab­ge­han­delt wird: „Es geht nicht, Hit­ler, der hier mit Fa­mi­li­en­an­schluss ein- und aus­ging, bei­sei­te zu las­sen. Wahn­fried konn­te was für sei­ne Zer­stö­rung“, so Fried­rich. „Hier ist sym­bol­träch­tig der Spreng­stoff auf sei­nen Ur­sprungs­ort zu­rück­ge­fal­len.“ Die von Hit­ler­freun­din Wi­nif­red Wag­ner im Geist der Zeit aus­ge­stat­te­ten Räu­me aus den 1930er Jah­ren sprä­chen für sich, In­for­ma­tio­nen dazu lie­fer­ten Tex­te, Bil­der und Fil­me auf Block­mo­ni­to­ren – eine „na­tio­nal­so­zia­lis­ti­sche Geis­ter­bahn“. Bleibt nur noch an­zu­mer­ken, dass Sven Fried­rich in ei­ner frü­he­ren Pha­se an die­ser Stel­le die Mu­se­ums­gas­tro­no­mie ein­ge­plant und für Ir­ri­ta­tio­nen ge­sorgt hat­te, als er in ei­nem In­ter­view da­von sprach, dass man „mit Brat­würs­ten das Sieg­fried-Wag­ner-Haus hu­ma­ni­sie­ren könne“.

Haus Wahn­fried und der von Vol­ker Sta­ab ent­wor­fe­ne Neu­bau mit Glas­fas­sa­de, der vom ehe­ma­li­gen Gärt­ner­haus aus tief in den Wahn­fried-Gar­ten führt. Ent­wurf­fo­to: Büro Sta­ab / Ri­chard-Wag­ner-Mu­se­um Bayreuth

Das Mu­se­ums­ca­fé wird jetzt im frü­he­ren Gärt­ner­haus zu fin­den sein, öf­fent­lich nicht zu­gäng­lich sind die neu­en De­poträu­me, in de­nen dank der ein­ge­bau­ten Sau­er­stoff­re­du­zier­an­la­ge kei­ne Brand­ge­fahr mehr be­steht und der Käl­te we­gen auch Un­ge­zie­fer aus­bleibt. Über das dem Mu­se­um an­ge­schlos­se­ne Na­tio­nal­ar­chiv der Ri­chard-Wag­ner-Stif­tung sprach der Di­rek­tor nur am Ran­de. Aus gu­tem, är­gers­heim­li­chem Grund: „Na­tür­lich hät­ten wir ger­ne die Nach­läs­se von Wi­nif­red, Wie­land und Wolf­gang Wag­ner. Aber wir müs­sen in der Lage sein, das Ma­te­ri­al auch zu er­schlie­ßen und zu­gäng­lich zu ma­chen. Da­für fehlt uns das Per­so­nal – und das Geld. Die­se Si­tua­ti­on ist Pro­dukt ei­ner po­li­ti­schen Entscheidung.“

Wei­te­re In­for­ma­tio­nen auf der Home­page des Mu­se­ums und des Frän­ki­schen Tags