Adventskalender 1871 (18)

R. sieht „sehr gut und herr­lich schön“ aus und er­zählt Co­si­ma trotz an­stren­gen­der Pro­ben für das Mann­hei­mer Kon­zert von ei­nem Traum, in dem er sie „zer­küsst“ habe.

Emil He­ckel, Gast­ge­ber der Wag­ners in Mann­heim, mit sei­ner Frau Ma­rie – Vor­la­ge: Jun­ges MARCHIVUM

Mon­tag 18ten [De­zem­ber 1871] Nicht ge­schla­fen, doch hei­ter; R. sieht sehr gut und herr­lich schön aus. Ers­te Pro­be; Miß­ver­gnü­gen, Leu­te ha­ben nicht ge­ges­sen, wol­len die A dur Sym­pho­nie[1] lie­ber nicht pro­bie­ren; Ah­nung, daß dies [das] letz­te Kon­zert sei, das R. di­ri­gie­re.[2] Im Ho­tel de l’­Eu­ro­pe[3] sehr schö­ne Woh­nung; Di­ner mit R. al­lein; nach Tisch Be­such von Bo­nin Re­den-Es­beck[4], Un­ga­rin, in Szegs­gard ge­se­hen, die an ei­nen Ba­ri­to­nis­ten in Mann­heim ver­hei­ra­tet ist. Dann Frl. Reis[5]. Abends Pro­be, Zau­ber­flö­ten­ou­ver­tü­re und A dur Sym­pho­nie – un­be­schreib­li­cher Ein­druck – lei­der Mme Ser­off[6] sich bei mir ge­setzt, was R. sehr är­gert. Trä­nen, daß un­ser Zu­sam­men­sein in den Tö­nen durch sol­che Frat­zen ge­stört wer­den kann! An­kunft von Pr. Nietz­sche[7], der förm­lich von Ba­sel fort­ge­lau­fen. – Ges­tern er­zähl­te mir R. von ei­nem Traum, den er in Bay­reuth ge­habt, er habe mich ge­se­hen und ich hät­te so glän­zen­de Zäh­ne ge­habt wie Opal, er habe mich da „zer­küßt“. – Nach je­der Pro­be R. zu Bett, weil so angegriffen.

[1] Nr. 7, op. 92 von Beethoven.

[2] Da hat sie sich Gott sei Dank getäuscht.

[3] Emil He­ckel, der Vor­sit­zen­de des Mann­hei­mer Wag­ner­ver­eins, hat­te für die Wag­ners eine Suite im Ho­tel de l’Europe re­ser­viert, in „un­se­rem bes­ten Ho­tel, das zu­gleich still ge­le­gen ist“, an der al­ten Ha­fen­ein­fahrt mit Blick auf den Rhein. Wag­ner hat­te Ende No­vem­ber um ein Wohn­zim­mer und zwei Schlaf­zim­mer mit drei Bet­ten ge­be­ten, als noch ge­plant war, dass Co­si­ma mit ih­rer Toch­ter Da­nie­la kom­men würde.

[4] Bei der Ba­ro­nin könn­te es sich um Ka­ro­la von Re­den-Es­beck, geb. Döry von Jobaha­za (1842–1925) han­deln, die un­ga­ri­sche Frau von Fried­rich Jo­hann Frei­herr von Re­den-Es­beck (1842–1889), dem Au­tor des 1879 er­schie­ne­nen Deut­schen Bühnen-Lexikons.

[5] Anna Reiss (1836–1915), eine be­deu­ten­de Mann­hei­mer Mä­ze­na­tin und bis 1870 auch Kam­mer­sän­ge­rin in Dres­den, Schwe­rin und Weimar.

Anna Reiss – Vor­la­ge: Wi­ki­me­dia Commons

[6] Va­len­ti­na Se­rov (1849–1924), of­fen­bar we­nig ge­schätz­te Wit­we des im Ja­nu­ar 1871 ver­stor­be­nen, von Wag­ner mensch­lich hoch­ge­schätz­ten rus­si­schen Kom­po­nis­ten und Kri­ti­kers Al­ek­san­dr Serov.

[7] Der da­ma­li­ge Haus­freund Fried­rich Nietz­sche stieg eben­falls im „Eu­ro­päi­schen Hof“ ab.

Quel­len: Co­si­ma Wag­ner: Die Ta­ge­bü­cher: Band I, S. 1578. Di­gi­ta­le Bi­blio­thek Band 107: Ri­chard Wag­ner: Wer­ke, Schrif­ten und Brie­fe, S. 34739 (vgl. Co­si­ma-Ta­ge­bü­cher 1, S. 468); Ri­chard Wag­ner: Sämt­li­che Brie­fe, Band 23 (hg. v. An­dre­as Miel­ke); Anja Gil­len: Von Feu­er­zau­ber und Grals­ge­sang. Emil He­ckel und Ri­chard Wag­ner in Mannheim.

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