Unser Mitglied Jochen Neurath hat Heiner Müllers „Quartett“ veropert. Sein nonoise-Projekt und das ArtEast-Theater präsentieren das Stück ab 6. Mai in sechs Vorstellungen in der Johanniskapelle.
Wo man singt, dort lass dich nieder, heißt es im Volksmund, denn böse Menschen kennen keine Lieder. Mit der Inszenierung von Heiner Müllers „Quartett“ stellt das Projekt nonoise in Zusammenarbeit mit dem ArtEast-Theater diese alte Gewissheit in Frage. Die konzertante Aufführung von Müllers zugänglichstem Stück inszeniert diese Dialoge einer toxischen Beziehung als szenische Kammermusik und zeigt auf, wie das Böse zur Stimme und ins Reden kommt. Die Vertonung des Bamberger Komponisten Jochen Neurath feiert am 6. Mai 2022 in der Johanniskapelle am Oberen Stephansberg Premiere.
Das ehemalige Liebespaar und jetzige Duo infernale Merteuil und Valmont befindet sich geistig im Salon vor der Französischen Revolution, also in den Abendstunden des Absolutismus, und physisch in einem Bunker nach dem dritten Weltkrieg, also am Morgen nach dem Abfall von der die Vernunft feiernden Aufklärung. Das ist der zeitliche Rahmen, den Heiner Müller seinem Stück gab, als er es 1980 mit Blick auf den Zerfall und die Verkommenheit der DDR schrieb. Die gesellschaftliche Gegenwart ist für Müller bloß eine dunkle Nacht zwischen Verführung und Begehren, Lustbefriedigung und Selbstausbeutung, Machtspiel und Machtmissbrauch zweier Verzweifelter.
Grundlage des Stückes ist der 1782 erschienene Skandalroman „Gefährliche Liebschaften“ des Franzosen Choderlos de Laclos. Darin wird uns der seelische Verfall einer von ihrer eigenen Lust gelangweilten adeligen Gesellschaft vorgeführt. Die beiden Protagonisten machen sich einen zerstörerischen Spaß daraus, andere zu verführen und dadurch deren gesellschaftliche oder gar physische Existenz zu vernichten. Am Ende haben Merteuil und Valmont in ihrem Bunker nur noch sich selbst zur gegenseitigen Zerstörung.
„Ausgebeutet wird alles, was zu Praktiken und Ausdrucksformen der Freiheit gehört wie Emotion, Spiel und Kommunikation.“ Was wie eine Beschreibung des gemeinen Spiels zwischen Merteuil und Valmont klingt, hat der Philosoph Byung-Chul Han über unsere Gegenwart geschrieben. Lösen sich schon bei Müller die Konturen der Figuren in ihrer gegenseitigen Vernichtung auf, geht der Jochen Neurath noch einen Schritt weiter: Er vertont den Text als Kammermusik für vier Stimmen, konzertant dargeboten, als Oper ohne szenische Vorgänge. Die Handlung löst sich in die Stimmen von Danielle Cîmpean, Eugeniya Ershova, Alexandra Kaganowska sowie Cornelia Morgenroth auf und wird so ganz in die Imagination der Zuschauer verlegt. Aller Zynismus und alle Grausamkeit der Figuren überträgt sich hier durch ihre Sprache.
„Es ist nicht effizient, jemand gegen seinen Willen auszubeuten“, heißt es bei Han weiter. „Erst die Ausbeutung der Freiheit erzeugt die höchste Ausbeute.“ Befinden wir uns im Moment näher am Salon vor der Französischen Revolution oder am Bunker nach dem dritten Weltkrieg? Wie wollen wir leben und wie reden wir miteinander?
Erstmals zu erleben am 6. Mai. Weitere Aufführungen am 7., 8., 13., 14. und 15. Mai. Gespielt wird das Stück in der Johanniskapelle am Oberen Stephansberg 7a. Beginn ist jeweils um 19.30 Uhr. Der Eintritt kostet 14 Euro (ermäßigt 8 Euro). Karten gibt es im Vorverkauf in den Buchläden Collibri und Herr Heilmann, hier noch der Link zu einem aktuellen Interview mit Jochen Neurath über das außergewöhnliche Projekt.
Ähnliche Beiträge
- Nachricht aus Stille 21. April 2023
- Neuraths nonoise-Projekt 14. Januar 2020
- „Wer die Schönheit angeschaut mit Augen“ 22. März 2024
- Silbrige und kaum hörbare Klanglichkeit 8. April 2019
- Berganza-Preis für Neurath & nonoise 22. November 2022