Die Bamberger Symphoniker unter Jakub Hrůša präsentierten eine Kurzversion von Wagner „Ring“. Die Aufführung am Montag, 30. Mai, in der Konzerthalle lief nicht rund – aus mehreren Gründen.
Gott sei Dank bin ich weder die rebellische Walküre Brünnhilde, die sich ihrem vor Wut schäumenden Vater Wotan stellen muss, noch der ZDF-Reporter Nils Kaden, der Samstagnacht mit negativen Fragen seinen Interviewpartner Toni Kroos aus dem Siegestaumel der Champions League riss. Sondern eine Kritikerin, die beim Symphonikerkonzert am Montag merkwürdigerweise immer wieder Parallelen zum Fußballgeschehen in Paris fand.
Das fing schon im Vorfeld an. Der Auftakt zu den drei Wagner-Sonderkonzerten am letzten Mittwoch, wo der vielversprechende Versuch gemacht wurde, sich mit Texten und Bildern von der klassischen Konzertstruktur zu lösen, war für die Verhältnisse der Bamberger Symphoniker schlecht besucht. Eine rechtzeitige gezielte Werbung wurde versäumt, Wagnerverbände aus der Region erhielten erst zwölf Tage vor dem ersten Termin Infos zu der außergewöhnlichen Konzertreihe.
Dabei dürfte Intendant Marcus Axt nicht entgangen sein, dass ausverkaufte Auditorien seit dem Pandemiegeschehen Seltenheitswert haben. Um den Saal besser zu füllen, gab es für das zweite Konzert Sonderkontingente an Freikarten, unter anderem für Musikstudenten. Irgendetwas muss dabei schief gelaufen sein, denn es gab Doppelbelegungen, was zu Staus und Warteschlangen auch im Saal führte – und wie in Paris zu einem verspäteten Beginn.
Immerhin sorgten die Studenten, die umsonst im Wagnerklang baden durften, am Schluss für ungewohnte, durchaus positiv gemeinte Pfiffe und lautstarken Jubel. Sie waren hörbar geflashed. Und stehende Ovationen scheinen in der momentanen Nach-Corona-Zeit ohnehin Standard zu sein. Wer endlich wieder ein richtiges Konzert miterleben darf, ist einfach dankbar. Bin ich natürlich auch, allerdings mit Einschränkungen.
Zum einen liegt das an den von Lorin Maazel zusammengestellten Auszügen der Tetralogie. Die Musik zu „Der Ring ohne Worte“ ist original, widerspricht aber schon durch das Fehlen des Gesangs und der fließenden Übergänge dem, was der Dichterkomponist Richard Wagner mit seinem Werk bezweckte.
Zudem sind die siebzehn chronologischen Szenen vom „Rheingold“-Vorspiel bis zum Finale der „Götterdämmerung“ arg blechlastig, verstärken damit das Klischee von der schrecklich lauten Wagnermusik, die doch auch ganz anders sein kann. Nämlich samtweich und leise. Diesen Part übernahmen am Montag vor allem die phänomenalen Streicher – und der Schauspieler („Babylon Berlin“) und Träger des Iffland-Ringes Jens Harzer als Sprecher, der den Titel des Stücks gekonnt ad absurdum führte.
Ob dieses Wagner-Potpourri als Appetizer oder Einstiegsdroge für Anfänger funktioniert, vermag ich nicht zu beurteilen. Die zusätzlichen Texte waren aber sicher nicht nur für Wagnerianer ein Gewinn. Alex Ross, der amerikanische Autor des inspirierenden Wälzers „Die Welt nach Wagner“, der auch die Einführung bestritt, hatte sie sinnig ausgewählt. Nietzsche und Thomas Mann kennen viele, aber Willa Cather und Charlotte Teller sicher nicht.
Als gesprochene Ouvertüre kam als erste Cosima Wagner zu Wort, die am 17. Juli 1869 in ihrem Tagebuch festhielt: „Von der Wellenbewegung im Rheingold sagt R., es sei gleichsam das Wiegenlied der Welt.“ Was musikalisch leider nicht ganz glückte, denn gleich zu Beginn zeigten die stark geforderten Blechbläser fast alle Nerven – mit Ausnahme von Carsten Duffin, der souveränen „Aushilfe“ vom BR-Symphonieorchester für das spätere Siegfried-Horn aus dem Off.
Sogar der Chefdirigent war nicht immer Herr der Lage. Die zügigen Tempi, die Jakub Hrůša den Musikern vorgab, konnten nicht immer exakt gehalten werden, an zwei Stellen flog kurz alles auseinander. Das kann man als Kleinigkeit abtun, aber es entspricht nicht dem Selbstverständnis der Symphoniker.
Auf Spitzen-Niveau musizierten beziehungsweise agierten durchgehend nur die Streichergruppen und Rezitator Jens Harzer, dessen Stimme zuweilen androgyn, ja mädchenhaft zart klang. Sein Vortrag des Alternativtextes von Brünnhildes Schlussmonolog berührte letztlich mehr als die entsprechende Musik, weil in Lorin Maazels Version die Kraft, die Energie und Entschlossenheit einer echten Brünnhilden-Stimme im Gesamtklang eben fehlt.
Trotzdem war nach fast eineinhalb Stunden – Wagners ungekürzte „Ring“-Tetralogie dauert ohne Pausen und je nach Dirigat zumeist etwas mehr als vierzehn Stunden – der Jubel groß. Wollen wir hoffen, dass das gestrige Gastspiel in München ohne Pannen und Patzer gelingen konnte, wollen wir hoffen, dass für das attraktive Sonderkonzert zum Stummfilmklassiker am Samstag noch viele Karten verkauft werden. Wollen wir auch hoffen, dass diese Konzertreihe nur der Vorbote einer kommenden kompletten konzertanten Wagner-Aufführung der Bamberger Symphoniker sein möge. Denn dass sie das hervorragend können, war zuletzt unter Jonathan Nott zu erleben, mit der unvergesslichen „Ring“-Aufführung, die im Wagner-Jubiläumsjahr 2013 auch in Luzern gastierte und international Beachtung fand. Champions League eben.
Erstveröffentlichung der Kritik im Kulturteil des Fränkischen Tags vom 1. Juni 2022
Worte zum „Ring ohne Worte“
Die Texte wurden von Alex Ross zusammengestellt
und werden wie folgt gelesen:
Cosima Wagner: „Die Tagebücher“
Von der Wellenbewegung im Rheingold sagt R., „es sei gleichsam das Wiegenlied der Welt.“
Friedrich Nietzsche: „Richard Wagner in Bayreuth“
Im Ringe des Nibelungen ist der tragische Held ein Gott, dessen Sinn nach Macht dürstet, und der, indem er alle Wege geht, sie zu gewinnen, sich durch Verträge bindet, seine Freiheit verliert, und in den Fluch, welcher auf der Macht liegt, verflochten wird.
George Bernard Shaw: „Ein Wagnerbrevier“
Welches sind nun die Kräfte in der Welt, die Alberich, unserm Zwerg, in seinem neuen Charakter des geschworenen Plutokraten zu widerstehen vermögen? Er ist am Werke, die Macht des Goldes geltend zu machen …
Willa Cather: “The Song of the Lark”
Die kalten, imposanten Takte der Walhalla verklangen, weit entfernt; die Brücke des Regenbogens spannte sich dumpf pochend durch die Luft, darunter erklangen die Klagen der Rheintöchter… Thea war in eine Dämmerwelt versunken … So hörte sie zum ersten Mal diese sich immer aufs Neue verfinsternde und wieder aufleuchtende Musik, die sie durch so viele Jahre ihres Lebens begleiten sollte.
Thomas Mann: „Wälsungenblut“
Siegmund sah ins Orchester. Der vertiefte Raum war hell gegen das lauschende Haus und von Arbeit erfüllt, von fingernden Händen, fiedelnden Armen, blasend geblähten Backen … Ein Schmerz war in Siegmunds Brust, ein Brennen oder Zehren, irgend etwas wie eine süße Drangsal — wohin? wonach? …. Er fühlte zwei Worte: Schöpfertum … Leidenschaft.
Richard Wagner: „Die Walküre“
Wenn blinde Gewalt
trotzig und wild
rings zertrümmert die Welt,
wer trägt einzig
des Unheil’s Schuld,
als Wotan, Wüthender, du?
Schwache beschirm’st du nie,
den Starken steh’st du nur bei.
Charlotte Teller: “The Cage”
Sie fühlte, wie sie sich bewegte, kämpfte, atemlos, um immer weiter nach oben zu kommen … sie fühlte sich stark und lebendig, rittlings auf einem Pferd der Walhall (…) Nur eine Kriegerin, eine Walküre, konnte einen Mann in der Heimstadt der Götter einführen.
Elfriede Jelinek: „ReinGold“
Der Augen leuchtendes Paar, das oft ich lächelnd gekost, wenn Kampfeslust ein Kuß dir lohnte, Kind … Das Feuer, das gar keins ist, ich nenn es nur so. Und so kehr ich, ein Gott, mich von dir ab. Und geh, ein Gespenst, gehe um in Europa oder wo ich halt bin. Ich weiß es nicht. Ich gehe. Ich kann ja überallhin gehen. Es gibt keine Grenzen.
Alexander Blok:
„Kunst und Revolution“ (1918)
Wagner lebt und er ist immer noch neu. Wenn die Revolution in der Luft zu klingen beginnt, klingt die Kunst Wagners als Antwort …
„Der Zusammenbruch des Humanismus“ (1919)
Er ist Rufer und Beschwörer des alten Chaos .…
„Verse von der schönen Dame“ (1904)
Der Horizont flammt auf – ist unerträglich klar, / Und schweigend warte ich – voll Sehnsucht, stumm und bang.
Virginia Woolf: “Dalloway”
Menschen dürfen keine Bäume fällen. Es gibt einen Gott. Verändere die Welt. Niemand tötet aus Hass. Gib es kund. Er wartete. Er lauschte. Ein Sperling, der auf dem gegenüberliegenden Zaun saß, tschirpte vier- oder fünfmal Septimus, Septimus, und fuhr fort, frisch und durchdringen zu singen, mit langgezogenen Tönen, in griechischen Worten, es gebe kein Verbrechen … es gebe keinen Tod.
George Bernard Shaw: „Ein Wagnerbrevier“
Der Knabe Siegfried … kennt kein anderes Gesetz, als seine eigene Laune … Er ist eine total unmoralische Persönlichkeit, ein geborener Anarchist, das Ideal Bakunins, eine Vorahnung des Nietzscheschen „Übermenschen“. Er ist ungeheuer stark, voller Leben und Lust, gefährlich und unheilbringend, wenn er etwas nicht mag, und zärtlich, wenn er etwas liebt.
T. S. Eliot: “The Waste Land”
Der Fluss schwitzt
Öl und Teer
Die Kähne treiben
Mit wechselnden Gezeiten
Roten Segeln
Weiten
Im Wind,
schwingend an der Spiere schwer.
Die Kähne spülen
Treibende Scheiter
Nach Greenwich hinunter
Über die Hunds-Insel weiter.
Weialala leia
Wallala leialala
James Joyce: “A Portrait of the Artist as a Young Man”
Willkommen, O Leben! Ich gehe, um zum millionsten Mal der Wirklichkeit der Erfahrung entgegenzutreten und auf dem Amboss meiner Seele das ungeschaffene Gewissen meiner Rasse zu schmieden … Urvater, alter Kunstwerkmeister, leiste mir deine guten Dienste, jetzt und allezeit …
Walter Rathenau: „An Deutschlands Jugend“
Es ist immer jemand da, Lohengrin, Walther, Siegfried, Wotan, der alles kann und alles schlägt, die leidende Tugend erlöst, das Laster züchtigt und allgemeines Heil bringt … Ein Widerschein dieses Opernwesens zeigte sich in der Politik, selbst in Wortbildungen, wie Nibelungentreue. Man wünschte, daß jedesmal von uns das erlösende Wort mit großer Geste gesprochen werde, man wünschte, historische Momente gestellt zu sehen, man wollte das Schwert klingen und die Standarten rauschen hören.
Richard Wagner: „Das Rheingold“
Traulich und treu
ist’s nur in der Tiefe:
falsch und feig ist was dort oben sich freut!
Willa Cather: “A Wagner Matinée”
Die Flut der Töne ergoss sich immer weiter; ich wusste nicht, was sie in ihrem strahlenden Strom entdeckte; ich wusste nicht, wohin sie getragen wurde, oder an welchen glückseligen Inseln vorbei, oder unter welchen Himmel. Aus dem Beben in ihrem Gesicht konnte ich wohl annehmen, dass der Trauermarsch sie zumindest bis dorthin getragen hatte, wo Myriade von Gräbern sind, hinaus zu den grauen Grabstätten des Meers, oder in eine noch unermesslichere Welt des Todes, wo von Anbeginn der Welt die Hoffnung bei der Hoffnung ruht, der Traum beim Traum, und der Welt entsagend schlief sie ein.
Richard Wagner: Alternativtext für Brünnhildes Schlussmonolog in „Götterdämmerung“:
Aus Wunschheim zieh‘ ich fort,
Wahnheim flieh‘ ich auf immer
Des ew’gen Werdens
Off’ne Thore
Schließ‘ ich hinter mir zu …
Trauernder Liebe
tiefstes Leiden
schloß die Augen mir auf:
enden sah ich die Welt. –
P.S. Der Tippfehler im Leserbrief zu meiner FT-Kritik von Dr. Helmuth Jungbauer aus München (der früher in Bamberg unter anderem FT-Geschäftsführer, Vorsitzender der Freunde der Bamberger Symphoniker und auch Mitglied bei uns war), hat mir ein neues Lieblingswort beschert: Horn- und Wagnerstubenabteilung!
P.P.S. Hier der Link zur Kritik aus der Süddeutschen Zeitung zum gelungenen Gastspiel in München mit der noch s-losen Wagnertubenabteilung.
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