Mit der „Götterdämmerung“ rundet sich die „Ring“-Neuinszenierung von Valentin Schwarz und seinem Team noch nicht. Das Premierenpublikum antwortete mit einem Buhorkan.
Ganz ehrlich: In meinem langen Wagnerleben ist es mir noch nie passiert, dass ich am Ende einer „Götterdämmerung“ völlig ungerührt von dem Geschehen war, ja selbst die Musik mich nicht überwältigt, sondern kalt gelassen hat. Das lag nicht nur daran, dass Regisseur Valentin Schwarz womöglich auf diese Desillusionierung aus war. Der „Ring“-Schluss am Freitag war leider auch musikalisch ein Debakel, der Buhorkan groß.
Doch besser erstmal der Reihe nach. Der 1. Akt beginnt wieder mit einer Überraschung: Was im Original auf dem Walkürenfelsen spielt, ist jetzt im Zwillingskinderzimmer (Bühne: Andrea Cozzi) verortet. An die Stelle der Wonnemond-Kindheitserinnerungen von Siegmund und Sieglinde tritt zunächst der Albtraum eines kleinen Mädchens, dem hinzuerfundenen Kind von Brünnhilde und Siegfried.
Märchenhaft-gruselig mit überlangen Fingernägeln die silbrigen Nornen (Kostüme: Andy Besuch), dazu wehen Unheil kündend die Gardinen. Siegfrieds saloppe Kleidung ähnelt farblich den früheren bayerischen Polizeiuniformen, meint aber dessen Verbundenheit zur nicht mehr vorhandenen Natur, während die sorgende Mutter und Hausfrau Brünnhilde sich in bürgerlichem Boutiquenchic gefällt.
Auch in einer toxischen Familiensaga darf Weihnachten nicht fehlen. Die dekadenten Gibichungen haben noch nicht mal alle Geschenke ausgepackt, aber ausgiebig gefeiert. Der Baum wird gerade entsorgt, das peinliche Porträt von der jüngsten Safari ist aufgehängt im vormaligen Walhall, wo als zeitgenössisches Kunstwerk auch ein Baumstamm installiert ist.
Gutrune wäre nur eine aufgedonnerte Tussi, ließe sie nicht ihre Machtgelüste am wiederum reichlichen Personal aus. Gunther ist ganz schwer durchgeknallt, auf seinem T-Shirt funkelt „Who the fuck is Grane?“ als rhetorische Frage. Wir wissen ja schon, dass das nicht Brünnhildes Pferd ist, sondern ihr Leibdiener (Igor Schwab). Ihm wird an diesem Abend unsägliches Leid widerfahren. Die Gewaltexzesse in Wagners „Ring“ kulminieren schockierend in dem, was Hagen der zusätzlichen Nebenfigur antut.
Hagen, immer noch im gelben T-Shirt, mal die Kappe, mal den Schlagring zur Hand, ist fast schon ein alter Mann. Eher unauffällig, aber entschieden und brachial führt er den in seiner Kindheit wurzelnden Rachefeldzug an. Sein erster Kidnapper und Ziehvater Alberich sitzt ihm noch im Nacken, selbst beim Boxtraining zwischen himmelhohen und matten Glaswänden.
Der 2. Akt ist ein ästhetischer Bruch in der Inszenierung. Der Chor in schwarzen Kutten und bestückt mit roten Stabmasken wirkt wie eine gedrillte Wotan-Sekte, beim Einzug des Paars, dem Speereid ohne Speer und bei der Mordverabredung, die endlich mal nicht im kleinteiligen, sondern im tiefen, offenen Bühnenraum stattfindet, stechen im Nebel das pinkfarbene Brünnhildenkostüm und das umhergestoßene Kind ins Auge.
Der 3. Akt spielt wieder vor der fast schon romantischen Naturkulisse, mit der alles begonnen hat, allerdings sieht man nur noch einen kleinen Ausschnitt davon. Anstelle des Planschbeckens ist jetzt ein großes, tiefes, marodes Sprungbecken zu sehen, in dessen verbliebener Pfütze Siegfried seiner Tochter das Angeln beibringen will.
Jetzt geht es dem sukzessiv um Kinder und Erben erweiterten Wotan-Clan endgültig an den Kragen. Leider kulminieren hier die Schwachpunkte der Neuproduktion, der Showdown ist mit Logikfallen und Sackgassen gespickt. Sowohl konzeptuell als auch handwerklich ist die Regie am Ende. Es tut fast weh zu sehen, welche Verstiegenheiten ernst gemeint sein wollen und doch nur hilflos, ja lachhaft wirken, die Lichtinstallation à la Fisches Nachtgesang und das Video zweier sich umarmender Föten inklusive.
Schlimmer noch gibt es auch musikalisch keinen Trost, denn nicht nur bei ihrem Schlussgesang ist Iréne Theorin als Brünnhilde stimmlich inzwischen schlichtweg eine Fehlbesetzung. Warum gingen im Festspielhaus nicht schon letztes Jahr die roten Lampen an, bei der von Hermann Nitsch gestalteten „Malküre“, als sich ihr übermäßiges Vibrato wie Mehltau über den farbenfrohen Abend legte? Es hätte der Sängerin das Buhgejaule erspart, das das Premierenpublikum gnadenlos auch ihr entgegendonnerte.
Bejubelt wurden hingegen drei Solisten, die das Szenische bewundernswert um- und auch stimmlich Glanzlichter setzen: die Hügel-Neulinge Elisabeth Teige (Gutrune) und Wotan-Einspringer Michael Kupfer-Radecky (Gunther) sowie der altgediente „Ring“-Recke Albert Dohmen (Hagen). Auch Christa Mayer (Waltraute) zählt zu den Stützen des Ensembles, ein markanter Neuling ist Olafur Sigurdarson (Alberich). Und noch ein Debüt: Clay Hilley sprang kurzfristig als wackerer Siegfried ein.
Der musikalischen Umsetzung unter Cornelius Meister darf letztlich keine hohe Messlatte angelegt werden: Der Dirigent in diesem Einspringer-„Ring“ hatte zu wenig Proben, um mit dem wegen Corona aufgestockten und zweigeteilten Festspielorchester, mit den Solisten und Choristen sofort auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Aber sicher werden er und die Musiker mit jeder Vorstellung in den zwei weiteren Zyklen zulegen. Ob 2023 der ursprünglich vorgesehene Pietari Inkinen übernimmt, bleibt abzuwarten.
Bayreuth war und ist der richtige Ort, um diese ungewöhnliche, ernüchternde, nicht immer leicht zu lesende und zuspitzende Neu- und Umdeutung der Figurenkonstellationen in Wagners „Ring“ zu wagen. Valentin Schwarz und sein Team haben mit ihrer „werkimmanenten Überschreibung“ viel Bedenkenswertes vorgelegt, sollten aber dem Publikum nicht nur mit diversen Einführungstexten entgegenkommen.
Die gegebene Text-/Bildschere ist keineswegs per se inakzeptabel, sondern deshalb, weil die Ersatz- und Zusatzrequisiten das Verständnis unnötig erschweren. Ein Schwert ist nun mal ein Schwert – und weder ein Leuchtobjekt in Pyramidenform mit Pistole noch ein aus einem Krückstock gezogener Spadi. Die konzeptuelle Behauptung, der Ring sei ein in mehreren Generationen hinzuerfundenes Kind, wird sabotiert, wenn Fafner einen realen Schlagring trägt, der weiter wandert. Es gibt also noch viel zu tun in der Werkstatt Bayreuth.
Kommentar: Bayreuth ist nichts für Anfänger
Nein, diese Überschrift spielt nicht auf „Ring“-Regisseur Valentin Schwarz an, der wie einst der junge Patrice Chéreau die Chance nutzen sollte, seine Neuinszenierung zu überarbeiten. Gemeint ist das Publikum. Dass die mit Promis garnierte „Tristan“-Premiere nicht wenige Bayreuth-Neulinge anlockte, war nicht zu übersehen. Etliche kamen fast zu spät, brachten Unruhe ins Parkett und waren noch laut, als die Musik längst spielte. Ganz zu schweigen vom Handy-Gepolter. Das Wagnermuseum hat die Benimm-Lücke erkannt und bietet für Einsteiger einen pfiffigen Schnellkurs, wie man einen Tag am Grünen Hügel (üb)erlebt. Dass auch eingefleischte Hügelpilger sich daneben benehmen, zeigte sich in den „Ring“-Premieren, die schon von der Spieldauer her nichts für Anfänger sind. Buhrufe gegen die Regie sind Opern- und Festspiel-Alltag, aber ist die deutlich spürbare Wut der sich gesellschaftlich hochstehend wähnenden Bildungsbürger angemessen? Und haben jene, die selbst Solisten ausbuhen, nicht verstanden, dass es kaum eine komplexere und vulnerablere Höchstleistung gibt als die von Sängerdarstellern?
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