Was ist das für eine Welt?

Mit „Sieg­fried“ hat­te am 3. Au­gust der vor­letz­te Teil der „Ring“-Neuinszenierung von Va­len­tin Schwarz im Fest­spiel­haus Pre­mie­re. Die Buh­ru­fer üb­ten schon mal für ihr letz­tes Gefecht.

Drinks gibt’s im 2. Akt für alle: für den Wald­vo­gel (Alex­an­dra Stei­ner), den Schla­ge­tot Sieg­fried (An­dre­as Schager), den Möch­te­gern-Gift­mör­der Mime (Ar­nold Be­zu­y­en) und den hier hin­zu­er­fun­de­nen Ha­gen (Bran­ko Buch­ber­ger) mit Schlag­ring. Sze­nen­fo­tos: © Bay­reu­ther Festspiele/​Enrico Nawrath

Mime ist in mei­ner „Rheingold“-Kritik et­was un­ter­ge­gan­gen, ob­wohl er eine mei­ner wagner’schen Lieb­lings­fi­gu­ren ist. Umso grö­ßer sein Ge­wicht in „Sieg­fried“. Hier zeigt sich  ein­drück­lich, dass die­ser Ni­be­lun­ge, an­ders als sein Bru­der, Kin­der ein­fach auch mag. Der ban­ge Ge­dan­ke, dass in Al­be­richs Hort se­xu­el­ler Kin­des­miss­brauch im Spiel sein könn­te, hat sich mir nicht be­stä­tigt. Zwar in­stru­men­ta­li­siert Al­be­rich sei­nen kurz­zei­ti­gen Zieh­sohn Ha­gen im „Rhein­gold“ ge­zielt für sei­ne Ra­che- und Macht­spie­le, in­dem er den of­fen­bar hoch­be­gab­ten, nicht nur den Zau­ber­wür­fel vir­tu­os be­herr­schen­den, wo­mög­lich au­tis­ti­schen Jun­gen auf Ge­walt trimmt. Und auch Mime miss­braucht jetzt Sieg­fried für sei­ne Plä­ne. Aber die Schwarz­al­ben in die­ser Ma­cho-Welt sind we­nigs­tens kei­ne Päderasten.

Mime (Ar­nold Be­zu­y­en) im Zau­ber­man­tel mit sei­nen selbst ge­bas­tel­ten Pup­pen, dar­un­ter der klei­ne Ha­gen (links).

Mime ist ein Möch­ter­gern-Ma­gi­er mit Ster­nen­man­tel und Zau­ber­hut, der Zieh­sohn Sieg­fried und et­li­chen selbst ge­bas­tel­ten Pup­pen in sei­ner ver­siff­ten Bude im­mer wie­der et­was bie­ten möch­te. Zum an­ste­hen­den Kin­der­ge­burts­tag hat so­gar ein Trep­pen­haus­fens­ter zum Kas­perl­thea­ter um­funk­tio­niert. Der 1. Akt spielt üb­ri­gens in Hun­dings Hüt­te, über die na­tür­lich die Zeit­läuf­te ge­gan­gen sind. Der ent­wur­zel­te Baum­rie­se und die Fa­mi­li­en­fo­tos un­ter dem Si­che­rungs­kas­ten sind ver­schwun­den, es gibt ei­nen Trep­pen­lift und eine wei­te­re Trep­pe, ein klei­nes Aqua­ri­um, eine Mi­kro­wel­le. Und die Schieß­schei­ben im frü­he­ren Bü­gel­zim­mer sind ga­ran­tiert nicht nur Deko.

Die Räum­lich­kei­ten (Büh­ne: An­drea Coz­zi) ha­ben in die­ser Te­tra­lo­gie eine ei­ge­ne Ge­schich­te. Sie zie­hen sich wei­ter, ver­än­dern sich von der Per­spek­ti­ve her und im Zeit­rah­men, wan­deln – wie so man­ches Re­qui­sit – ihre Be­deu­tung. So­bald Sieg­fried auf­tritt, wird der Abend eher un­ge­müt­lich. Es liegt Ge­walt in der Luft, und zwar nicht wenig.

Der lang­haa­ri­ge und wie sein „Göt­ter­va­ter“ trink­freu­di­ge Jun­ge mit Sur­vi­val-Wes­te ist kein Fein­mo­to­ri­ker. Doch selbst er hat eine für­sorg­li­che, fast lie­ben­de Sei­te, wenn er Mi­mes Mor­gen­wä­sche im Wort­sinn durch­zieht und mit sei­ner Mut­ter-Pup­pe ein Tänz­chen wagt. Beim Schwert-Schmie­den ent­deckt das pu­ber­tä­re Kraft­pa­ket sei­ne Se­xua­li­tät, Mime springt ihm mit sei­ner Ona­nier­vor­la­ge bei.

Sieg­fried (An­dre­as Schager) und der ster­ben­de Faf­ner (Wil­helm Schwinghammer)

Kein Wald, kei­ne Dra­chen­höh­le! Statt­des­sen spielt der 2. Akt wie­der­um in Wal­hall, aus dem der Wo­tan-Clan längst aus­ge­zo­gen ist. Ein­ge­zo­gen in das aus ei­nem an­de­ren Win­kel ge­zeig­ten Atri­um ist der vor­ma­li­ge Bau­rie­se Faf­ner, in­zwi­schen ein sehr rei­cher, aber ster­bens­kran­ker al­ter Mann, der fast so viel Per­so­nal und Se­cu­ri­ty um sich hat wie vor­mals die Lichtalben.

Al­be­rich und Wo­tan ma­chen mit Blu­men ih­ren Be­such am Kran­ken­bett, wo fol­ge­rich­tig auch der groß ge­wor­de­ne Ha­gen (Bran­ko Buch­ber­ger) in sei­nem gel­ben T-Shirt sitzt und nicht ver­hin­dern kann, dass Faf­ner sich gern an sei­ner jun­gen Al­ten­pfle­ge­rin, dem Wald­vo­gel, ver­greift. Ver­ständ­lich, dass die jun­ge Frau dann lie­ber dem stür­mi­schen Sieg­fried ein biss­chen Be­nimm nach #Me­Too beibringt.

Den sicht­lich hin­fäl­li­gen Faf­ner zu be­sie­gen, be­darf es nicht viel. Er stirbt ei­nen Herz­tod, alle schau­en zu, kei­ner hilft. Mime, der zap­pe­li­ge Zau­sel, stirbt zwei­fach. Erst wird er von Sieg­fried mit dem Krück­stock­de­gen à la Ja­mes Bond ab­ge­sto­chen, dann noch mit dem So­fa­kis­sen er­stickt – fast schon brü­der­lich be­glei­tet von Ha­gen, der Faf­ners Schlag­ring, eine Swa­rov­ski-Ver­si­on des Leip­zi­ger Rings von Joa­chim Herz, an sich ge­nom­men hat.

Was um Him­mels Wil­len ist das für eine Welt? Of­fen­sicht­lich eine grau­sa­me, kal­te, schreck­li­che, in der sich Ge­walt po­ten­ziert, im Hier und Jetzt. Die in­zwi­schen er­blin­de­te Erda, be­glei­tet von dem groß ge­wor­de­nen Mäd­chen, das also nicht Brünn­hil­de ist, macht zu Be­ginn des 3. Akts dem zum Wan­de­rer mu­tier­ten Wo­tan sein Schei­tern klar. Spon­tan greift er in Selbst­mord­ab­sicht zum Re­vol­ver, drückt aber nicht ab. Die nächs­te, letz­te Er­nied­ri­gung zu­min­dest die­ses gro­ßen al­ten wei­ßen Man­nes folgt auf dem Fuß.

Dass Brünn­hil­de – ih­ren Py­ra­mi­den-Fel­sen sieht man links in die Büh­ne her­ein­ra­gen – wie die Wal­kü­ren ein Lif­ting hin­ter sich ha­ben muss, liegt bei den Ge­ne­ra­tio­nen­sprün­gen nahe. Hier ist sie zu­gleich Sieg­frieds Stief­schwes­ter und Tan­te, er­scheint aber gleich­alt­rig, wenn sie aus ih­rem Ver­band ge­schält ist.

Sieg­fried (An­dre­as Schager) und Brünn­hil­de (Da­nie­la Köh­ler), hin­ten der auch ei­fer­süch­ti­ge Gra­ne (Igor Schwab)

Gra­ne (Igor Schwab) hin­ge­gen, Brünn­hil­des em­pa­thi­scher Be­glei­ter auch in ei­ner köst­li­chen Er­in­ne­rungs­sze­ne an ihre Wal­kü­ren­zeit, ist be­reits er­graut. Ihr Kleid (Kos­tü­me: Andy Be­such) ist eine Ver­beu­gung vor dem Bay­reu­ther „Jahr­hun­dert-Ring“ und Jac­ques Schmidts Al­ba­tros-Ge­wand für Gwy­neth Jo­nes. Das Pu­bli­kum ist froh, sich end­lich in et­was Schö­nes ret­ten zu können.

Die dem Er­wa­chen fol­gen­de Lie­bes­sze­ne, erst gif­tig grün be­leuch­tet, dann in Abend­däm­me­rung-Bel­li­ni-Rosé (Licht: Rein­hard Traub), ist sze­nisch und mu­si­ka­lisch be­glü­ckend zart, auch wenn An­dre­as Schagers kraft­prot­zen­der, ja zu po­ten­ter Jung-Sieg­fried an die­sem Abend nur Laut­stär­ke kann. Scha­de, dass er auch Da­nie­la Köh­lers auf­blü­hen­de Brünn­hil­de niederbrüllt.

Leuch­ten­de Lie­be, la­chen­der Tod: Brünn­hil­de (Da­nie­la Köh­ler) mit Pis­to­le, Hut und Faf­ners Schal

Ar­nold Be­zu­y­ens Mime ist als Fi­gur glaub­haft, sän­ge­risch aber nur noch die Ka­ri­ka­tur ei­nes Cha­rak­ter­te­nors, Olaf­ur Si­gur­dar­sons Al­be­rich hin­ge­gen er­weist sich als Zu­ge­winn im Fest­spiel­ensem­ble. To­masz Ko­niecz­nys Wan­de­rer wirk­te nach dem Büh­nen­un­fall in der „Wal­kü­re“ leicht be­ein­träch­tigt, was des­sen Leis­tung als Wo­tan nach­träg­lich aufwertet.

Okka von der Da­merau ist auch als „Siegfried“-Erda eine Wucht, so­li­de Wil­helm Schwing­ham­mers Faf­ner und der Wald­vo­gel von Alex­an­dra Stei­ner. Di­ri­gent Cor­ne­li­us Meis­ter schwamm dies­mal mehr  zwi­schen ma­nie­ris­ti­schen Tem­pi und Ei­gen­hei­ten so­wie Ko­or­di­na­ti­ons­pro­ble­men mit der Büh­ne, das Or­ches­ter folg­te ihm ent­spre­chend. Eine Neu­in­ter­pre­ta­ti­on war und ist nach der sehr kurz­fris­ti­gen Um­be­set­zung am Pult al­ler­dings nicht zu erwarten.

Die Buh­ru­fer nutz­ten die Zeit­span­ne zwi­schen dem Schlie­ßen des Vor­hangs und dem ers­ten Öff­nen dies­mal schon be­ängs­ti­gend in­ten­siv, be­ju­bel­ten aber mehr­heit­lich die So­lis­ten. Am Frei­tag, nach der „Göt­ter­däm­me­rung“, dürf­te das ehr­wür­di­ge Fest­spiel­haus zu Bay­reuth mal wie­der wa­ckeln, wenn die Geg­ner der Neu­in­sze­nie­rung ihre Ab­leh­nung end­lich di­rekt an Re­gis­seur Va­len­tin Schwarz adres­sie­ren können.

Be­such­te Pre­mie­re am 3. Au­gust 2022, Erst­druck im Frän­ki­schen Tag vom 5. Au­gust 2022

Ähnliche Beiträge