Richard Wagner aus Magdeburg an Minna Planer, zeitweilig in Berlin, Brief vom 10. November 1835.
Nun, sag Minna, was soll ich von Dir denken? Bist Du wahnsinnig, daß Du mich in diesem Zustande so lange ohne Brief lässest? – Müssen nicht alle Gedanken, die ich durch das größte Vertrauen zu Dir unterdrückt habe, mit doppelter Gewalt in mir aufwachen, – da ich Dich jetzt in Berlin, u. in welcher Nähe weiß? – Mein Kind, ist es bloße Nachlässigkeit von Dir, so ist dieß doppelt strafbar; – oder – hast Du mich wirklich schon vergessen? – Ich bin rasend! – Ihr Weiber seid doch unempfindlicher als Stein! –
In der Zeitung lese ich, daß Du heute als Esmeralda[1] auftrittst, sonst wüßte ich nicht davon; – o Minna, ich sehe es im Geist, welche Nachstellungen Du in Berlin hast; – o halte Dich brav, woran ich oft zweifeln muß, wenn Du mir auch gar nicht schreibst. –
Deine Mutter[2] habe ich nun ganz u. gar gerührt, sie ist freundlicher u. vertraulicher gegen mich, als ich je geglaubt hätte; – ich habe ihr rundweg erklärt, daß ich nicht ohne Dich leben könnte, u. daß ich Dich bald besitzen müßte; – sie nahm es sehr gut auf, – u. sagte, – (was mich an ihr sehr wunderte) – Du würdest gewiß wieder herkommen, wenn es sich nur einigermaßen machte; – wir wollten den ganzen Winter über zusammen bleiben u. bis zu Ostern könntest Du es wol schon noch hier aushalten; – – so sprach sie gestern, nachdem sie zuvor doch immer dagegen war; – Du kannst Dir wol denken, wie groß meine Treue u. Liebe sein muß, daß es selbst diese kalte Frau so gerührt u. umgewandelt habe. – Sie sprach noch: „nein, sie wird sich mit Berlin so stellen, daß, wenn sie nach ihren Gastrollen zurückkommt, es in ihrem Belieben steht, entweder sich wieder mit hier zu einigen, wenn man ihr Recht widerfahren läßt, oder – im schlimmsten Fall – Berlin anzunehmen!“ Das sind ihre eigenen Worte. – Ach, sie haben mir so viel Hoffnung u. Trost eingeflößt! – Aber ich will, Du sollst auf Berlin gar nicht die mindeste Rücksicht nehmen; – nicht entweder – oder; – sondern nur das Eine, – nämlich, Du sollst mich wählen.
Die Leute geben Dir hier sehr recht, – und erst gestern Abend war ich mit welchen aus der bekannten Orchester-Loge zusammen; – sie sprachen allgemein davon, daß der Unfug mit Grabowsky’s[3] bald aufhören müßte u. würde; u. es kann auch sein, daß sie bald ganz gestürzt werden, da man allgemein Pollert’s[4] engagirt haben will. Es war nur eine Rede, daß die Grabowsky in tragischen Rollen abscheulich wäre, u. daß man Dich gar nicht entbehren könne. – So verhält es sich in Wahrheit. –
O Minna, meine süße Braut, komm’, komm’, – Du Dich nirgends so glücklich, so heimisch, so wohl u. lieb fühlen, als in den Armen
Deines
Richard.
[1] Rolle aus dem Drama „Der Glöckner von Notre Dame“ nach Victor Hugo von Charlotte Birch-Pfeiffer
[2] Planer, Johanna Christiana (1780–1856), geb. Meyer, verheiratet mit Gotthelf Planer, Mutter von Minna, Amalia und weiteren Kindern sowie Ziehmutter von Minnas Tochter Natalie.
[3] Gemeint sind Grabowsky, Carl (1805–1883), 1835/36 Oberregisseur am Magdeburger Theater und dessen Frau Grabowsky, Louise Marianne (1816–1850); Ehepaare am Theater sind halt eine Crux! Einerseits kann es praktisch sein, wenn ein Intendant, Regisseur, Dirigent oder Sänger seine ebenfalls künstlerisch aktive Gattin gleich mitbringt (was umgekehrt auch in den Leitungsfunktionen immerhin nicht mehr undenkbar ist), andrerseits schlucken beispielsweise heutige Fans nur ungern die Kröte Yusif Eyvazov, damit sie Froschkönigin Anna Netrebko erleben können.
[4] Mit den Pollerts ging es nicht wirklich besser. Zwar sollte die aus Petersburg stammende Sopranistin Caroline Dressler-Pollert (1810–nach 1851) noch eine beachtliche Karriere machen, ihr vornamenloser Schauspieler-Gatte sorgte allerdings bei der geplanten zweiten Aufführung von Wagners zweiter Oper „Das Liebesverbot“ im Frühjahr 1836 in Magdeburg für den Abbruch der Vorstellung: Aus Eifersucht schlug er den zweiten Tenoristen blutig und versetzte auch seiner verzweiflungsvollen Frau, die als Isabella eine Hauptpartie gab, so starke Püffe, dass sie darüber in Heulkrämpfe verfiel.
Quellen: Digitale Bibliothek Band 107: Richard Wagner: Werke, Schriften und Briefe; Richard Wagner: Sämtliche Briefe, Bd. 1, 1967; Forschungsinstitut für Musiktheater Thurnau: Das Wagner-Lexikon, 2012; https://de.wikipedia.org/
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