Die Wagner-Familien sind in Bayreuth nur noch Zaungäste

Die jüngs­te Ver­wal­tungs­ver­ein­ba­rung zwi­schen Bund und Land zur Ge­ne­ral­sa­nie­rung des Fest­spiel­hau­ses be­deu­tet, dass die Bay­reu­ther Fest­spie­le end­gül­tig Staats­thea­ter wer­den – Ein Gast-Kom­men­tar von Tho­mas Erbe

Wolf­gang Wag­ners Büh­nen­ab­schied im Jahr 2008 ist ein gro­ßer und emo­tio­na­ler Mo­ment (von links): Karl-Ger­hard Schmidt, Ban­kier und lan­ge Jah­re Vor­sit­zen­der der Ge­sell­schaft der Freun­de von Bay­reuth, Ve­re­na Laf­fer­entz-Wag­ner, Wolf­gang Wag­ner, Eva Wag­ner-Pas­quier. Hin­te­re Rei­he: Tho­mas Gop­pel, der sei­ner­zei­ti­ge Baye­ri­sche Kunst­mi­nis­ter, Ka­tha­ri­na Wag­ner und Chris­ti­an Thie­le­mann. Foto: Tho­mas Erbe

Eher still als laut, da­für end­gül­tig, ist über die Büh­ne ge­gan­gen, was deut­lich mehr ist als nur eine Zä­sur bei den Bay­reu­ther Fest­spie­len: 150 Jah­re nach dem Ein­zug der Fa­mi­lie Wag­ner in Wahn­fried ist der in der Sat­zung fest­ge­leg­te Stif­ter­wil­le der Er­ben Ri­chard Wag­ners bei der Ri­chard-Wag­ner-Stif­tung na­he­zu be­deu­tungs­los. Die Stif­tung, der es nach ih­rer Sat­zung ob­liegt, den oder die Festspielleiter/​in für die Fest­spie­le zu be­stel­len bzw. ihm/​ihr das Fest­spiel­haus zu ver­mie­ten, ist 51 Jah­re nach ih­rer Grün­dung in Be­zug auf die Fest­spie­le nur noch eine leb­lo­se Hülle.

Her­ren im und über das Fest­spiel­haus sind nun Bund und Land. Bei­de hal­ten künf­tig zu­sam­men 72 Pro­zent der An­tei­le an der Fest­spiel GmbH, die ihre Ge­schäfts­füh­rung selbst be­stimmt. Der Stif­tung und den Stif­ter­fa­mi­li­en Wag­ner, die Wahn­fried wie auch das Fest­spiel­haus in die Stif­tung ein­ge­bracht ha­ben, blei­ben die Plät­ze am Zaun. Ein­zig Ka­tha­ri­na Wag­ner darf dann noch im zwei­ten Glied künst­le­ri­sche Ver­ant­wor­tung tra­gen, Ge­schäfts­füh­re­rin ist sie ab 2025 nicht mehr. Dass sie selbst mit ih­rer re­du­zier­ten Rol­le zu­frie­den und er­leich­tert zu sein scheint, än­dert an der Sa­che nichts.

Die Vor­ge­schich­te zu die­ser Ent­wick­lung reicht lan­ge zu­rück. Es war im Jahr 2000, als die Po­li­tik ver­such­te, den mit ei­nem Ver­trag auf Le­bens­zeit aus­ge­stat­te­ten Wolf­gang Wag­ner vom Amt des Fest­spiel­lei­ters ab­zu­lö­sen. Doch je­ner – sei­ner­zeit be­reits 81-jäh­rig – wei­ger­te sich. Er wuss­te: Sein Ver­trag ist auf Le­bens­zeit und wenn über­haupt, dann hat ein­zig der Stif­tungs­rat das Recht über die Fest­spiel­lei­tung und die Ver­mie­tung des Fest­spiel­hau­ses zu beschließen.

Für die Po­li­tik bringt die Hal­tung Wolf­gang Wag­ners eine Nie­der­la­ge, die auch nicht da­durch ge­heilt wird, dass er nach lan­gem Drän­gen und viel Druck im Jahr 2008 den Weg zu sei­ner Nach­fol­ge für Ka­tha­ri­na – zu­nächst ge­mein­sam mit ih­rer Halb­schwes­ter Eva, spä­ter als al­lei­ni­ge Fest­spiel­che­fin – frei­macht. Bei die­ser Ent­schei­dung hat die Po­li­tik des Lan­des wie des Bun­des hier mit­re­den dür­fen, die Ent­schei­dung selbst je­doch war ein­zig Auf­ga­be des Stif­tungs­ra­tes, in dem Bund und Land zwar die ent­schei­den­de Rol­le spie­len, aber an die Sat­zung der Stif­tung ge­bun­den sind.

Sa­nie­rung als An­lass für lan­gen Mietvertrag
Ein paar Jah­re spä­ter er­gibt sich für Lan­des- wie Bun­des­po­li­tik eine Chan­ce, um rich­ti­gen Zu­griff auf die Bay­reu­ther Fest­spie­le zu be­kom­men. Das Fest­spiel­haus, Ei­gen­tü­me­rin ist die Ri­chard-Wag­ner-Stif­tung, ist schein­bar ein­sturz­ge­fähr­det, nur eine In­ves­ti­ti­on von 30 Mil­lio­nen Euro kön­ne es ret­ten. Aber wer 30 Mil­lio­nen für ein Ge­bäu­de be­zahlt, der will auch be­stim­men, wer Mie­ter sein soll. Und so wird 2014 – sechs Jah­re nach Wolf­gang Wag­ners Büh­nen­ab­schied und vier Jah­re nach sei­nem Tod – nach lan­gen Dis­kus­sio­nen und er­heb­li­chen Kon­tro­ver­sen ein neu­er Miet­ver­trag ge­schlos­sen, gül­tig bis zum Jahr 2040. Er war die Be­din­gung von Bund und Frei­staat, ohne ihn gab es kei­ne 30 Mil­lio­nen Euro, ohne die 30 Mil­lio­nen Euro aber – so die Ar­gu­men­ta­ti­on – sei der Ein­sturz des Hau­ses nicht zu verhindern.

Die Be­droh­lich­keit wird für je­den sicht­bar dar­ge­stellt: Das Fest­spiel­haus wird im Herbst 2012 kurz vor Be­ginn des Ri­chard-Wag­ner-Ju­bi­lä­ums­jahr zum 200. Ge­burts­tag im Jahr 2013 mit Schutz­pla­nen ver­hüllt. Zu­gleich nimmt sich die Bay­reu­ther Fest­spiel GmbH (BFG) mit den Ge­sell­schaf­tern Bund, Land, Freun­de von Bay­reuth und Stadt Bay­reuth das ihr zu­ste­hen­de Recht, al­lei­ne dar­über zu be­stim­men, wer die Fest­spiel­lei­tung übernimmt.

Da­bei heißt es in der Stif­tungs­ur­kun­de § 8, Ab­satz 2 un­ter an­de­rem: „Das Fest­spiel­haus ist grund­sätz­lich an ein Mit­glied, ggf. auch an meh­re­re Mit­glie­der der Fa­mi­lie Wag­ner oder auch an ei­nen an­de­ren Un­ter­neh­mer zu ver­mie­ten, wenn ein Mit­glied, ggf. auch meh­re­re Mit­glie­der der Fa­mi­lie Wag­ner die Fest­spie­le lei­ten. Dies gilt nur dann nicht, wenn an­de­re, bes­ser ge­eig­ne­te Be­wer­ber auf­tre­ten…“ Das so ge­nann­te „Kö­nigs­recht“ der Ri­chard-Wag­ner-Stif­tung über Fest­spiel­lei­tung und Mie­ter des Fest­spiel­hau­ses zu be­stim­men, geht mit der Un­ter­zeich­nung der Fi­nan­zie­rungs­ver­ein­ba­rung über 30 Mil­lio­nen Euro im Jahr 2013 und der Un­ter­zeich­nung des neu­en Miet­ver­tra­ges 2014 „ver­lo­ren“.

Ein „ver­lo­ren“ ge­gan­ge­nes Recht fin­det wo­mög­lich je­mand wie­der. Doch nun wer­den rund 170 Mil­lio­nen Euro für die wei­te­re Sa­nie­rung des Fest­spiel­hau­ses auf­ge­ru­fen. Bei ei­ner sol­chen Sum­me sorgt sich ein je­der, wo­her all das Geld kom­men soll. Der Bo­den für den end­gül­ti­gen Ab­schied von der Stif­tung wie der Fa­mi­li­en Wag­ner aus der Ent­schei­dung über die Fest­spiel­lei­tung und den Miet­ver­trag ist bereitet.

Die Be­deu­tung der Ri­chard-Wag­ner-Stif­tung für die Fest­spie­le geht mit ei­ner „Ver­wal­tungs-ver­ein­ba­rung über die Fi­nan­zie­rung des Bau­vor­ha­bens Sa­nie­rung des Bay­reu­ther Fest­spiel­hau­ses“ in ei­ner au­ßer­or­dent­li­chen Sit­zung des Stif­tungs­ra­tes am 17. April 2024 eben­so „un­ter“ wie auch der Stif­ter­wil­le der Fa­mi­li­en Wag­ner nun sein Le­ben aus­ge­haucht hat. In der Ver­wal­tungs­ver­ein­ba­rung heißt es zum Miet­ver­trag: „Ins­be­son­de­re wird die Stif­tung der GmbH das Fest­spiel­haus lang­fris­tig ver­mie­ten und den der­zeit be­stehen­den Miet­ver­trag verlängern.“

In Bay­reuth wird künf­tig kei­ne Stif­tung, kei­ne Stif­tungs­sat­zung, kein Stif­ter­wil­le und kei­ner der Nach­kom­men aus den Stif­ter­fa­mi­li­en den Geld­ge­bern Bund und Land mehr auf die Ner­ven ge­hen oder die­se gar dar­an hin­dern kön­nen, ih­ren Wil­len durch­zu­set­zen. Da­mit auch al­les in die pas­sen­de Form ge­bracht wer­den kann, ist zu­dem (zum wie­der­hol­ten Male) eine Ar­beits­grup­pe zur Stif­tungs­sat­zung ein­be­ru­fen wor­den. So sit­zen in Nürn­berg am 4. April 2024 am Tisch: ein Ver­tre­ter des Bun­des, ei­ner des Lan­des und Bay­reuths ehe­ma­li­ger Ober­bür­ger­meis­ter Mi­cha­el Hohl als Ver­tre­ter des Stam­mes Wolf­gang Wag­ner. Ein of­fi­zi­el­ler Ver­tre­ter für den Stamm Wie­land Wag­ner wie auch ein sol­cher für die Fa­mi­lie Laf­fer­entz-Wag­ner sind nicht zu­ge­las­sen, die Stadt Bay­reuth hat an der Sit­zung – ob­wohl ge­la­den – nicht teilgenommen.

Eine Ar­beits­grup­pe in­ter­pre­tiert den Stifterwillen
Die Ar­beits­grup­pe hat ein vor­läu­fi­ges Er­geb­nis ge­fun­den: „Die Ri­chard-Wag­ner-Stif­tung ist be­rech­tigt, ei­nen Vor­schlag für die Be­set­zung der Fest­spiel­lei­tung zu un­ter­brei­ten, der in das Fin­dungs­ver­fah­ren ein­geht und von der Fin­dungs­kom­mis­si­on zu wür­di­gen ist … Die Letzt­ent­schei­dung ob­liegt den zu­stän­di­gen Gre­mi­en der BFG im Rah­men ih­rer Ver­bands­sou­ve­rä­ni­tät.“ Da­mit auch wirk­lich klar ist, was ge­meint ist, heißt es ei­ni­ge Zei­len spä­ter: „Die Ent­schei­dung, wer die Fest­spie­le künst­le­risch lei­tet, ist die we­sent­li­che Grund­la­ge für den künst­le­ri­schen und wirt­schaft­li­chen Un­ter­neh­mens­er­folg und da­mit von den zu­stän­di­gen Gre­mi­en der BFG, die die Fest­spie­le al­lein be­treibt und fi­nan­ziert, zu tref­fen.“ Der hier ge­zeig­te Um­gang mit dem Stif­ter­wil­len dürf­te – über den Ein­zel­fall Bay­reuth hin­aus – er­heb­li­che Be­deu­tung für vie­le Stif­tun­gen haben.

Ka­tha­ri­na Wag­ner er­hält ein Bud­get und in­ner­halb des­sen bleibt ihr mit dem neu­en Ver­trag die Ver­ant­wor­tung für den künst­le­ri­schen Be­reich. Eine sol­che Po­si­ti­on gibt es an Stadt­thea­tern wie an Staats­thea­tern, ein son­der­li­ches „Bo­hei“ wird dort je­doch aus die­ser Funk­ti­on üb­li­cher­wei­se nicht ge­macht. Ge­schäfts­füh­rer wird künf­tig ein „Ge­ne­ral Ma­na­ger“ sein, der nicht Fest­spiel­lei­ter oder In­ten­dant hei­ßen darf. Er ist es, „der die Fest­spie­le or­ga­ni­sa­to­risch und wirt­schaft­lich ver­ant­wor­tet“, (so die ge­mein­sa­me Pres­se­mit­tei­lung von Bund und Frei­staat vom 13. Mai 2024). Er dürf­te da­mit – auch wenn dies der­zeit nie­mand for­mu­liert – am Ende auch der­je­ni­ge sein, der Ka­tha­ri­na Wag­ner oder ih­ren Nach­fol­gern das Bud­get vorgibt.

Die Bay­reu­ther Fest­spie­le sind mit den voll­zo­ge­nen Schrit­ten nun­mehr Staats­thea­ter. Den Spiel­be­trieb führt eine GmbH durch, bei der Bay­ern und der Bund – nach­dem die Ge­sell­schaft der Freun­de von Bay­reuth aus fi­nan­zi­el­len Grün­den An­tei­le ab­ge­ben muss­te – je­weils 36 Pro­zent, also zu­sam­men 72 Pro­zent, der An­tei­le ha­ben. Für den Fall, dass sich Bund und Land ein­mal nicht ei­nig sind, steht als Mehr­heits­be­schaf­fe­rin die Ge­sell­schaft der Freun­de mit ih­rem 15-Pro­zent-An­teil zur Ver­fü­gung. Der Ge­sell­schaf­ter Stadt spielt in die­sem Zu­sam­men­hang kei­ne Rol­le, mit sei­nem 13-Pro­zent-An­teil kann er kei­nem der an­de­ren Ge­sell­schaf­ter zur Mehr­heit verhelfen.

Tho­mas Erbe, Jahr­gang 1956, Ma­gis­ter Ger­ma­nis­tik, Po­li­to­lo­gie und Rechts­wis­sen­schaft, hat bis zum Jahr 2011 un­ter an­de­rem in Bay­ern und Bay­reuth als Jour­na­list ge­ar­bei­tet. Hier­bei hat er im­mer wie­der ei­nen Blick auf Bay­reuth und die Fest­spie­le ge­wor­fen. Er ent­hüll­te bei­spiels­wei­se im Jahr 2010, dass der lang­jäh­ri­ge Pres­se­spre­cher der Bay­reu­ther Fest­spie­le, Pe­ter Em­me­rich, als IM für die Sta­si ge­ar­bei­tet hat. Erbe ist seit 1989 mit Bri­git­te Merk-Erbe ver­hei­ra­tet, die in den Jah­ren 2012 bis 2020 als ers­te Frau in Bay­reuth das Amt der Ober­bür­ger­meis­te­rin be­klei­det hat. Der hier wie­der­ge­ge­be­ne Text wur­de zu­erst am 26. Juli 2024 in der Fest­spiel­bei­la­ge des in Bay­reuth er­schei­nen­den Nord­baye­ri­schen Ku­rier veröffentlicht.