Regisseur Roland Schwab setzt in seiner Neuinszenierung von Richard Wagners „Tristan und Isolde“ vor allem auf schöne und surrealistische Bilder. Die Eröffnungspremiere der Bayreuther Festspiele am 25. Juli 2022 wurde bejubelt.
Was ist das nur für ein Raum? Und wo? Die untere Ellipse ist zunächst voll von bewegtem Wasser, das Pendant oben zeigt Himmelsblau und Wolkenflug, beides eingelassen in einen kühn geschwungenen schwarzgrauen Bau. Vielleicht doch ein Raumschiff, eine stylische Raumstation? Hier jedenfalls können Tristan und Isolde getrost aus Zeit und Raum fallen auf dem Weg ins Nirwana ihrer Liebe, ins ewige Licht, ins ewige Nichts.
Piero Vinciguerra heißt der Bühnenbildner, dem die Bayreuther Neuinszenierung von Richard Wagners „Tristan und Isolde“ die starke surreale Bildsetzung verdankt. Er hat, unterstützt von Luis August Krawen (Video) und Nicol Hungsberg (Licht), ein Szenarium geschaffen, in dem sich das Musikdrama mit seinen äußeren Spannungen und Verwicklungen und vor allem seinen Innerlichkeiten, den sehnsüchtigen Seelenbewegungen, entfalten kann.
Dass die Natur sich ein Stück weit die erst eher kühle Einheitsbühne erobert, ist nur ein Aspekt der visuellen Veränderungen. Das Wesentliche spielt sich in den Ellipsen ab, die mit virtuosen Videos bespielt werden. Hier, im Morphing, in den heute möglichen technischen Spezialeffekten, realisiert sich szenisch das, was Wagner als „Kunst des feinsten allmählichsten Ueberganges“ bezeichnet hat.
Im 1. Akt, wenn Isolde die grausige Vorgeschichte und ihre Rachegelüste offenbart, färbt sich das wirbelnde Wasser in der Ellipse nach und nach blutrot. In der mit leichtem Grün umrankten Liebesnacht des 2. Akts, wo oben und unten Sterne fliegen und die Welt aus den Angeln heben, verschwimmen die beiden in einem alles überstrahlenden Licht, während aufs Ende zu Leuchtröhren Tristan in Bedrängnis bringen. Im 3. Akt verliert sich Tristan sich in Spiralnebeln, einem schwarzen Loch, einem Auge gar, während Isolde sich fast in den jetzt herunterhängenden Lianen – oder sind es Algen? – verfängt.
In diesen unerwarteten, teils Schwindel erregenden und teils rauschhaft-ästhetischen Bildern agieren gewissermaßen Figuren zweier Sorten: die Titelprotagonisten, die als einzige die untere LED-Ellipse betreten und bespielen dürfen, und die übrigen Personen der Handlung, zu denen als Rahmung noch drei Statistenpaare hinzukommen als Sinnbilder von Liebe in verschiedenen Lebensphasen – erst zwei Kinder, dann junge Erwachsene, schließlich ein Paar im Greisenalter.
Das Konzept von Regisseur Roland Schwab zielt darauf ab, die gegebene Dialektik und die dahinterstehende Philosophie des Liebesdramas erfahrbar zu machen. Dass er sein Handwerk versteht, illustrieren die präzise und in sich stimmig geführten Nebenfiguren. Dennoch offenbart die Aufführung ein Dilemma. Denn so schön und richtig die Aspekte von Weltflucht und Lebensverneinung auch sein mögen, sie wollen glaubhaft verkörpert sein.
Jeder Opernfan weiß um die Diskrepanz zwischen der eigenen Rollenerwartung und der realen Rollenbesetzung. Was den Tristan von Stephen Gould betrifft, ist diese Bayreuther Neuproduktion in meinen Augen grenzwertig: Ja, man freut sich zu hören, dass der 60-jährige, versierte Heldentenor noch Kraft hat, man freut sich erst recht, dass er an passenden Stellen Zartheit wagt, aber leider erscheint er in seinen Bewegungen so eingeschränkt, dass man zwangsläufig schon an einen Tristan im Rentenalter denkt, genauer noch: an einen Tristan in der Reha. Denn wenn Gould am Boden liegt oder kniet, fällt ihm das Aufstehen sichtlich schwer.
Catherine Foster als Isolde ist zwar etwas beweglicher, wirkt aber letztlich auch zu behäbig. Sie war bei der Premiere wie ihr Partner stimmlich gut in Form, lässt aber nach wie vor in punkto Wortverständlichkeit zu wünschen übrig. Als Darstellerin hat der Regisseur sie vielleicht zu wenig, zu eintönig gefordert. Die stereotypen Gesten der Wut im 1. Akt laufen schnell ins Leere, zu viel auch der An- und Abstoßung der beiden im 2. Akt. Dass sie beim sogenannten Liebestod durch das auftauchende Statistenpaar im Greisenalter zur Nebenfigur degradiert wird, ist ein unverzeihlicher Regieeinfall.
Die Titelprotagonisten hat Gabriele Rupprecht für den 2. und 3. Akt in weiße Wallegewänder gesteckt, bei denen man versteht, was gemeint ist, die aber genau die Wirkung des Aus-der-Welt-Seins verhindern, weil beide Solisten automatisch immer wieder ordnend ihre Gewänder zurechtstreichen, wenn sie auf der Ellipse herumgerobbt sind. Die übrigen Solisten tragen Kostümbildnerinnen-Kreativ-Chic, der letztlich reichlich beliebig wirkt.
Und den ganzen Abend lang leuchtet links – warum nicht rechts? – in roten Neonbuchstaben ein Wort in Sanskrit, dessen Übersetzung sich nach mühseliger Suche im Impressum des Programmhefts findet: „Ewig“ heißt das rote Wort, das wenigstens im 3. Akt durch ein szenisches Pendant gekrönt wird, wenn Kurwenal dem vermeintlich schon toten Tristan vorsichtig mit einem roten Grablicht naht.
Unter den Solisten restlos überzeugt haben mich bei der Premiere nur Markus Eiche als ein stimmschöner, empathischer und ausdrucksstarker Kurwenal sowie der phänomenale Georg Zeppenfeld, der laut Pressemeldungen erst kurz zuvor in Quarantäne gehen musste. Bei beiden versteht man fast jedes Wort, was für die ansonsten schön klingende Ekaterina Gubanovas Brangäne leider nicht gilt. Festspielwürdig die weiteren Sänger mit Olafur Sigurdarson (Melot), Jorge Rodríguez-Norton (Ein Hirt), Raimund Nolte (Ein Steuermann) und Siyabonga Maqungo (Ein junger Seemann) sowie der unsichtbar, aber live hinter der Bühne singende Herrenchor.
Apropos Covid: Wegen einschlägiger Erkrankungen mussten die Festspiele nicht nur bei den Solistenbesetzungen umdisponieren, sondern auch bei den Dirigenten. Unter den Einspringern hatte Markus Poschner die wenigste Probenzeit mit dem Festspielorchester. Er erfuhr erst zehn Tage vor der Premiere, dass er den „Tristan“ übernehmen sollte. Was er zustande gebracht hat – Poschner konnte die für Dirigenten schwierige Akustik des Festspielhauses zwar schon als Assistent kennenlernen und leitete 2019 beim Gastspiel in Abu Dhabi das Festspielorchester –, ist schlichtweg bewundernswert.
In kürzester Zeit fand er sich nicht nur in das vorgegebene Tempo der Inszenierung ein und konnte den stark geforderten Gesangssolisten die notwendige Sicherheit geben. Vielmehr gelang ihm eine eigenständige musikalische Interpretation, die mich auf Anhieb überzeugt hat. Er wagt Gegensätze, treibt das Rauschhafte entschieden an, schaut aber umso genauer hin, wenn das Zarte, Fragile, Helle in dieser Partitur aus dem Graben hörbar werden soll. Weil auch szenisch involviert durften aus dem Orchester Rixon Thomas (Englischhorn) und Martin Wagemann (Holztrompete) vor den Vorhang.
Schade, dass das Premierenpublikum inzwischen so undiszipliniert und/oder unkundig ist, dass die jeweils ersten Minuten der Vorspiele in der Unruhe von Zuspätkommern fast untergingen. Schade auch, dass die gegebene Affenhitze ebenfalls für Lärm sorgte. Den ganzen Abend über gab es immer wieder zu Boden polternde Handys, wenn Jacken ausgezogen wurden. Der Beifall im fast voll besetzten Haus – einige Galerieplätze sind wegen Umbaus gesperrt – war enthusiastisch, nur wenige Buhrufe. So ein Schnellschuss wie diese Produktion hätte auch gründlich schief gehen können. Insofern ist dieser „Tristan“, für den das Team erst im Dezember 2021 den Auftrag bekam, ein Erfolg. Und wer sich trotz des Sogs der schönen Bilder langweilt, dem sei mit Wagner zugerufen: „Sehen Sie nicht zu viel hin! Hören Sie zu!“
Erstdruck einer kürzeren Version dieser Kritik am 27. Juli 2022 im Fränkischen Tag
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