Im Nirwana der Liebe

Re­gis­seur Ro­land Schwab setzt in sei­ner Neu­in­sze­nie­rung von Ri­chard Wag­ners „Tris­tan und Isol­de“ vor al­lem auf schö­ne und sur­rea­lis­ti­sche Bil­der. Die Er­öff­nungs­pre­mie­re der Bay­reu­ther Fest­spie­le am 25. Juli 2022 wur­de bejubelt.

Sze­ne aus dem 1. Akt mit Ca­the­ri­ne Fos­ter (Isol­de) und Ste­phen Gould (Tris­tan) Sze­nen­fo­tos: © Bay­reu­ther Festspiele/​Enrico Nawrath

Was ist das nur für ein Raum? Und wo? Die un­te­re El­lip­se ist zu­nächst voll von be­weg­tem Was­ser, das Pen­dant oben zeigt Him­mels­blau und Wol­ken­flug, bei­des ein­ge­las­sen in ei­nen kühn ge­schwun­ge­nen schwarz­grau­en Bau. Viel­leicht doch ein Raum­schiff, eine sty­li­sche Raum­sta­ti­on? Hier je­den­falls kön­nen Tris­tan und Isol­de ge­trost aus Zeit und Raum fal­len auf dem Weg ins Nir­wa­na ih­rer Lie­be, ins ewi­ge Licht, ins ewi­ge Nichts.

Pie­ro Vin­ci­guer­ra heißt der Büh­nen­bild­ner, dem die Bay­reu­ther Neu­in­sze­nie­rung von Ri­chard Wag­ners „Tris­tan und Isol­de“ die star­ke sur­rea­le Bild­set­zung ver­dankt. Er hat, un­ter­stützt von Luis Au­gust Kra­wen (Vi­deo) und Ni­col Hungs­berg (Licht), ein Sze­na­ri­um ge­schaf­fen, in dem sich das Mu­sik­dra­ma mit sei­nen äu­ße­ren Span­nun­gen und Ver­wick­lun­gen und vor al­lem sei­nen In­ner­lich­kei­ten, den sehn­süch­ti­gen See­len­be­we­gun­gen, ent­fal­ten kann.

Dass die Na­tur sich ein Stück weit die erst eher küh­le Ein­heits­büh­ne er­obert, ist nur ein Aspekt der vi­su­el­len Ver­än­de­run­gen. Das We­sent­li­che spielt sich in den El­lip­sen ab, die mit vir­tuo­sen Vi­de­os be­spielt wer­den. Hier, im Mor­phing, in den heu­te mög­li­chen tech­ni­schen Spe­zi­al­ef­fek­ten, rea­li­siert sich sze­nisch das, was Wag­ner als „Kunst des feins­ten all­mäh­lichs­ten Ueber­gan­ges“ be­zeich­net hat.

Am Ende des 2. Akts wird Tris­tan (Ste­phen Gould) von Leucht­röh­ren bedrängt. 

Im 1. Akt, wenn Isol­de die grau­si­ge Vor­ge­schich­te und ihre Ra­che­ge­lüs­te of­fen­bart, färbt sich das wir­beln­de Was­ser in der El­lip­se nach und nach blut­rot. In der mit leich­tem Grün um­rank­ten Lie­bes­nacht des 2. Akts, wo oben und un­ten Ster­ne flie­gen und die Welt aus den An­geln he­ben, ver­schwim­men die bei­den in ei­nem al­les über­strah­len­den Licht, wäh­rend aufs Ende zu Leucht­röh­ren Tris­tan in Be­dräng­nis brin­gen. Im 3. Akt ver­liert sich Tris­tan sich in Spi­ral­ne­beln, ei­nem schwar­zen Loch, ei­nem Auge gar, wäh­rend Isol­de sich fast in den jetzt her­un­ter­hän­gen­den Lia­nen – oder sind es Al­gen? – verfängt.

In die­sen un­er­war­te­ten, teils Schwin­del er­re­gen­den und teils rausch­haft-äs­the­ti­schen Bil­dern agie­ren ge­wis­ser­ma­ßen Fi­gu­ren zwei­er Sor­ten: die Ti­tel­prot­ago­nis­ten, die als ein­zi­ge die un­te­re LED-El­lip­se be­tre­ten und be­spie­len dür­fen, und die üb­ri­gen Per­so­nen der Hand­lung, zu de­nen als Rah­mung noch drei Sta­tis­ten­paa­re hin­zu­kom­men als Sinn­bil­der von Lie­be in ver­schie­de­nen Le­bens­pha­sen – erst zwei Kin­der, dann jun­ge Er­wach­se­ne, schließ­lich ein Paar im Greisenalter.

Sze­ne aus dem 1. Akt mit Ste­phen Gould (Tris­tan) und Ca­the­ri­ne Fos­ter (Isol­de)

Das Kon­zept von Re­gis­seur Ro­land Schwab zielt dar­auf ab, die ge­ge­be­ne Dia­lek­tik und die da­hin­ter­ste­hen­de Phi­lo­so­phie des Lie­bes­dra­mas er­fahr­bar zu ma­chen. Dass er sein Hand­werk ver­steht, il­lus­trie­ren die prä­zi­se und in sich stim­mig ge­führ­ten Ne­ben­fi­gu­ren. Den­noch of­fen­bart die Auf­füh­rung ein Di­lem­ma. Denn so schön und rich­tig die Aspek­te von Welt­flucht und Le­bens­ver­nei­nung auch sein mö­gen, sie wol­len glaub­haft ver­kör­pert sein.

Je­der Opern­fan weiß um die Dis­kre­panz zwi­schen der ei­ge­nen Rol­len­er­war­tung und der rea­len Rol­len­be­set­zung. Was den Tris­tan von Ste­phen Gould be­trifft, ist die­se Bay­reu­ther Neu­pro­duk­ti­on in mei­nen Au­gen grenz­wer­tig: Ja, man freut sich zu hö­ren, dass der 60-jäh­ri­ge, ver­sier­te Hel­den­te­nor noch Kraft hat, man freut sich erst recht, dass er an pas­sen­den Stel­len Zart­heit wagt, aber lei­der er­scheint er in sei­nen Be­we­gun­gen so ein­ge­schränkt, dass man zwangs­läu­fig schon an ei­nen Tris­tan im Ren­ten­al­ter denkt, ge­nau­er noch: an ei­nen Tris­tan in der Reha. Denn wenn Gould am Bo­den liegt oder kniet, fällt ihm das Auf­ste­hen sicht­lich schwer.

Ca­the­ri­ne Fos­ter als Isol­de ist zwar et­was be­weg­li­cher, wirkt aber letzt­lich auch zu be­hä­big. Sie war bei der Pre­mie­re wie ihr Part­ner stimm­lich gut in Form, lässt aber nach wie vor in punk­to Wort­ver­ständ­lich­keit zu wün­schen üb­rig. Als Dar­stel­le­rin hat der Re­gis­seur sie viel­leicht zu we­nig, zu ein­tö­nig ge­for­dert. Die ste­reo­ty­pen Ges­ten der Wut im 1. Akt lau­fen schnell ins Lee­re, zu viel auch der An- und Ab­sto­ßung der bei­den im 2. Akt. Dass sie beim so­ge­nann­ten Lie­bes­tod durch das auf­tau­chen­de Sta­tis­ten­paar im Grei­sen­al­ter zur Ne­ben­fi­gur de­gra­diert wird, ist ein un­ver­zeih­li­cher Regieeinfall.

Schwarz-Weiß-Sym­bo­lik ist auch da­bei. Sze­ne aus dem 2. Akt mit Ca­the­ri­ne Fos­ter (Isol­de) und Ste­phen Gould (Tris­tan).

Die Ti­tel­prot­ago­nis­ten hat Ga­brie­le Rup­p­recht für den 2. und 3. Akt in wei­ße Wal­le­ge­wän­der ge­steckt, bei de­nen man ver­steht, was ge­meint ist, die aber ge­nau die Wir­kung des Aus-der-Welt-Seins ver­hin­dern, weil bei­de So­lis­ten au­to­ma­tisch im­mer wie­der ord­nend ihre Ge­wän­der zu­recht­strei­chen, wenn sie auf der El­lip­se her­um­ge­robbt sind. Die üb­ri­gen So­lis­ten tra­gen Kos­tüm­bild­ne­rin­nen-Krea­tiv-Chic, der letzt­lich reich­lich be­lie­big wirkt.

Und den gan­zen Abend lang leuch­tet links – war­um nicht rechts? – in ro­ten Ne­on­buch­sta­ben ein Wort in Sans­krit, des­sen Über­set­zung sich nach müh­se­li­ger Su­che im Im­pres­sum des Pro­gramm­hefts fin­det: „Ewig“ heißt das rote Wort, das we­nigs­tens im 3. Akt durch ein sze­ni­sches Pen­dant ge­krönt wird, wenn Kur­we­nal dem ver­meint­lich schon to­ten Tris­tan vor­sich­tig mit ei­nem ro­ten Grab­licht naht.

Un­ter den So­lis­ten rest­los über­zeugt ha­ben mich bei der Pre­mie­re nur Mar­kus Ei­che als ein stimm­schö­ner, em­pa­thi­scher und aus­drucks­star­ker Kur­we­nal so­wie der phä­no­me­na­le Ge­org Zep­pe­n­feld, der laut Pres­se­mel­dun­gen erst kurz zu­vor in Qua­ran­tä­ne ge­hen muss­te. Bei bei­den ver­steht man fast je­des Wort, was für die an­sons­ten schön klin­gen­de Eka­te­ri­na Gu­ba­no­vas Bran­gä­ne lei­der nicht gilt. Fest­spiel­wür­dig die wei­te­ren Sän­ger mit Olaf­ur Si­gur­dar­son (Me­lot), Jor­ge Ro­drí­guez-Nor­ton (Ein Hirt), Rai­mund Nol­te (Ein Steu­er­mann) und Si­yabon­ga Ma­qungo (Ein jun­ger See­mann) so­wie der un­sicht­bar, aber live hin­ter der Büh­ne sin­gen­de Herrenchor.

Apro­pos Co­vid: We­gen ein­schlä­gi­ger Er­kran­kun­gen muss­ten die Fest­spie­le nicht nur bei den So­lis­ten­be­set­zun­gen um­dis­po­nie­ren, son­dern auch bei den Di­ri­gen­ten. Un­ter den Ein­sprin­gern hat­te Mar­kus Po­sch­ner die we­nigs­te Pro­ben­zeit mit dem Fest­spiel­or­ches­ter. Er er­fuhr erst zehn Tage vor der Pre­mie­re, dass er den „Tris­tan“ über­neh­men soll­te. Was er zu­stan­de ge­bracht hat – Po­sch­ner konn­te die für Di­ri­gen­ten schwie­ri­ge Akus­tik des Fest­spiel­hau­ses zwar schon als As­sis­tent ken­nen­ler­nen und lei­te­te 2019 beim Gast­spiel in Abu Dha­bi das Fest­spiel­or­ches­ter –, ist schlicht­weg bewundernswert.

In kür­zes­ter Zeit fand er sich nicht nur in das vor­ge­ge­be­ne Tem­po der In­sze­nie­rung ein und konn­te den stark ge­for­der­ten Ge­sangs­so­lis­ten die not­wen­di­ge Si­cher­heit ge­ben. Viel­mehr ge­lang ihm eine ei­gen­stän­di­ge mu­si­ka­li­sche In­ter­pre­ta­ti­on, die mich auf An­hieb über­zeugt hat. Er wagt Ge­gen­sät­ze, treibt das Rausch­haf­te ent­schie­den an, schaut aber umso ge­nau­er hin, wenn das Zar­te, Fra­gi­le, Hel­le in die­ser Par­ti­tur aus dem Gra­ben hör­bar wer­den soll. Weil auch sze­nisch in­vol­viert durf­ten aus dem Or­ches­ter Rix­on Tho­mas (Eng­lisch­horn) und Mar­tin Wa­ge­mann (Holz­trom­pe­te) vor den Vorhang.

Scha­de, dass das Pre­mie­ren­pu­bli­kum in­zwi­schen so un­dis­zi­pli­niert und/​oder un­kun­dig ist, dass die je­weils ers­ten Mi­nu­ten der Vor­spie­le in der Un­ru­he von Zu­spät­kom­mern fast un­ter­gin­gen. Scha­de auch, dass die ge­ge­be­ne Af­fen­hit­ze eben­falls für Lärm sorg­te. Den gan­zen Abend über gab es im­mer wie­der zu Bo­den pol­tern­de Han­dys, wenn Ja­cken aus­ge­zo­gen wur­den. Der Bei­fall im fast voll be­setz­ten Haus – ei­ni­ge Ga­le­rie­plät­ze sind we­gen Um­baus ge­sperrt – war en­thu­si­as­tisch, nur we­ni­ge Buh­ru­fe. So ein Schnell­schuss wie die­se Pro­duk­ti­on hät­te auch gründ­lich schief ge­hen kön­nen. In­so­fern ist die­ser „Tris­tan“, für den das Team erst im De­zem­ber 2021 den Auf­trag be­kam, ein Er­folg. Und wer sich trotz des Sogs der schö­nen Bil­der lang­weilt, dem sei mit Wag­ner zu­ge­ru­fen: „Se­hen Sie nicht zu viel hin! Hö­ren Sie zu!“

Erst­druck ei­ner kür­ze­ren Ver­si­on die­ser Kri­tik am 27. Juli 2022 im Frän­ki­schen Tag