Reizwort „Regietheater“

Am 2. und 3. Au­gust 2022 ver­an­stal­tet das Ri­chard Wag­ner Mu­se­um Bay­reuth im Sieg­fried Wag­ner-Haus das hoch­ka­rä­tig be­setz­te Sym­po­si­um „Ten­den­zen und Per­spek­ti­ven der Wag­ner-Re­gie“. Der Be­such ist im Mu­se­ums­ein­tritt enthalten.

Klaus Flo­ri­an Vogt – hier als Tann­häu­ser in der Ham­bur­ger In­sze­nie­rung von Kor­nél Mun­druc­zó – kann mit Si­cher­heit ein Lied da­von sin­gen, was heu­ti­ge Re­gie den So­lis­ten ab­ver­langt. – Foto: Ham­bur­gi­sche Staats­oper Brinkhoff/​Mögenburg

Im Fo­kus des Sym­po­si­ums steht die Fra­ge nach mög­li­chen Per­spek­ti­ven der Wag­ner-Re­gie, die sich vor dem Hin­ter­grund der ak­tu­el­len ge­sell­schaft­li­chen, po­li­ti­schen und öko­no­mi­schen Si­tua­ti­on in ei­nem zu­neh­men­den Span­nungs­ver­hält­nis zwi­schen his­to­ri­schem Werk, In­ter­pre­ta­ti­on und Zu­schau­er­er­war­tung be­wegt. Teil­neh­mer sind Prof. Dr. Udo Berm­bach, Dr. Klaus Bil­land, Axel Brüg­ge­mann, Dr. Sven Fried­rich, Jas­min Sol­fag­ha­ri, Prof. Dr. Su­san­ne Vill und Klaus Flo­ri­an Vogt. Eine An­mel­dung zu dem Sym­po­si­um ist nicht nötig.

Der Be­griff „Re­gie­thea­ter“ ist viel­leicht das Reiz­wort in Oper und Schau­spiel der ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­te. Ei­gent­lich ein Pleo­nas­mus, denn streng ge­nom­men ist Thea­ter ohne Re­gie gar nicht denk­bar und mit­hin stets Re­gie­thea­ter, wird da­mit ein In­sze­nie­rungs­stil be­zeich­net, bei dem die kon­zep­tio­nel­le und vi­su­el­le Er­schei­nung im Mit­tel­punkt steht. Da­bei wird die äs­the­ti­sche Au­to­no­mie des Thea­ter­kunst­werks re­kla­miert, das mehr sein will als nur Ab­bil­dung oder Il­lus­tra­ti­on ei­nes his­to­ri­schen Werks mit ei­ner ver­meint­lich un­ver­rück­bar fest­ge­schrie­be­nen Er­schei­nungs­form. In­fol­ge­des­sen wird das ideo­lo­gie­kri­tisch be­frag­te Dra­ma mit sei­nen his­to­ri­schen Re­gie­an­wei­sun­gen, Bild­vor­schrif­ten und Cha­rak­ter­zeich­nun­gen von sei­ner je­wei­li­gen Er­schei­nung auf der Büh­ne der Ge­gen­wart ge­trennt. Da­durch wan­deln sich die In­ter­pre­ta­tio­nen seit etwa den 1970er Jah­ren zu­neh­mend von her­me­neu­ti­scher Ex­ege­se zu dis­kur­si­ver Pro­jek­ti­on und post­mo­der­nem De­kon­struk­ti­vis­mus. So rückt in der Oper der Fo­kus von den mu­si­ka­li­schen auf die sze­ni­schen Be­lan­ge und Leistungen.

Zu­meist zum Miss­ver­gnü­gen ei­nes „Werk­treue“ re­kla­mie­ren­den Pu­bli­kums be­wegt sich das „Re­gie­thea­ter“ so in ei­nem zu­neh­men­den Span­nungs­ver­hält­nis zwi­schen ma­ni­fes­tem Werk und Zu­schau­er­er­war­tung. Ob nun als Pro­jek­ti­on von Le­bens­welt und Zeit­geist der Ge­gen­wart auf das his­to­ri­sche Werk, De­kon­struk­ti­on ver­meint­li­cher Sinn­zu­sam­men­hän­ge oder Pro­vo­ka­ti­on als Mit­tel zur Zer­stö­rung kon­sum­ti­ver Be­hag­lich­keit – In­sze­nie­run­gen, die sich nicht dem Vor­wurf äs­the­ti­scher Ir­rele­vanz und Epi­go­na­li­tät aus­set­zen woll­ten, müs­sen ein dia­lek­ti­sches Wi­der­spruchs­ver­hält­nis zwi­schen Werk und Pu­bli­kum er­zeu­gen. Dies gilt al­le­mal auch für die In­sze­nie­run­gen der po­li­ti­schen und para­re­li­giö­sen Pa­ra­beln Ri­chard Wagners.

Vor dem Hin­ter­grund ei­nes post­mo­der­nen „any­thing goes“, das an­schei­nend zu äs­the­ti­scher Be­lie­big­keit ge­führt hat, den in im­mer neu­en Ge­wän­dern er­schei­nen­den, in der op­ti­schen Viel­falt in­halt­lich aber doch oft er­staun­lich ähn­li­chen Pro­duk­tio­nen ei­nes dann doch über­schau­ba­ren, viel­leicht gar aus­er­zähl­ten his­to­ri­schen Opern-Re­per­toires und ei­ner Mi­schung aus In­no­va­ti­ons­zwang und Über­druss steht die Re­le­vanz ei­ner his­to­ri­schen Gat­tung zur De­bat­te. Ins­be­son­de­re an­ge­sichts der jüngs­ten kri­sen­haf­ten Zä­su­ren stellt sich auch und viel­leicht ge­ra­de bei Wag­ner-In­sze­nie­run­gen die Fra­ge nach dem Ver­hält­nis zwi­schen his­to­ri­schem Werk, sei­ner stets eph­eme­ren sze­ni­schen Ver­ge­gen­wär­ti­gung und dem Publikum.

Be­steht dem­nach die Not­wen­dig­keit ei­ner äs­the­ti­schen Neu­ori­en­tie­rung der Wag­ner-Re­gie? Geht das Thea­ter Ri­chard Wag­ners künf­tig wie­der stär­ker zu­rück auf das his­to­ri­sche Werk oder be­reits er­prob­te In­sze­nie­rungs­for­men? Wird das Thea­ter da­mit zum Mu­se­um? Oder ist das In­ter­pre­ta­ti­ons­thea­ter an ei­nem End­punkt an­ge­langt? Lö­sen sich Sinn- und Be­deu­tungs­zu­sam­men­hän­ge in ei­nem ent­kop­pel­ten Ne­ben­ein­an­der par­al­le­ler au­to­no­mer Kunst­er­schei­nun­gen auf? Kann eine kon­se­quen­te De­kon­struk­ti­on die mu­si­ka­li­sche Ebe­ne aus­spa­ren? Oder wird die Oper aus öko­no­mi­schen Zwän­gen oh­ne­hin zu ei­ner kul­tu­rell ir­rele­van­ten Rand­er­schei­nung? – Die­sen und an­de­ren Fra­gen ver­sucht das Sym­po­si­um im Ri­chard Wag­ner Mu­se­um „Ten­den­zen und Per­spek­ti­ven der Wag­ner-Re­gie“ am 2. und 3. Au­gust 2022 nach­zu­ge­hen. Hier das de­tail­lier­te Programm:

2. Au­gust 2022
10:00 Uhr Be­grü­ßung durch Be­ne­dikt Steg­may­er, Re­fe­rent für Kul­tur und Tou­ris­mus der Stadt Bayreuth
10:15 Uhr Dr. Sven Fried­rich: Be­grü­ßung und Key­note „Was ist und war­um ‚Re­gie­thea­ter‘?“
11:00 Uhr Kaffeepause
11:15 Uhr Axel Brüg­ge­mann: „Zei­ten­wen­de der Klas­sik? Tra­di­ti­on und Aufbruch“
12:00 Uhr Po­di­um: Dr. Sven Fried­rich, Dr. Klaus Bil­land, Axel Brüggemann
12:30 Uhr Mittagspause
14:30 Uhr Jas­min Sol­fag­ha­ri, Re­gis­seu­rin: „‘Zwang­vol­le Pla­ge, Müh‘ ohne Zweck?‘ –
Aspek­te von Regiekonzeption“
15:00 Uhr Kaffeepause
15:15 Uhr Dr. Klaus Bil­land: „Pu­bli­kum und Kritik“
16:00 Uhr Po­di­um: Jas­min Sol­fag­ha­ri, Dr. Klaus Bil­land, Dr. Sven Friedrich
16:30 Uhr Ende der Veranstaltung

3. Au­gust 2022
10:00 Uhr Prof. Dr. Su­san­ne Vill: „Re­fle­xe des Wer­te­wan­dels auf der Opernbühne“
10:45 Uhr Kaffeepause
11:00 Uhr Klaus Flo­ri­an Vogt im Ge­spräch mit Prof. Dr. Udo Berm­bach; Mo­de­ra­ti­on: Dr. Sven Friedrich
12:30 Uhr Ende der Veranstaltung

Text: Pres­se­mit­tei­lung des Wagnermuseums