Richard Wagner aus Magdeburg an Minna Planer, zeitweilig in Berlin, Brief vom 8. November 1835.
Ich habe gestern keinen Brief von Dir erhalten, meine liebe Braut; – ich bitte u. beschwöre, schreibe mir während Deiner jetzigen Abwesenheit jeden Tag; wenn Du mich recht liebst, findest Du gewiß stets, auch wenn Dich die galanten Visiten noch so sehr in Anspruch nehmen, eine halbes, ein Viertel-Stündchen[1], daß Du Deinem armen Richard weihen kannst, der jetzt nur diese einzige Labung, diesen einzigen Trost in seinen furchtbaren Leiden kennt; O, entziehe ihm denselben nicht; – denn ich hoffe nur auf Deine Briefe, – sie müssen mir endlich die Gewährung meiner dringendsten Bitten u. Ansprüche bringen; es kann nicht anders sein, es wird nicht anders; – eher gewöhne ich mich an den Gedanken meines schnellen Todes, als an den einer Trennung von Dir. – Nun, ich lasse heute diese Seite unberührt, was bleibt nach meinen früheren Briefen jetzt noch zu sagen übrig; – dem Mädchen, dem diese Bitten, diese Vorstellungen, diese Anerbieten nicht bis in das innerste Gemüth gedrungen wären, – dem Mädchen würde nichts mehr in’s Herz dringen können, – als – – ein scharfes Messer. – Ich schweige heute davon; – ich will Dir von mir erzählen.
Wie ich lebe?! – Allmächtiger Gott, kann es ein jämmerlicheres, elenderes Leben geben! – Ich bin in dieser Stadt allein, allein, – verlassen wie im Tode; – kein Mensch, keine Sache, die mir irgend ein Interesse einflößt; – alles kalt u. gefühllos für mich! Nur Deinetwillen kam ich hierher u. übernahm diese Geschäfte; Du warst der Brennpunkt meines Hierseins, denn nur durch Dich hatten diese Häuser, diese Straßen Interesse für mich; im Gedanken an Dich verwaltete ich mein Amt, denn ich wußte Dich wol oben in der Loge, wenn ich an meinem Pult dirigirte: – ich wußte, daß ich Dir so gefiele, u. diese Eitelkeit that mir so wohl; – Jetzt, – Alles verschwunden! – Mit welcher gräßlichen Gleichgültigkeit gehe ich auf die Bühne, wo mir nicht mehr Dein liebes Angesicht entgegen treten soll; – wie wegwerfend denke ich an meine Geschäfte, – u., – ach, – mit welchem Gefühl betrete ich Dein Haus[2]; – nie öffne ich mehr die Stube rechts, – wenn ich klopfte, würde mir ja kein liebes: „Herein!“ winken; – ich gehe in die linke Stube, die ich nie leiden konnte; – sehe Deine Schwester[3] in Deinem Schlafrock, mir gegenüber Otterstedt’s Bild[4], – ich trinke allein aus dem Glase, aus dem ich nur mit Dir zusammen trank; – Deine Mutter schenkt mir in Deine Tasse den Kaffee, damit ich Dich nicht vergessen soll; – o Himmel! Und nun dabei solche alberne gleichgültige Menschen, wie dieser Schreiber[5], – der jetzt, – wie um mich zu höhnen, – immer dreister mit Amalien wird; – ich sehe zu, wie sie sich küssen. – – Minna, – Minna, – und Du willst, ich soll diesen Jammer lange ertragen? – Es ist schauderhaft! – Du kennst meine Weichheit, – Du hast meine Thränen oft gesehn, hast sie mir von den Augen geküßt; – jammere ich Dich jetzt nicht? – – Ich arbeite angestrengt, um meinem Schmerz einen Damm zu setzen; – früh um 7 Uhr setze ich mich hin, u. schreibe Dir; – dann arbeite ich bis 1 Uhr fortwährend an meiner Oper[6], die jetzt mit aller Gewalt wieder in mir auflebt, u. mit Deinem Besitz innig verschmolzen ist; dann geh’ ich zu Tisch, – dann schnell einen Gang zu meinen Schwestern[7]; – von da wieder nach Hause; – arbeite von neuem bis 7 Uhr; – dann noch einmal einen Sprung zu den Deinen, – zu Meinen, – u. wieder nach Haus, in mein trauriges, einsames Bett.
Aber wie lange läßt sich so etwas aushalten; – am Ende muß ich doch zusammenbrechen! – Ich verdumpfe ganz, werde menschenscheu, – verlernte lieben u. hassen u. gehe unter; – das ist mein Loos, – ein schauderhaftes Loos, das mir gewiß nicht bestimmt war. O, u. täusche Dich nicht, etwa zu glauben, – die Zeit werde diesen Schmerz lindern u. heben; – auf mich hat die Zeit einen bei weitem anderen Einfluß. Anstatt meine Liebe zu Dir als eine Gewohnheit allmälig abzustumpfen u. zu erschlaffen, hat die Länge der Zeit sie nur immer dauerhafter u. fester gemacht; – u. so würde es mit meinem Jammer der Trennung ergehen; schon jetzt fühle ich es, wie es immer mehr an meinem Herzen nagt. –
Doch Du wirst mich nicht untergehen lassen, – Du wirst zu mir zurückkehren, – wir werden uns wieder besitzen, um nie uns mehr zu trennen! Es kann, es wird nicht anders sein! Nur im Gefühl dieser Hoffnung lebe ich noch! – Gott grüße Dich, mein Engel!
Dein
Richard.
[1] Sehr viel später wird dann Kundry so ähnlich um eine Stunde mit Parsifal buhlen.
[2] Eine Szene, wie man sie sich ganz wunderbar ausmalen kann, wenn man die frühen Wagner-Filme von Carl Froelich (1913!) und William Dieterle (1956) gesehen hat.
[3] Planer, Amalie *1811, Minnas Schwester und Sängerin
[4] Porträt Minna Planers, das ihr Verehrer Alexander von Otterstedt 1834 vermutlich in Bad Lauchstädt von ihr schuf (siehe Abbildung).
[5] Schreiber, der vornamenlose Tenor und zeitweilige Verlobte von Amalie Planer
[6] „Das Liebesverbot“
[7] Neben Wagners Schwester Clara (1807–1875), die zusammen mit ihrem Ehemann, dem Sänger Heinrich Wolfram, 1835/36 als Sängerin am Magdeburger Theater engagiert war, könnte zum damaligen Zeitpunkt auch die noch unverheiratete Schwester Ottilie Wagner (1811–1883) zu Besuch in Magdeburg gewesen sein.
Quellen: Digitale Bibliothek Band 107: Richard Wagner: Werke, Schriften und Briefe; Richard Wagner: Sämtliche Briefe, Bd. 1, 1967; Das Wagner-Lexikon, 2012; Astrid Eberlein/Wolf Hobohm: Wie wird man ein Genie? Richard Wagner und Magdeburg, 2010; https://de.wikipedia.org/
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