Was hat man auf der Opernbühne seit rund hundertzehn Jahren nicht schon alles angestellt, um der „Salome“ von Richard Strauss beizukommen! Und vor allem jenem zentralen „Tanz der sieben Schleier“, der oft genug schon deshalb mehr verhüllt als enthüllt, weil kaum eine Sängerin, die überhaupt in der Lage ist, diese Heroine zu singen, die komplette Nummer auch so verführerisch gut tanzen kann, dass nicht nur Herodes hören und sehen vergeht. Dabei geht es, wie seit Februar im Landestheater Coburg zu erleben ist, doch – ein bisschen anders als zumeist, einleuchtend raffiniert und einfach zugleich.
Regisseur Tobias Theorell und der Coburger Ballettchef Mark McClain haben in der Neuinszenierung aus der schon von Textdichter Oscar Wilde vorgegebenen Not eine Tugend gemacht. Der Choreograph studierte mit der durchaus auch tänzerisch begabten Gastsolistin Ute Döring nicht etwa eine in sich geschlossene Tanznummer mit stufenweiser Entschleierung ein, sondern sie bewegt sich – ohne Schleier, dafür zeitweise mit dem Umhang des Herodes und mit einem langen Schal – so, als improvisiere sie nur. Ein toller und überzeugender Kunstgriff, denn die Szene wirkt dadurch authentisch. Die arrogante, gelangweilte und verzogene Prinzessin aus bestimmt nicht gutem, aber steinreichen (Königs-)Haus lässt sich gleichsam herab, den nach ihr gierenden Stiefvater um den Finger zu wickeln, streut Tanzbewegungen und -figuren ein, wie sie ihr gerade durch den Kopf zu schwirren scheinen. Nur der überlange schwarze Schal, den sie ihrem verzückten Tanzpartner spielerisch um den Hals windet, verrät, dass sie längst an nichts anderes denkt als an Jochanaan, dessen Kopf sie gleich fordern wird.
Das Ganze spielt in einem Durchgangs- oder Hofraum, der komplett mit knittrigen Goldfolien, um nicht zu sagen Goldschleiern ausgehängt und dekoriert ist (Bühnenbild und Kostüme: Alejandro Tarragüel Rubio). Der Tetrarch lässt sich sein (Kostüm-)Fest eben was kosten. In welchem Land der Palast steht, bleibt unklar; könnte ebenso das Anwesen von einem russischen Oligarchen wie von einem südamerikanischen Drogenboss sein. So wie die Partygäste gekleidet sind, spielt die Oper nicht zu Beginn der christlichen Zeitrechnung, sondern in der Gegenwart – und in einer repressiven Gesellschaft, wo es ganz normal ist, dass man Gegner welcher Art auch immer nach Belieben umbringt. Salome ist barfuß, trägt Leggins zu in ihrem bläulich schimmernden, sich vorne teilenden Abendkleid und ist es gewöhnt, dass sie kriegt, was sie will. Umso mehr irritiert sie der eingekerkerte Guerrillero, der merkwürdigerweise gar keine Augen für sie hat und lieber ein Gebetbuch aus der Hosentasche zieht.
Wenn Jochanaan sein Verlies verlassen darf und endlich auf die Bühne kommt, ist das ein Elementarereignis. Die kraftvolle, ausdrucksstarke Baritonstimme von Gastsolist Thomas de Vries drückt einen fast vom Sitz. Kein Wunder, dass die sich sonst so cool gebende Salome, deren Sopran jugendlich glänzt, sich ausgerechnet für ihn erwärmt, denn ihre Mutter Herodias (Gabriele Künzler) keift mehrheitlich, und Stiefvater Herodes (Gastsolist Christian Franz) ist stimmlich auch nicht mehr der Jüngste. Sie und die weiteren, musikalisch präzise einstudierten Mitwirkenden sind Protagonisten eines unaufdringlich und mit Bedacht inszenierten Kammerspiels, das bestimmt nicht aus heiterem Himmel schrecklich endet. Die üblichen Männerphantasien sind nicht nur Herodes vorbehalten, Salome ist zwar auch ein Vamp, der über Leichen geht, aber so, wie sie aufgewachsen ist, weiß sie es vielleicht nicht besser.
Die Frage, ob ein Strauss-Orchester in den Graben des klassizistischen Coburger Theaterbaus passt, hat der Komponist gewissermaßen selbst beantwortet. Als etliche kleinere Bühnen nach der Dresdener Uraufführung 1905 die skandalumwitterte Oper schnell nachspielten, merkte er zufrieden an, dass in Breslau siebzig Musiker ausreichten, um seine „Salome“ zu einem Sensationserfolg zu machen. In Coburg sind es genau 67 Instrumentalisten, die unter Generalmusikdirektor Roland Kluttig jene Fassung spielen, die seit 1917 im Landestheater aufgeführt wird und auch 2015 für einen Riesenerfolg gut ist. Zurecht gab es bei der Premiere Jubel für alle Beteiligten, zurecht holte auch das Orchester, das die Anforderungen und Klippen der Partitur mit Bravour meisterte, sich seinen Applaus auf der Bühne ab. Unter den Premierengästen Dame Gwyneth Jones, unter anderem Brünnhilde im legendären Bayreuther Chéreau-„Ring“ , deren zweiter Mann Adrian Müller einige „Salome“ -Vorstellungen dirigiert. Angesprochen auf die Schwierigkeiten der Salome-Partie sagte die phänomenale Sängerdarstellerin Jones trocken: „Ich hab sie über hundert Mal gesungen.“ Womit sich flugs der Eindruck relativierte, dass Ute Döring bei ihrem Rollendebüt anfangs noch zu nervös war, um sofort auch schauspielerisch alles zu geben.
Besuchte Vorstellung am 7. Februar 2015 (Premiere), weitere Aufführungen im Landestheater Coburg am 13., 20. und 26. Februar, 14. und 24. März, 5. und 15. April sowie am 7. und 20. Mai. Karten gibt es telefonisch unter 09621/898989 sowie online auf der Homepage des Landestheaters.
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