Merkwürdig. Warum kamen mir in der Münchner Neuinszenierung von Claude Debussys „Pelléas et Mélisande“ immer wieder zwei frühere Bayreuth-Produktionen in den Sinn? Weil Regisseurin Christiane Pohle in dieser aus dem Rahmen fallenden, symbolistischen und impressionistischen Oper ästhetisch Christoph Marthalers „Tristan“ von 2005 weiterführt und überzeugend Parallelwelten realisiert hat, wie sie auch Tankred Dorst für seine Version der „Ring“-Tetralogie von 2006 vorgeschwebt haben.
Zum Auftakt der Münchner Opernfestspiele präsentierte die Bayerische Staatsoper im Prinzregententheater ausnahmsweise kein opulentes Futter für Schaulustige, sondern eher das Gegenteil: eine in jeder Hinsicht kunstvoll austarierte Produktion für ein Publikum, das die Bereitschaft mitbringen sollte, sich auf Ungewohntes einzulassen und genau hinzusehen. Dann kann dieser abstrahierende, ja abweisende und doch voller Gefühle und Rätsel steckende „Pelléas“ ein großes und berührendes Opernerlebnis sein – ob das auch auf den Sitzplätzen der hintersten Reihen oder im noch größeren Nationaltheater funktioniert, ist allerdings fraglich.
Es ist ein artifizielles Kammerspiel, eine Versuchsanordnung über das Scheitern von Beziehungen, von menschlicher Kommunikation, in der die Figuren auf sich allein gestellt sind, in ihren Traumwelten verhaftet bleiben und kaum ernsthaft miteinander agieren. Parallel zum regulären Handlungspersonal gehen in der erst noch intakten, dann einsturzgefährdeten Hotel-Lobby samt Anbau mit Lichtschacht (Bühne: Maria-Alice Bahra, Licht: Benedikt Zehm) ebenso präzise und intensiv geführte Statisten ein und aus – und seltsamen Geschäften nach.
Die Rituale, deren Sinn sich nicht erschließt, spiegeln all die unerklärlichen, wenig hellen und mehr dunklen Vorgänge, die Debussy und sein Librettist Maurice Maeterlinck in dieses Werk versenkt haben. Schon in Mélisandes „Ne me touchez pas!“, ihrem ersten Rührt-mich-nicht-an, stecken vor allem viele Fragen, die die Regisseurin absichtsvoll unbeantwortet lässt. Sie gibt sie vielmehr weiter, zeigt auf subtile Weise und ohne zu interpretieren, was in den Figuren vorgeht, die in ihrem Outfit zumeist an Modellbaufiguren von Preiser erinnern (Kostüme: Sara Kittelmann).
Die konkreten Äußerlichkeiten des eher stillen Ehe- und Eifersuchtsdramas bleiben außen vor, alles ist auf das Innere dieser scheinbar etablierten, in Wahrheit entwurzelten Menschen gerichtet, die von Männern mit Hasenköpfen oder riesigen weißen Flügeln träumen und heimgesucht werden von antikisierenden Frauen, hoch aufragend in wallendem Weiß und geheimnisvoll verschleiert in Schwarz wie ein Todesschatten.
Kein Wunder, dass der Schlussakt sich minimalistisch in einer Sofa- und Stuhlreihe an der Rampe abspielt. Die Fassungs- und Hoffnungslosigkeit, die zum Ende hin in feinen Differenzierungen aus allen Gesichtern und den immer noch funktionierenden Körpern abzulesen ist – nur Pelléas bekommt seinen Bühnentod, Mélisande erhebt sich einfach aus ihrem Sterbsofa und geht ab –, verwebt sich wunderbar mit der Musik, deren traurige Farben sich festsetzen.
Während nach der Premiere am Sonntag – zumindest der Rundfunkübertragung nach – ein Orkan über das Regieteam hereinbrach, gab es bei der besuchten zweiten Vorstellung kein einziges Buh. Die exzellenten Sänger, die durch die Bank auch das Konzept ideal ausfüllen, wurden begeistert gefeiert – allen voran Elena Tsallagova und Elliot Madore in den Titelpartien, Markus Eiche als Golaud, Hanno Eilers vom Tölzer Knabenchor als Yniold und Alastair Miles als Arkel. Ebenso festspielwürdig Dirigent Constantinos Carydis und das Bayerische Staatsorchester, die dafür sorgen, dass aus dem Graben ein transparenter, aber auch dramatischer Klang kommt, der diesen Abend kostbar macht.
Premiere am 28. Juni, besuchte zweite Vorstellung am 1. Juli 2015, weitere Aufführungen während der Münchner Opernfestspiele am 4. Und 7. Juli. Karten gibt es telefonisch unter 089/2185-1920 sowie online auf der Homepage der Staatsoper.
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