Trommeln gehört zum Geschäft. Die Kampagne zur „Rheingold“-Produktion der ersten Ruhrtriennale unter Intendant Johan Simons versprach nicht weniger als, passend zum Festival-Motto „Seid umschlungen“, den Ruhrpott konkret einzubeziehen und dieses Wagnerwerk durch zusätzliche Texte und Musik spektakulär aufzubrechen. Herausgekommen ist dabei – nachdem die Aufführung des normalerweise pausenlos gespielten, zweieinhalbstündigen Werks zunächst mit Pause vier (!) Stunden dauern sollte – ein zweidreiviertelstündiges Revolutiönchen ohne Pause mit Bergwerk-Nostalgie, das sich mit ein paar Einschränkungen sehen und hören lassen kann.
Natürlich ist die Kapitalismuskritik, die das Regieteam akzentuiert, nichts Neues: Die hat unter anderem schon George Bernard Shaw 1896 in seinem Wagner-Brevier eindrucksvoll beschrieben. Aber sie gewinnt an Schärfe, wenn das Stück – die Ruhrtriennale präsentiert „Das Rheingold“ als Solitär, eine Weiterarbeit bis zur kompletten Tetralogie ist nicht geplant – auf eine vorangegangene Apokalypse folgt. Es ist ein „Rheingold“ nach einer „Götterdämmerung“, denn das Szenarium in der riesigen Jahrhunderthalle zeigt auf untersten Ebene die Reste einer zerstörten Zivilisation: drei Wasserbrachen mit Abfall und Geröll, aus denen eine hochherrschaftliche Stuckdecke samt Kronleuchter herausragt. Hier spielen sich wesentliche Teile des Dramas ab, das mit einer verstörenden Rheintöchterszene beginnt.
Bergmann Alberich stößt auf drei leblose Sexpuppen, die ihm die verführerisch zunächst auf der höheren Orchesterebene singenden Rheintöchter als Liebesersatz anbieten – eine raffinierte Brechung. Frauen sind hier eher Verfügungsmasse, das spiegeln auch Freia, die sich zuerst in Sadomasokluft an der Leine führen lässt, und Fricka, die in ihrem Outfit à la Bette Davies immer wieder in seltsame Knick-Bewegungen verfällt. Über und hinter dem zentral aufgebauten Orchester, durch das die mikrofonverstärkten Solisten wuseln, steht ein Baugerüst samt der bunkerhaften Fassade einer Villa Hügel, die einzugsfertig scheint. Wotan ist der zunächst etwas blass wirkende Direktor in braunkariertem Anzug, sein Speer der goldene Stift, mit dem er Verträge unterzeichnet.
Was die Inszenierung spannend macht, sind die intensiv herausgearbeiteten Beziehungen zwischen den Figuren und deren Gefühle. Dass Alberich und Mime Brüder sind, war wohl noch nie so eindringlich zu sehen wie nach der Fluchszene, und wenn Fafner nach dem Brudermord nicht aufhört, kindlich seine Beute zu streicheln, ist das genauso vielsagend wie ein Wotan, der sich demütig zu der öfter präsenten, fast blinden und ziemlich alten, dafür aber Mythos ausstrahlenden Erda legt. Der Regisseur versucht an zentralen Stellen zu abstrahieren, greift lieber zu einfachen Theatermitteln und konkreten Bildern.
Dass in dieser von vornherein heillosen Welt jeglicher Humor fehlt, verwundert nicht, manch modische Regietheaterzutaten à la Sebastian Baumgarten (mit Zuschauerstatisten auf der Bühne wie im aus guten Gründen schnell in die Versenkung gefahrenen Bayreuther „Tannhäuser“) und der Ihr-seid-gemeint-Beleuchtungseffekt wirken sehr verzichtbar. Wie Frank Castorf im aktuellen Bayreuth-„Ring“ bringt auch Johan Simons eine Figur ein, die im Original so nicht vorhanden ist: Der Schauspieler Stefan Hunstein ist allgegenwärtig; im Programmheft firmiert er als Diener und als Sintolt der Hegeling (welcher ein toter Held ist, den die Walküre Helmwige nach Walhall bringt, was danach aussieht, als hätte der Dramaturg einen kleinen Wissenstest für Wagnerkenner eingebaut). Neben der weitgehenden Dienerfunktion – mal serviert er Drinks und leckt Freia die Stiefel, mal fängt er die zusammenknickende Fricka auf und kleidet Wotan für die Umzugs-Gala ein – gestaltet er szenisch das, was im Vorfeld groß als das Aufbrechen der Partitur angekündigt wurde.
Der Aufbruch dauert keine Viertelstunde und passiert im Wesentlichen während des Übergangs nach Nibelheim. Zu den vom als Schmied kostümierten Fafner spektakulär vorgeführten Hammerschlägen (die an anderer Stelle auch ausschwärmende Orchestermusiker und der Dirigent vollführen) fährt Mika Vainio einen elektronischen Klangteppich auf, der den Auftritt Hunsteins untermalt, der erst mit, dann ohne Megaphon alte und neue Texte skandiert, die die trostlose Realität und die revolutionäre Botschaft des Stücks widergeben; es handelt sich um Fragmente aus Cormac McCarthys „Die Straße“ (die schon Calixto Bieito für seine Stuttgarter „Parsifal“-Inszenierung inspirierte), aus Wagners Revolutionsschriften, aus Jorges Luis Borges „Buch von Himmel und Hölle“, Marquis de Sades „Die 120 Tage von Sodom“, Elfriede Jelineks „Rein Gold“ sowie ein Satz aus einem Brief von Joseph Brodsky an Vàclav Havel.
Das Ganze ist ein netter Versuch, den man damit abhaken kann, denn es zeigt sich, dass das Original besser ist und ohnehin alles sagt. Sprich: Was Teodor Currentzis und sein um einige Musiker verstärktes Orchester MusicAeterna aus Perm bieten, ist ein sehr plastischer und rhetorischer Sound, der mehr sagt als das zusätzliche, vom laut aufs Glasdach prasselnden Starkregen während der Premiere ohnehin verwässerte elektronische Gedöns. Immerhin: Die schon vor der Aufführung zu hörenden, verfremdeten Es-Dur-„Rheingold“-Klänge von Mika Vainio stimmen das Publikum musikalisch positiv auf das Kommende ein. Im „Rheingold“-Teil der Homepage der Ruhrtriennale gibt es unter Info übrigens einen 16-minütigen Soundtrack zum Runterladen und das Programmheft zum Ausdrucken.
Zurück zur Vorstellung. Ähnlich wie bei den Tiroler Festspielen im Passionshaus Erl mit dem Orchester auf der Bühne ist der Orchesterklang direkter als in herkömmlichen Opernhäusern. Man nimmt die Instrumentengruppen differenzierter wahr als sonst, was schon allein den Abend spannend macht. Wenn gar an hochdramatischen Stellen Teodor Currentzis die Streicher aus ihren Sitzen hochjagt und im Stehen gegeigt wird, versteht plötzlich jeder, wie wichtig bei jedem Musiker die Körperspannung ist. Der Schluss klingt derart pompös, dass man unschwer die Zweifel heraushören kann, die szenisch ohnehin unmissverständlich formuliert sind: Aus dem Einzug der Götter in Walhall wird nichts, es kann nur wieder ein Untergang folgen.
Es sind aber auch die vielen leisen, zarten Stellen, die für Teodor Currentzis’ Lesart einnehmen, der insgesamt eher langsam, aber nie spannungslos dirigiert. Die Sänger sind mit einer Ausnahme hervorragend. Schon die blau gekleideten und gummibestiefelten Rheintöchter sind mit Anna Patalong (Woglinde), Dorottya Láng (Wellgunde) und Jurgita Adamonyte (Floßhilde) luxuriös besetzt; gleiches gilt für Maria Riccarda Wesseling (Fricka), Agneta Eichenholz (Freia) und besonders für Jane Henschel, die eine Erda zeigt, die man nicht vergessen kann. Bei den männlichen Solisten kommt nur Peter Bronders stimmlich etwas ausgelaugter, darstellerisch aber prägnanter Loge nicht an die Gesamtleistung seiner Kollegen heran. In den kleineren Partien überzeugen Andrew Foster-Williams (Donner), Rolf Romei (Froh), Frank van Hove (Fasolt), Peter Lobert (Fafner) und vor allem Elmar Gilbertsson als Mime, Mika Kares ist nicht nur stimmlich ein Wotan mit Zukunft und Leigh Melrose als Alberich schlichtweg eine sängerdarstellerische Wucht.
Feinere Ohren hören allerdings heraus, dass die fremdsprachigen Solisten, der Dirigent und vermutlich das Gros der Korrepetitoren das Wagnerdeutsch noch nicht bis ins kleine, aber wichtige Detail verinnerlicht haben. Ovationen am Schluss. Dass einen beim Hinausgehen dann wieder elektronische Verfremdungen begleiten, ist zwar logisch, aber unnötig, ja störend, denn die Köpfe der Besucher sind ohnehin rappelvoll von gewaltigen Eindrücken.
Besuchte Premiere am 12. September 2015, weitere Vorstellungen am 16., 18., 20., 22., 24 und 26. September.
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