Ein turbulentes Opernvergnügen: Josef Köpplinger inszeniert Gioacchino Rossinis „Barbier von Sevilla“ am Staatstheater Nürnberg.
Wissen Sie, was ein Grattler ist? Laut Eckhard Henscheid, dem sprachmächtigen Menschenbeobachter aus der Oberpfalz, ist er ein Eckensteher mit Blockwartmentalität, eine Art nichtsnutziger Hausmeister, den es natürlich nicht nur in der Oberpfalz oder in Niederösterreich, sondern überall gibt. Auch in Andalusien – und seit Sonntag sogar in Gioacchino Rossinis komischer Oper „Il Barbiere di Siviglia“ (Der Barbier von Sevilla), die bei der Uraufführung 1816 in Rom noch ein Reinfall war, dann aber weltweit zum zeitlosen Renner wurde. Jetzt auch wieder in Nürnberg.
Rossinis „Barbier“ ist nicht umsonst der älteste Bestseller des Musiktheaters. Der Text von Cesare Sterbini nach dem gleichnamigen Lustspiel von Beaumarchais ist ebenso genial wie die Musik, die bei aller Leichtigkeit hin- und mitreißend, ja geradezu elektrisierend wirken kann. Dazu hat Rossini den Hauptfiguren glanzvolle Arien auf den Leib geschrieben, Paradenummern mit gesangstechnisch sehr hohen Hürden. Die ironische Dreiecksgeschichte wird getragen von Commedia dell’arte-Typen, von denen keiner das ist, was er zu sein vorgibt.
Was Josef Köpplinger aus der komödiantischen Maskerade am Staatstheater Nürnberg gemacht hat, ist einfach sehenswert. Der aus Niederösterreich stammende Theatermann, der seit ein paar Jahren Intendant des Münchner Gärtnerplatztheaters ist und schon 1991 bei seinem Debüt als Operettenregisseur in Regensburg überzeugte, versetzt zusammen mit seinen kongenialen und geschmacksicheren Ausstattern (Bühne: Harald Thor, Kostüme: Gabriele Heimann) die Mitte des 18. Jahrhunderts spielende Rossini-Oper ins Spanien der ausgehenden Franco-Ära – in eine autoritäre Zeit, in der Adel, Klerus, Bürgertum und Militär gerade noch das Sagen haben, bevor das korrupte System implodiert.
Genau dahinein passt der Grattler wie die Faust aufs Auge – eine hinzuerfundene, Ambrosio genannte Figur, der Diener des Doktors Bartolo, welcher wiederum sein Mündel Rosina heiraten will, was der sich mehrfach verkleidende Graf Almaviva mithilfe des umtriebigen Faktotums Figaro erfolgreich unterläuft. Ständig ist Schmiergeld im Spiel. Und als hätten die Hauptfiguren nicht genug um die Ohren, widmet sich der Regisseur so intensiv Nebenfiguren, dass man oft nicht weiß, wohin man zuerst schauen soll. Macht aber nichts, denn wer glaubt, etwas verpasst zu haben, kann ja öfter nach Nürnberg fahren.
Was die Solisten betrifft, so sei an erster Stelle zunächst dem sängerdarstellerisch herausragenden Ludwig Mittelhammer als Titelheld Figaro ein Loblied gesungen. In Abstufungen folgen Nikolai Karnolsky als sich teuflisch aufblähender Basilio, die etwas zu wenig maliziöse Rosina von Ida Aldrian, der spielfreudige, aber noch nicht ganz koloratursichere Martin Platz als Graf Almaviva, Eun-Joo Ham als Puff- und Hausmutter Berta sowie Jens Waldig als Doktor Bartolo, der bei der Premiere mit dem schnellen Parlandostil zu kämpfen hatte.
Aber mindestens genauso wichtig ist der musikalisch von Tarmo Vaask hervorragend einstudierte und pantomimisch extrem geforderte Herrenchor, ganz zu schweigen von den perfekt ausgewählten und körpersprachlich exakt geführten Statisten, von denen in meiner Beliebtheitsskala die Metzgerfamilie mit der ständig in Ohnmacht fallenden Mutter ganz oben steht. Und natürlich Dieter Fernengel als Grattler Ambrosio, der mit Inbrunst das Franco-Bildnis poliert und als einzige Figur eine echte Entwicklung durchmacht, weil die Zahl seiner Verletzungen beständig und dramatisch zu- und für Katzenfreunde ein bitteres Ende nimmt.
Die berühmte Gewitterszene kann man anders, aber kaum besser machen. Da genügen im abstrahierten und sehr beweglichen Häuser- und Treppengewirr ein paar gut choreographierte Statisten mit Regenschirmen, klappernde Fensterläden und Türen, das aus den Fugen geratene Haus, Blitzschlag, Donner, Nebel und Wind, bis zum krönenden Abschluss auch noch eines der kleinen Häuschen im Hintergrund abhebt zu seiner Himmelfahrt. Was für ein Theatercoup, was für ein Opernvergnügen! Was macht es da schon aus, wenn es auch im Orchester unter Volker Hiemeyer zuweilen klappert?
Erstveröffentlichung am 15. Mai 2018 im Feuilleton des Fränkischen Tags. Besuchte Premiere am 13. Mai 2018. Weitere Vorstellungen am 15., 19., 21. und 31. Mai sowie im Juni und Juli. Karten unter Telefon 0180-1-344-276, weitere Infos auf der Homepage des Staatstheaters
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