Im Meer aufgewühlter Herzen

Mo­zarts „Ido­me­neo“ setzt den Rei­gen der Tro­ja-Oper am Staats­thea­ter Nürn­berg fort.

Mit Waf­fen­ge­walt er­kämpft sich Il­lia (Ina Yo­shi­ka­wa) von Ido­me­neo (Il­ker Ar­ca­yü­rek links) die Wahr­heit um das Schick­sal von Ida­man­te (Ida Al­dri­an rechts). Foto: Lud­wig Ola

Nep­tun zu Eh­ren win­det sich schon auf dem Vor­hang des Nürn­ber­ger Opern­hau­ses ein Ok­to­pus und stimmt das Pu­bli­kum per­fekt ein auf die Co­mic-Äs­the­tik der Neu­in­sze­nie­rung von „Ido­me­neo“, die ei­nen un­ge­wöhn­li­chen Blick­win­kel auf­greift. Wäh­rend der Ou­ver­tü­re läuft ein kind­lich wir­ken­der Zei­chen­trick­film, der die Vor­ge­schich­te des­sen zeigt, was sich zu­nächst an ei­nem mit Holz­pferd­chen und Luft­bal­lon be­stück­ten Strand, spä­ter im trotz Kris­tall­lüs­ter düs­te­ren Thron­saal  und schließ­lich in ei­ner kriegs­ver­sehr­ten Welt ab­spielt, der man das nach der Pau­se auf dem Vor­hang avi­sier­te „de­stin cru­del“, das grau­sa­me Schick­sal un­schwer an­sieht. Es trifft zwar auch die Ti­tel­fi­gur, vor al­lem aber zwei jun­ge Men­schen, fast noch Kin­der – und ge­nau das in­ter­es­siert Re­gis­seur Da­vid Bösch am meisten.

Es ist die kind­li­che Per­spek­ti­ve, die die auf Kre­ta spie­len­de Tro­ja-Oper von Wolf­gang Ama­de­us Mo­zart in Nürn­berg se­hens­wert macht. Der Re­gis­seur und sei­ne Aus­stat­ter Pa­trick Bann­wart (Büh­ne) und Fal­ko He­rold (Büh­ne, Kos­tü­me, Vi­deo) ha­ben die­se In­ter­pre­ta­ti­on erst­mals vor fünf Jah­ren in Ba­sel und da­nach noch in Ant­wer­pen rea­li­siert, und man kann gut ver­ste­hen, war­um In­ten­dant Pe­ter Thei­ler in sei­ner letz­ten Sai­son in Nürn­berg die­se In­sze­nie­rung auch für sein Haus ge­bucht hat: Sie passt dra­ma­tur­gisch zu den zu den „Tro­ja­nern“ von Hec­tor Ber­li­oz zum Spiel­zeit­be­ginn und Clau­dio Mon­te­ver­dis „Rück­kehr des Odys­seus“ zum Spiel­zei­ten­de, und sie ent­wi­ckelt ge­ra­de aus der ver­meint­lich ein­fa­chen kind­li­chen Sicht ei­nen Sog, dem sich, trotz ei­ni­ger Län­gen im ers­ten Teil, kei­ner ent­zie­hen kann.

Was viel mit der Aus­stat­tung zu tun hat, die spie­le­risch leicht und poe­tisch nicht nur Na­tur­ge­wal­ten und Un­ge­heu­er aus­spuckt, son­dern mit mehr als ei­nem Hauch von Go­thic auch in die mensch­li­chen Ab­grün­de führt. Dass die ge­fan­ge­ne tro­ja­ni­sche Prin­zes­sin Il­lia (ein­fühl­sam: Ina Yo­shi­ka­wa) trotz ih­rer pas­tell­far­be­nen Hei­ter­keit trau­ma­ti­siert ist, mar­kiert nicht nur eine klei­ne Grab­stät­te an der Ram­pe.  Wäh­rend bei ihr der Wi­der­streit der Ge­füh­le in Lie­bes­auf­op­fe­rung und auf ei­ner Art Kal­va­ri­en­berg gip­felt, darf die äl­te­re Elet­tra (fu­ri­os: Leah Gor­don) ih­ren Hass so­gar noch in der oft ge­stri­che­nen Arie am Schluss her­aus­las­sen und mehr­fach zu­sam­men mit ih­rem Bru­der Orest auf­tre­ten, der mit und ohne Ha­cke­beil schwer an Ozzy Os­bor­ne er­in­nert (sze­ni­sche Ein­stu­die­rung: Bar­ba­ra Horá­ko­vá Joly).

Bei den weib­li­chen Fi­gu­ren geht es haupt­säch­lich um Lie­be be­zie­hungs­wei­se nicht er­wi­der­te Lie­be, beim kö­nig­li­chen Ti­tel­hel­den (mit Aus­nah­me der Ko­lo­ra­tu­ren be­stechend: Il­ker Ar­ca­yü­rek) und des­sen Sohn Ida­man­te (groß­ar­tig: Ida Al­dri­an) um eine exis­ten­zi­ell al­ter­na­tiv­lo­se Si­tua­ti­on: Der schiff­brü­chi­ge kö­nig­li­che Kriegs­heim­keh­rer hat Mee­res­gott Nep­tun in To­des­angst ein Men­schen­op­fer ver­spro­chen: Der ers­te, den er an Land trifft, ist aus­ge­rech­net sein Sohn, was bei­de in schwe­re Kon­flik­te stürzt – den Va­ter, der lan­ge nicht mit der Spra­che her­aus will und da­mit Un­heil aus­löst, den pu­ber­tä­ren Sohn, der umso mehr ver­un­si­chert ist, weil ihm Schuld­ge­füh­le auf­ge­zwun­gen wer­den, die nicht die sei­nen sind.

Das „lie­to fine“, das von den Göt­tern ver­ord­ne­te Hap­py End die­ser un­ge­wöhn­li­chen Mi­schung aus Ope­ra se­ria und Tra­gé­die ly­ri­que, fin­det nicht statt. Kann nicht statt­fin­den, denn – das il­lus­trie­ren auch die im 3. Akt schwer ver­letz­ten Chor­in­di­vi­du­en – so viel Aus­weg­lo­sig­keit kann kei­ner aus­hal­ten.  Die zum Teil al­ter­nie­ren­den So­lis­ten, samt und son­ders Rol­len­de­bü­tan­ten, und der von Tar­mo Vaask ein­stu­dier­te Chor sind ins­ge­samt vor­züg­lich, die Staats­phil­har­mo­nie un­ter Mar­cus Bosch un­ter­malt und trägt das Ge­sche­hen in his­to­ri­sie­ren­der Auf­füh­rungs­pra­xis, mit schrä­gem Na­tur­horn- und vi­bra­to­lo­sem Gei­gen­klang so­wie mit Ma­rie-Eli­se Boy­er am Ham­mer­kla­vier für die Rezitative.

Das ent­fes­sel­te Meer und sons­ti­ge Un­ge­heu­er­lich­kei­ten ge­lin­gen am bes­ten, was stre­cken­wei­se noch fehlt, ist die fe­dern­de Leich­tig­keit ei­nes spre­chen­den Mo­zart-Or­ches­ters, wie sie in Nürn­berg zu­letzt, al­ler­dings beim kom­po­si­to­risch und sti­lis­tisch run­de­ren „Fi­ga­ro“ un­ter Pe­ter Til­ling ide­al er­reicht wur­de. Ge­spielt wird die Münch­ner Fas­sung von 1781 ohne Bal­lett­num­mern, und un­ter an­de­rem ohne Ido­me­ne­os letz­te Arie, denn der­lei Glücks­ju­bel ver­bie­tet sich an­ge­sichts der re­gie­li­chen Schlusslösung.

Be­such­te Pre­mie­re am 17. Fe­bru­ar, wei­te­re Ter­mi­ne am 21. Fe­bru­ar, 4., 11., 16. und 31. März, 17. und 28. April, In­fos auf der Home­page des Staats­thea­ters Nürnberg

Erst­druck auf der Feuil­le­ton­sei­te des Frän­ki­schen Tags am 21. Fe­bru­ar 2018

Zum Ende des 1. Akts spen­det der Mee­res­gott den Kriegs­heim­keh­rern durch ei­nen Ok­to­pus Sü­ßig­kei­ten. Foto: Lud­wig Olah