Premierenabbruch in Coburg: Tenor Milen Bozhkov als Prinz in Antonín Dvořáks „Rusalka“ war erst zur dritten Vorstellung wieder fit.
Was für ein Krimi! Die Neuinszenierung am Landestheater Coburg von Antonín Dvořáks „Rusalka“ ist nicht nur angelegt wie ein Kino-Thriller mit viel Suspense, sondern bot dem Premierenpublikum zusätzlich Unerwartetes: Schon zu Beginn musste Generalmusikdirektor Roland Kluttig Ensemblemitglied Milen Bozhkov, der den Prinzen singen sollte, als plötzlich erkrankt ankündigen. Der heldenhaft gegen die von einer Pollenallergie ausgelöste Indisposition ankämpfende Tenor schaffte es aber nicht, die Vorstellung zu retten. Zunehmend war er gezwungen, nicht nur die extremen Spitzentöne seiner Partie wegzulassen und konnte vieles nur markieren. Nach der Pause erfolgte, vom verständigen Publikum zustimmend begleitet, der Abbruch der Premiere. Auch die drei Tage später angesetzte Aufführung fiel aus. Erst eine Woche später konnte mit dem dafür eigens einstudierten Gast Mirko Roschkowski die neue Coburger „Rusalka“ komplett dargeboten werden. Zwölf Tage nach der geplatzten Premiere war dann auch der hauseigene Tenor wieder gesundet und spielte und sang die dritte Vorstellung bravourös – mit wieder völlig intakter, geschmeidiger, farbenreicher, warmer und strahlkräftiger Stimme.
Dass die abgebrochene Premiere sogar auf Norman Lebrechts Musikplattform „Slipped Disc“ spöttischen Niederschlag fand, braucht die Verantwortlichen nicht zu grämen: Offenbar hat es sich nicht bis nach Großbritannien herumgesprochen, dass das Landestheater sich zwar in derselben Stadt befindet, aus der Queen Victorias Prinzgemahl kommt, aber finanziell und personell keineswegs ausgestattet ist wie das Royal Opera House und Hauptrollen nicht automatisch covern kann – schon gar nicht bei einer Oper in tschechischer Originalsprache. Abgesehen davon lag es auch am Konzept von Tobias Heyder, dass auf die Schnelle ein Ersatz gar nicht zu finden war. Denn der Regisseur erzählt „Rusalka“ von Beginn an aus der Sicht des träumenden Prinzen, der im Labyrinth seines dunkel tapezierten, modern und kühl möblierten, sehr heutigen Palastes (Bühne: Georg & Paul, Kostüme: Verena Polkowski) seine Traumfrau imaginiert.
Die Titelheldin ist keine Nixe, keine Märchenfigur. Sie kommt aus einer Familie, die eine Vorliebe für farbiges Wassergetier und Wasserpflanzen hat – mit dem Zeitung lesenden Vater (Wassermann: Michael Lion), der gestrengen, geheimnisvoll-zauberkräftigen Mutter (Ježibaba: Kora Pavelic) und ihren drei unbeschwerten Schwestern (Waldelfen: Julia da Rio, Anna Gütter und Emily Lorini). Rusalka (sängerdarstellerisch beeindruckend: Judith Kuhn) lässt sich ein auf die Projektion des Prinzen, wechselt in ihrem unschuldsweißen Kleid verliebt und fast somnambul hinüber in eine ihr fremde Welt, die sich für sie zunehmend als Alptraum erweist. Wie in einem Horrorfilm stößt die jetzt stumme junge Frau immer mehr auf Ablehnung, Hindernisse, Neid, Missgunst und rohe Gewalt. Am Ende, nachdem der Diener (Heger/Jäger: Franz Xaver Schlecht) und die Zofe (Küchenjunge: Anna Gütter) sie gedemütigt und missbraucht haben, nachdem die Fremde Fürstin (Marlene Lichtenberg) den Prinzen verführt hat und die ganze Gesellschaft ihr blutbesudelt erscheint, nach zahllosen Rotationen des sich immer wieder verändernden Palastgefängnisses gibt sie dem Prinzen den ihn erlösenden tödlichen Kuss.
Während die szenische Umsetzung in ihrer unheilschwangeren Stimmung Assoziationen an Stanley Kubricks Film „Shining“ weckt, kommt aus dem Orchestergraben durchaus das, was Eduard Hanslick, Kritiker und Zeitgenosse Dvořáks, als „mächtigen Zauber der Natürlichkeit“ bezeichnet hat. Das 1901 uraufgeführte, vom Komponisten so bezeichnete lyrische Märchen in drei Akten, wurde zwar etwas gekürzt, aber authentisch klingend interpretiert. Man hört dem Philharmonischen Orchester an, dass es sich in den letzten Jahren mehrfach mit Musik von Wagner und Janáček beschäftigt hat und sich unter seinem GMD und weiteren Dirigenten im Konzertfach durch zusätzliche Auftritte im Gesellschaftshaus Sonneberg mehr Feinschliff angeeignet hat.
„Auf dieser Produktion“, zitierte das „Coburger Tageblatt“ Dirigent Roland Kluttig nach der Premiere im zweiten Anlauf, „hat ein Fluch gelegen. Aber wir blasen diesen Fluch einfach weg.“ Was bestimmt nicht so einfach war, wie der auch im Direktorium rührige GMD glauben machen wollte. Denn seit dem Jahreswechsel hatte das Landestheater auffallend viele krankheitsbedingte Ausfälle zu verkraften. Während „Tosca“ zum Saisonbeginn mit Bozhkov als Cavaradossi und Gastsolistin Celeste Siciliano ein ungetrübter Renner war, stand die „Cenerentola“ Anfang Februar unter keinem guten Stern, weil erst der vorgesehene Regisseur unmittelbar vor Probenbeginn ersetzt werden musste und bei der Premiere und zwei weiteren Aufführungen der Bariton, der den Diener Dandini singen sollte, stimmlich ausfiel und durch einem neben der Bühne postierten Einspringer komplettiert wurde. Bleibt zu hoffen, dass wenigstens beim „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ zum Saisonende (ab 22. Juni) alle Beteiligten so fit sind, dass selbst Mond von Alabama schwach wird.
Besuchte abgebrochene Premiere am 22. April sowie die 3. Vorstellung am 4. Mai 2018. Weitere Aufführungen am 15., 18., 24., 26. und 31. Mai sowie 10. Juni und 27. Juni. In den letzten drei Vorstellung gibt Betsy Horne die Titelpartie. Weitere Infos auf der Homepage des Landestheaters
Ähnliche Beiträge
- „Lebende Bilder“ mit lauter Untoten 14. März 2018
- Im September startet der Coburger „Ring“ 9. April 2019
- Die Nebenfiguren sind der Hit 17. Mai 2018
- Fulminantes Musiktheaterfeuerwerk 22. April 2018
- Es ist das reine Opernglück 18. April 2017