Statt Rusalka wurde der Prinz stumm

Pre­mie­ren­ab­bruch in Co­burg: Te­nor Mi­len Bozhkov als Prinz in An­tonín Dvořáks „Ru­sal­ka“ war erst zur drit­ten Vor­stel­lung wie­der fit.

Sze­ne aus „Ru­sal­ka“ mit Ju­dith Kuhn in der Ti­tel­rol­le und Mi­len Bozkhov als Prinz   Foto: Se­bas­ti­an Buff

Was für ein Kri­mi! Die Neu­in­sze­nie­rung am Lan­des­thea­ter Co­burg von An­tonín Dvořáks „Ru­sal­ka“ ist nicht nur an­ge­legt wie ein Kino-Thril­ler mit viel Sus­pen­se, son­dern bot dem Pre­mie­ren­pu­bli­kum zu­sätz­lich Un­er­war­te­tes: Schon zu Be­ginn muss­te Ge­ne­ral­mu­sik­di­rek­tor Ro­land Klut­tig En­sem­ble­mit­glied Mi­len Bozhkov, der den Prin­zen sin­gen soll­te, als plötz­lich er­krankt an­kün­di­gen. Der hel­den­haft ge­gen die von ei­ner Pol­len­all­er­gie aus­ge­lös­te In­dis­po­si­ti­on an­kämp­fen­de Te­nor schaff­te es aber nicht, die Vor­stel­lung zu ret­ten. Zu­neh­mend war er ge­zwun­gen, nicht nur die ex­tre­men Spit­zen­tö­ne sei­ner Par­tie weg­zu­las­sen und konn­te vie­les nur mar­kie­ren. Nach der Pau­se er­folg­te, vom ver­stän­di­gen Pu­bli­kum zu­stim­mend be­glei­tet, der Ab­bruch der Pre­mie­re. Auch die drei Tage spä­ter an­ge­setz­te Auf­füh­rung fiel aus. Erst eine Wo­che spä­ter konn­te mit dem da­für ei­gens ein­stu­dier­ten Gast Mir­ko Rosch­kow­ski die neue Co­bur­ger „Ru­sal­ka“ kom­plett dar­ge­bo­ten wer­den. Zwölf Tage nach der ge­platz­ten Pre­mie­re war dann auch der haus­ei­ge­ne Te­nor wie­der ge­sun­det und spiel­te und sang die drit­te Vor­stel­lung bra­vou­rös – mit wie­der völ­lig in­tak­ter, ge­schmei­di­ger, far­ben­rei­cher, war­mer und strahl­kräf­ti­ger Stimme.

Dass die ab­ge­bro­che­ne Pre­mie­re so­gar auf Nor­man Le­b­rechts Mu­sik­platt­form „Slip­ped Disc“ spöt­ti­schen Nie­der­schlag fand, braucht die Ver­ant­wort­li­chen nicht zu grä­men: Of­fen­bar hat es sich nicht bis nach Groß­bri­tan­ni­en her­um­ge­spro­chen, dass das Lan­des­thea­ter sich zwar in der­sel­ben Stadt be­fin­det, aus der Queen Vic­to­ri­as Prinz­ge­mahl kommt, aber fi­nan­zi­ell und per­so­nell kei­nes­wegs aus­ge­stat­tet ist wie das Roy­al Ope­ra House und Haupt­rol­len nicht au­to­ma­tisch co­vern kann – schon gar nicht bei ei­ner Oper in tsche­chi­scher Ori­gi­nal­spra­che. Ab­ge­se­hen da­von lag es auch am Kon­zept von To­bi­as Heyder, dass auf die Schnel­le ein Er­satz gar nicht zu fin­den war. Denn der Re­gis­seur er­zählt „Ru­sal­ka“ von Be­ginn an aus der Sicht des träu­men­den Prin­zen, der im La­by­rinth sei­nes dun­kel ta­pe­zier­ten, mo­dern und kühl mö­blier­ten, sehr heu­ti­gen Pa­las­tes (Büh­ne: Ge­org & Paul, Kos­tü­me: Ve­re­na Pol­kow­ski) sei­ne Traum­frau imaginiert.

Die Ti­tel­hel­din ist kei­ne Nixe, kei­ne Mär­chen­fi­gur. Sie kommt aus ei­ner Fa­mi­lie, die eine Vor­lie­be für far­bi­ges Was­ser­ge­tier und Was­ser­pflan­zen hat – mit dem Zei­tung le­sen­den Va­ter (Was­ser­mann: Mi­cha­el Lion), der ge­stren­gen, ge­heim­nis­voll-zau­ber­kräf­ti­gen Mut­ter (Ježi­baba: Kora Pa­ve­lic) und ih­ren drei un­be­schwer­ten Schwes­tern (Wald­el­fen: Ju­lia da Rio, Anna Güt­ter und Emi­ly Lo­ri­ni). Ru­sal­ka (sän­ger­dar­stel­le­risch be­ein­dru­ckend: Ju­dith Kuhn) lässt sich ein auf die Pro­jek­ti­on des Prin­zen, wech­selt in ih­rem un­schulds­wei­ßen Kleid ver­liebt und fast som­nam­bul hin­über in eine ihr frem­de Welt, die sich für sie zu­neh­mend als Alp­traum er­weist. Wie in ei­nem Hor­ror­film stößt die jetzt stum­me jun­ge Frau im­mer mehr auf Ab­leh­nung, Hin­der­nis­se, Neid, Miss­gunst und rohe Ge­walt. Am Ende, nach­dem der Die­ner (Heger/​Jäger: Franz Xa­ver Schlecht) und die Zofe (Kü­chen­jun­ge: Anna Güt­ter) sie ge­de­mü­tigt und miss­braucht ha­ben, nach­dem die Frem­de Fürs­tin (Mar­le­ne Lich­ten­berg) den Prin­zen ver­führt hat und die gan­ze Ge­sell­schaft ihr blut­be­su­delt er­scheint, nach zahl­lo­sen Ro­ta­tio­nen des sich im­mer wie­der ver­än­dern­den Pa­last­ge­fäng­nis­ses gibt sie dem Prin­zen den ihn er­lö­sen­den töd­li­chen Kuss.

Sze­ne aus „Ru­sal­ka“ mit Kora Pa­ve­lic als Ježi­baba  Foto: Se­bas­ti­an Buff

Wäh­rend die sze­ni­sche Um­set­zung in ih­rer un­heil­schwan­ge­ren Stim­mung As­so­zia­tio­nen an Stan­ley Ku­bricks Film „Shi­ning“ weckt, kommt aus dem Or­ches­ter­gra­ben durch­aus das, was Edu­ard Hans­lick, Kri­ti­ker und Zeit­ge­nos­se Dvořáks, als „mäch­ti­gen Zau­ber der Na­tür­lich­keit“ be­zeich­net hat. Das 1901 ur­auf­ge­führ­te, vom Kom­po­nis­ten so be­zeich­ne­te ly­ri­sche Mär­chen in drei Ak­ten, wur­de zwar et­was ge­kürzt, aber au­then­tisch klin­gend in­ter­pre­tiert. Man hört dem Phil­har­mo­ni­schen Or­ches­ter an, dass es sich in den letz­ten Jah­ren mehr­fach mit Mu­sik von Wag­ner und Janá­ček be­schäf­tigt hat und sich un­ter sei­nem GMD und wei­te­ren Di­ri­gen­ten im Kon­zert­fach durch zu­sätz­li­che Auf­trit­te im Ge­sell­schafts­haus Son­ne­berg mehr Fein­schliff an­ge­eig­net hat.

„Auf die­ser Pro­duk­ti­on“, zi­tier­te das „Co­bur­ger Ta­ge­blatt“ Di­ri­gent Ro­land Klut­tig nach der Pre­mie­re im zwei­ten An­lauf, „hat ein Fluch ge­le­gen. Aber wir bla­sen die­sen Fluch ein­fach weg.“ Was be­stimmt nicht so ein­fach war, wie der auch im Di­rek­to­ri­um rüh­ri­ge GMD glau­ben ma­chen woll­te. Denn seit dem Jah­res­wech­sel hat­te das Lan­des­thea­ter auf­fal­lend vie­le krank­heits­be­ding­te Aus­fäl­le zu ver­kraf­ten. Wäh­rend „Tos­ca“ zum Sai­son­be­ginn mit Bozhkov als Ca­va­ra­do­s­si und Gast­so­lis­tin Ce­le­s­te Si­ci­lia­no ein un­ge­trüb­ter Ren­ner war, stand die „Ce­neren­to­la“ An­fang Fe­bru­ar un­ter kei­nem gu­ten Stern, weil erst der vor­ge­se­he­ne Re­gis­seur un­mit­tel­bar vor Pro­ben­be­ginn er­setzt wer­den muss­te und bei der Pre­mie­re und zwei wei­te­ren Auf­füh­run­gen der Ba­ri­ton, der den Die­ner Dan­di­ni sin­gen soll­te, stimm­lich aus­fiel und durch ei­nem ne­ben der Büh­ne pos­tier­ten Ein­sprin­ger kom­plet­tiert wur­de. Bleibt zu hof­fen, dass we­nigs­tens beim „Auf­stieg und Fall der Stadt Ma­ha­go­n­ny“ zum Sai­son­ende (ab 22. Juni) alle Be­tei­lig­ten so fit sind, dass selbst Mond von Ala­ba­ma schwach wird.

Be­such­te ab­ge­bro­che­ne Pre­mie­re am 22. April so­wie die 3. Vor­stel­lung am 4. Mai 2018. Wei­te­re Auf­füh­run­gen am 15., 18., 24., 26. und 31. Mai so­wie 10. Juni und 27. Juni. In den letz­ten drei Vor­stel­lung gibt Bet­sy Hor­ne die Ti­tel­par­tie. Wei­te­re In­fos auf der Home­page des Landestheaters

Sze­ne aus „Ru­sal­ka“ mit Ju­dith Kuhn in der Ti­tel­rol­le Foto: Se­bas­ti­an Buff