Fulminantes Musiktheaterfeuerwerk

Opern­di­rek­to­rin Al­do­na Far­ru­gia ver­ab­schie­det sich ge­konnt mit „Ari­ad­ne auf Na­xos“ aus  Meiningen.

En­sem­ble-Sze­ne aus dem Vor­spiel der Mei­nin­ger „Ariadne“-Inszenierung mit Deird­re An­ge­nent als Kom­po­nist im Vor­der­grund Foto: Se­bas­ti­an Stolz

Opern, die das Thea­ter spie­geln, sind kei­ne Ra­ri­tät. Wenn aber das rea­le Büh­nen­le­ben mit hin­ein­spielt, wird es zu­min­dest pi­kant. Bei der Neu­in­sze­nie­rung der „Ari­ad­ne auf Na­xos“ von Ri­chard Strauss am Mei­nin­ger Staats­thea­ter ist das der Fall. Denn so­wohl in der Hand­lung als auch am Thea­ter selbst scheint es hin­ter den Ku­lis­sen ganz schön hoch her zu ge­hen. Nach­dem erst vor über ei­nem Jahr Knall auf Fall Dra­ma­turg Pa­trick Sei­bert ge­gan­gen wur­de, ver­lässt zum Sai­son­ende nach nur zwei Jah­ren auch Opern­di­rek­to­rin Al­do­na Far­ru­gia das Haus. Ihre vir­tuo­se Ab­schieds­in­sze­nie­rung un­ter­streicht, was für ein her­ber Ver­lust das ist. Und lässt ei­nen fast den­ken, In­ten­dant Ans­gar Haag könn­te der an­ony­me gnä­di­ge Herr sein, der die von ihm en­ga­gier­te Opern­trup­pe da­mit dü­piert, dass in die Tra­gö­die gleich­zei­tig noch eine Ko­mö­die ein­ge­baut wer­den muss, und zwar so, dass das Feu­er­werk recht­zei­tig be­gin­nen kann.

Der hin­ge­tupf­te hoch­herr­schaft­li­che Haut­gout passt zur In­sze­nie­rung von Al­do­na Far­ru­gia wie die Faust aufs Auge. Und es geht schon los, be­vor es über­haupt los­geht. Der Vor­hang ist von vorn­her­ein of­fen, auf der von Aus­stat­te­rin Anja Hertkorn mit ein paar Fel­sen, Säu­len, Stüh­len und Mee­res­hin­ter­grund be­stück­ten Büh­ne tum­meln sich Büh­nen­ar­bei­ter, As­sis­ten­ten, In­spi­zi­en­ten und sich auf­wär­men­de So­lis­ten, wäh­rend Bac­chus sei­nen we­nig he­roi­schen An­flug aus Göt­ter­ge­fil­den probt. Auch beim Vor­spiel gibt es un­ge­wohn­te In­ter­ak­tio­nen – mal von der Souf­fleu­se, mal vom Haus­hof­meis­ter (Gre­gor Nöl­len), der mit ei­ner Arm­brust schwer auf Wil­helm Tell macht und sei­ne bra­ven Kam­mer­die­ner so­gar ins Pu­bli­kum scheucht – mit Pra­li­nen, die sich mu­si­ka­lisch im Pau­sen-In­ter­mez­zo in den „Cho­co­la­te Drops“ von Iggy Pop wiederfinden.

Be­vor der ge­neig­te Le­ser jetzt fragt, wer Iggy Pop ist und was er in ei­ner Strauss-Oper zu su­chen hat, sei ver­si­chert: Das, was die Re­gis­seu­rin als un­er­war­te­ten Pau­sen-Bo­nus hin­zu­ge­fügt hat, ist si­cher schräg, aber sinn­fäl­lig und un­ge­mein un­ter­halt­sam – vom Block­flö­ten­so­lo übers fin­ni­sche Poem bis zu Auf­trit­ten ei­ner Girls-Group à la Brox Sis­ters. Al­les ist gleich­zei­tig Ent­zau­be­rung und Ver­zau­be­rung, und zwar so ge­konnt, dass die bei der Pre­mie­re dar­stel­le­risch ein­sprin­gen­de Re­gie­as­sis­ten­tin Tanyel Bak­ir als Na­ja­de und die kos­tü­miert von der Sei­te her sin­gen­de Ein­sprin­ge­rin Ani Ta­ni­guchi wirk­ten wie ein Teil der In­sze­nie­rung. Auf der Büh­ne ist über wei­te Stre­cken ein der­ar­ti­ges Ge­wim­mel, dass man fast den ro­ten Ari­ad­ne­fa­den ver­lie­ren könn­te. Aber nur fast. Denn auf die ope­ret­ten­haf­te Leich­tig­keit des Vor­spiels und des In­ter­mez­zos folgt in zu­neh­mend re­du­zier­ter und wir­kungs­vol­ler Aus­stat­tung auch Tiefgang.

Wo­bei auf­fällt, dass die Re­gis­seu­rin ihr Au­gen­merk auf die weib­li­chen Prot­ago­nis­ten ge­rich­tet hat. Der gern ak­zen­tu­ier­te Zi­cken­krieg zwi­schen Zer­bi­net­ta und Pri­ma­don­na bzw. Ari­ad­ne steht nicht im Vor­der­grund. Son­dern ein brei­te­res Spek­trum an Schat­tie­run­gen des­sen, was und wie eine Frau sein kann. Le­bens­be­ja­hend und le­bens­klug, aber of­fen­sicht­lich auch ver­liebt ist Zer­bi­net­ta, wäh­rend die Pri­ma­don­na nicht so pa­tent und Ari­ad­ne zu­nächst eher de­pres­siv und rück­wärts­ge­wandt er­scheint, dann aber ihre Zu­kunft ent­schlos­sen in die Hand nimmt. Wenn das wie in Mei­nin­gen nicht nur sze­nisch, son­dern auch mu­si­ka­lisch über­zeu­gend ge­lingt, ist es das rei­ne Opernglück.

Da­für sorg­ten bei der Pre­mie­re vor al­lem zwei Gäs­te und aus dem En­sem­ble die al­ter­nie­rend oh­ne­hin ein­ge­ar­bei­te­te, sehr spiel­freu­di­ge Mo­ni­ka Rein­hard als Zer­bi­net­ta, die nach ih­rer gro­ßen Arie im Opern­akt zu Recht be­ju­belt wur­de. Auch Mi­cha­el Sie­mon war nach zu­rück­hal­ten­dem Be­ginn als Te­nor und Bac­chus sän­ge­risch eine Über­ra­schung und glänz­te mit Ge­schmei­dig­keit und Strahl­kraft. Noch nä­her an das, was man Er­fül­lung nennt, kam die dä­ni­sche So­pra­nis­tin Brit-Tone Mül­lertz als Pri­ma­don­na und Ti­tel­hel­din. Sie flu­te­te den Raum förm­lich mit ih­rer scheint’s gren­zen­lo­sen Stim­me. Kei­ne An­stren­gung nir­gends. Da­für eine Fül­le des Wohl­lauts, die un­ter die Haut geht und die man in ei­nem Opern­le­ben un­ter Strauss-He­ro­inen so viel­leicht nur ein- oder zwei­mal er­le­ben darf. Groß­ar­tig. Un­ter den wei­te­ren So­lis­ten her­vor­zu­he­ben sind, weil auch wun­der­bar wort­ver­ständ­lich, Dae-Hee Shin als Mu­sik­leh­rer und Si­yabon­ga Ma­qungo als Brighella.

Die gu­ten bis sehr gu­ten So­lis­ten­stim­men kom­men in Mei­nin­gen auch des­halb so gut zur Gel­tung, weil die Hof­ka­pel­le und ihr GMD Phil­ip­pe Bach mehr als eine si­che­re Bank sind: Kam­mer­mu­sik für gro­ßes Or­ches­ter wird hier ze­le­briert, ge­ra­de im Vor­spiel sind die so­lis­ti­schen Qua­li­tä­ten der Mu­si­ker ge­fragt. Es zahlt sich hör­bar aus, dass die In­stru­men­ta­lis­ten in die­ser Sai­son un­ter an­de­rem schon ge­for­dert wa­ren mit Györ­gy Li­ge­tis „Le Grand Ma­cab­re“ (zu ei­nem groß­ar­ti­gen sze­ni­schen Gast­spiel aus Lu­zern), mit der haus­ei­ge­nen sze­ni­schen Rea­li­sie­rung von Carl Orffs „Car­mi­na Burana“, im Kon­zert­pro­gramm durch zwei deut­sche Erst­auf­füh­run­gen mit Wer­ken von Oli­ver Waespi und De­nis Wright und zum Sai­son­ende noch die sel­ten ge­spiel­ten „Pi­ra­ten von Pen­zan­ce“ von Gil­bert & Sul­li­van vor sich ha­ben. Und als wär’s ein gött­li­ches Ge­schenk, klingt die­se „Ari­ad­ne“ nach all der mu­si­ka­li­schen Ma­gie aus mit ei­nem ve­ri­ta­blen Feu­er­werk, das der Haus­hof­meis­ter ge­konnt auf der Büh­ne ent­facht. Gro­ßer be­geis­ter­ter Jubel.

Be­such­te Pre­mie­re am 13. April, wei­te­re Vor­stel­lun­gen am 22. und 29. April, 30. Mai, 10. Juni, 5. Juli so­wie am 19. und 27. Ok­to­ber und 4. No­vem­ber 2018. In­fos und Fo­tos auf der Home­page des Mei­nin­ger Theaters

Ent­rüm­pel­te Sze­ne aus dem Opern­akt der Mei­nin­ger „Ariadne“-Inszenierung von Al­do­na Far­ru­gia Foto: Se­bas­ti­an Stolz

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