„Lebende Bilder“ mit lauter Untoten

Antú Rome­ro Nunes macht aus Ver­dis sel­ten ge­spiel­ter Grand Opé­ra „Les Vê­pres si­ci­li­en­nes“ im Münch­ner Na­tio­nal­thea­ter ei­nen apo­ka­lyp­ti­schen Totentanz.

Mon­fort (Ge­or­ge Pe­te­an) und im Hin­ter­grund die fu­tu­ris­tisch ge­klei­de­te Tanz­grup­pe, die zu häm­mern­den Tech­no­klän­gen agiert Foto: Wil­fried Hösl 

„Der Tod“, so der Wag­ner- und Ver­di-Ken­ner Hol­ger Nolt­ze in sei­nem groß­ar­ti­gen  „Liebestod“-Buch, „ist der Ein­schlag in der Welt­ober­flä­che: Wir ste­hen am Kra­ter­rand und schau­en hin­ein. Ge­nau an die­sem Rand, der Le­ben und Tod trennt, wird aber nicht nur Poe­sie mög­lich, son­dern auch die Ver­hand­lung von ge­sell­schaft­li­chen Grund­fra­gen, de­ren Bri­sanz so er­heb­lich ist, dass ihre Er­ör­te­rung ohne den äs­the­ti­schen Um­weg gar nicht mög­lich wäre.“ Das ist klug ge­sagt und klingt wie die Ge­brauchs­an­wei­sung der jüngs­ten Neu­in­sze­nie­rung an der Baye­ri­schen Staatsoper.

Denn Re­gis­seur Antú Rome­ro Nunes hat Giu­sep­pe Ver­dis sel­ten ge­spiel­te, für Pa­ris kom­po­nier­te Oper in fünf Ak­ten „Les Vê­pres si­ci­li­en­nes“ (Die si­zi­lia­ni­sche Ves­per) auf der Büh­ne des Na­tio­nal­thea­ters so um­ge­setzt, dass das Pu­bli­kum eine Grand Opé­ra des 19. Jahr­hun­derts ser­viert be­kommt, also mit Fi­gu­ren in heil­lo­sen Si­tua­tio­nen kon­fron­tiert wird, zu­dem aber auch mit brand­ak­tu­el­len Pro­ble­men und ei­ner Bal­lett­num­mer aus der mu­si­ka­li­schen Ge­gen­wart: Tech­no-Klän­ge bei Ver­di, geht das? Na­tür­lich, und wie! Doch der Rei­he nach.

Zur Ou­ver­tü­re be­wegt sich erst ein­mal nur ein nacht­blau­er sei­de­ner Vor­hang. Wenn er fällt, sieht man ei­nen jun­gen Tän­zer in Ret­tungs­wes­te, der im­mer noch mit rie­si­gen Wo­gen aus schwar­zer Plas­tik­fo­lie zu kämp­fen hat. Er wird am Ende über­le­ben, aber in was für ei­ner Welt? Le­bens­wert scheint sie nicht zu sein, denn im hier ge­ge­be­nen Rück­blick – die Hand­lung spielt auf ein his­to­ri­sches Er­eig­nis auf Si­zi­li­en im 13. Jahr­hun­dert an und gip­felt in ei­nem Mas­sa­ker – sind von An­fang an alle Op­fer, auch die Tä­ter. Kei­ner kann aus sei­ner von Ego­is­mus, Ge­walt, Ver­rat, Macht­hun­ger, Ra­che­ge­lüs­ten, Starr­sinn und Tod ge­zeich­ne­ten Haut.

Die Män­ner nicht, und auch nicht die we­ni­gen Frau­en, die nichts an­de­res sind als zwei­te und spek­ta­ku­lä­re Dar­stel­lungs­ebe­ne von ge­ge­be­nen Un­ter­drü­ckungs­me­cha­nis­men und er­zwun­ge­nen Hand­lungs­op­tio­nen. Lie­be hat da kei­ne Chan­ce, ob opern­klas­sisch zwi­schen Te­nor und So­pran, zwi­schen Bru­der und Schwes­ter, Va­ter und Sohn, Freund und Feind oder als Pa­tri­ot. Alle wol­len das Rich­ti­ge und tun das Fal­sche – und umgekehrt.

Der Re­gis­seur und sein Team (abs­trak­te Büh­ne: Mat­thi­as Koch, an­spie­lungs­rei­che Kos­tü­me: Vic­to­ria Behr, kunst­vol­les Licht: Mi­cha­el Bau­er) ver­su­chen mit schein­bar ein­fa­chen, im De­tail auf­wän­di­gen Thea­ter­mit­teln – die Mas­ken­bild­ne­rei ver­dient ein Son­der­lob – zu zei­gen, dass in ei­ner fa­ta­lis­ti­schen Welt die Un­ter­schei­dung von Gut und Böse nicht grei­fen kann. Zu se­hen sind fast klas­si­sche „le­ben­de Bil­der“: gro­ße Ta­bleaux mit be­weg­tem Chor, Sta­tis­ten und Tän­zern, aber im­mer wie­der auch kon­ven­tio­nell wir­ken­des Ram­pen­sin­gen der Haupt­fi­gu­ren, die aber, wenn sie auf der rie­si­gen schwar­zen Büh­ne al­lein ge­las­sen da­ste­hen, mit ge­nau je­ner En­er­gie auf­ge­la­den sind, die ei­nen mit­füh­len und be­grei­fen lässt.

Der äs­the­ti­sche Um­weg, den die In­sze­nie­rung ein­schlägt, ist zu­wei­len ris­kant. Wenn zwei der vom Büh­nen­him­mel bau­meln­den Lei­chen ei­nen To­des­tanz voll­füh­ren, geht das eben­so ins Ge­schmäck­le­ri­sche wie der Clou beim „Haus­al­tar“ des Be­satzers Mon­fort. Aber vie­le Bil­der ha­ben nicht nur gro­ßen Schau­wert, son­dern wir­ken nach. Was op­tisch und akus­tisch auch für die spek­ta­ku­lärs­te Bal­lett-Ein­la­ge der Sol Dance Com­pa­ny (Cho­reo­gra­phie: Dus­tin Klein) gilt, die für etwa fünf Mi­nu­ten den Ein­bruch von häm­mern­den Tech­no-Beats (Sound In­ter­fe­rence: Nick & Cle­mens Prokop) in Ver­dis Opern­mu­sik be­deu­tet. Ver­di hat das na­tür­lich nicht nö­tig, aber es macht was her und ver­or­tet das fer­ne Ge­sche­hen zu­sätz­lich im Hier und Heute.

Un­ter den So­lis­ten rag­te bei der Pre­mie­re am Sonn­tag der dif­fe­ren­ziert sin­gen­de Ba­ri­ton Ge­or­ge Pe­te­an als Guy de Mont­fort her­aus, ge­folgt von Er­win Schrotts raum­fül­len­dem Pro­ci­da und der lei­se­ren, aber kunst­vol­le­ren Ra­chel Wil­lis-Soren­sen als Hé­lè­ne. Der Te­nor Bryan Hy­mel ging of­fen­bar an­ge­schla­gen in die mons­trö­se Par­tie des Hen­ri und muss­te im vier­ten Akt sei­nem Frosch im Hals Tri­but zol­len. Leo­nar­di Cai­mi über­nahm vom Büh­nen­rand her den Ge­sangs­part. Di­ri­gent Omer Meir Well­ber meis­ter­te fast alle Si­tua­tio­nen und ließ das straff ge­führ­te Staats­or­ches­ter und die Chö­re an den rich­ti­gen Stel­len auf­blü­hen. Viel Bei­fall und die scheint’s ob­li­ga­to­ri­schen Buh­ru­fe fürs Regieteam.

Be­such­te Pre­mie­re am 11. März, wei­te­re Vor­stel­lun­gen am 15., 18., 22. und 25. März; Kar­ten un­ter Te­le­fon 089/2185-1920. Kos­ten­lo­ser Live­stream im In­ter­net un­ter www​.staats​oper​.tv am 18. März ab 18 Uhr.

Erst­druck im Feuil­le­ton des Frän­ki­schen Tags vom 14. März 2018

Der Tod ist all­ge­gen­wär­tig: Sze­ne mit Er­win Schrott (Pro­ci­da) in sei­nem si­zi­lia­ni­schen Ma­rio­net­ten­kos­tüm und zwei Tän­zern Foto: Wil­fried Hösl