Mit ein paar schlüssigen Änderungen führt Barrie Kosky seine „Meistersinger“-Inszenierung von 2017 endgültig zum Triumph. Die Produktion bietet jede Menge Solisten, die wie Michael Volle und Johannes Martin Kränzle im Zenit ihres Könnens stehen.
Ein altes Wagner-Schlachtross wie ich lässt sich nicht so schnell zum Weinen bringen. Erst recht nicht im einzigen komödiantischen Werk aus Richard Wagners Festspielrepertoire, in dem definitiv niemand zu Tode kommt und das junge Paar sich am Ende kriegt. Und weil es auch keine Tränen aus Rührung oder Freude waren, die mir am Samstag nach dem 2. Akt der „Meistersinger von Nürnberg“ in die Augen schossen, sei etwas persönlicher als sonst ausgeholt.
Die Neuinszenierung von Barrie Kosky hat schon im letzten Festspielsommer viele restlos begeistert und jene abgestoßen, die Wagner und sein Werk fein säuberlich trennen und speziell in den nicht nur von Hitler und den Nazis missbrauchten „Meistersingern“ nur Friede, Freude, Eierkuchen sehen wollen. Letzteren bekommt man zwar im turbulenten Wahnfried-Bild des 1. Akts in Form von Lebkuchen reichlich, doch danach geht es bei all der gegebenen Leichtigkeit und Ironie jetzt noch eindrucksvoller ans Eingemachte.
Koskys Geniestreich besteht zum einen darin, dass er die Opernhandlung und ihre Entstehung konkret mit realen Figuren der Wagner-Biografie spiegelt und umsetzt. Im aberwitzigen 1. Akt gibt es gleich mehrere Wagners, und auch die anderen Hauptpersonen haben Doppelrollen (stilsichere Kostüme: Klaus Bruns, stimmungsvolles Licht: Franck Evin). Der 2. Akt ist eingangs kein idyllisches Johannisnacht-Picknick mehr, sondern findet erkennbarer im noch fast leeren Schwurgerichtssaal der Nürnberger Prozesse statt.
Bühnenbildnerin Rebecca Ringst hat dort jetzt das Wahnfried-Mobiliar gebündelt aufgestellt, als stünde eine Auktion bevor – oder der Abtransport. Der Abtransport von Beckmesser, dessen Rolle Wagner hier dem jüdischen Dirigenten Hermann Levi aufoktroyiert, folgt zwar erst durch zwei Choristen im Festwiesengewimmel des 3. Akts. Doch schon in Wahnfried wird der Merker gedemütigt und in der Prügelszene auf eine Weise zugerichtet, die keiner, der das sieht, vergisst.
Ein Pappmachékopf macht den Verprügelten zu einer Judenkarikatur, die unter der gleichen Fratze in Form eines sich riesig aufblasenden und wieder zusammensinkenden Ballons verschwindet – ein Bild, das deutlich macht, wohin rassistische Ausgrenzung geführt hat und immer wieder führen kann, wenn eine Gesellschaft die Warnzeichen übersieht und Populisten nachläuft.
Weil gerade in dem Moment die Musik nicht zarter und tröstlicher sein kann, kamen mir die Tränen. Auch wenn ich um die schwer erträglichen Seiten in Wagners Person, Werk und Familie weiß und sie eben nicht unter den Teppich kehre, habe ich die Zerrissenheit meines und eines Wagnerianer-Daseins nie so schmerzlich verspürt, wie an diesem Abend im Festspielhaus, in Wagners schön gedachter und zugleich schwierig aufgeladener Stadt- und Kunstbürger-Utopie.
Mit diesen „Meistersingern“ gibt es am Grünen Hügel endlich wieder eine Produktion, der man beglückt Festspielniveau auf allen Ebenen bescheinigen kann. Auch und gerade bei den Solisten, die im Zenit ihrer Kunst stehen und denen man anmerkt, dass diese Inszenierung für sie eine, wenn nicht die Vollendung ist. Wagner selbst wäre begeistert gewesen: Von Sängerdarstellern wie Michael Volle (Hans Sachs), Johannes Martin Kränzle (Beckmesser), Daniel Behle (David), Günther Groissböck (Pogner) und Klaus Florian Vogt (Stolzing) hat er sein Leben lang geträumt.
Es ist ein Glücksfall, dass fast alle Hauptsolisten wieder zur Verfügung stehen und intensive sängerdarstellerische Leistungen bieten, wie ich sie im Festspielhaus so reichlich seit dem legendären Chéreau-„Ring“ nicht mehr erlebt habe. Neu im Ensemble und auf Anhieb überzeugend ist Emily Magee als Eva, was unter anderem daran liegt, dass dem Regisseur zu der Figur inzwischen Differenziertes eingefallen ist.
Wer noch nicht erlebt hat, dass die von Eberhard Friedrich einstudierten, für ihre Stimmkraft gerühmten Festspielchöre auch butterzart singen können, sollte sich diese „Meistersinger“ nicht entgehen lassen. Zumal das Festspielorchester unter Philippe Jordan sich nirgends pathosschwer anhört, sondern, wo es nur geht, einen seidenleichten, fast impressionistischen Klang pflegt, der Wagner weg von der Romantik ein bisschen in die Moderne rückt. Richtig großer Jubel und die unvermeidlichen Buhs.
Besuchte Premierenvorstellung vom 28. Juli 2018, Erstveröffentlichung im Feuilleton des Fränkischen Tags am 30. Juli. Weitere Vorstellungen am 5., 11., 17., 21. und 27. August.
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