Die Travestiestars Geschwister Pfister entern das Opernhaus Nürnberg mit Paul Abrahams Operette „Ball im Savoy“ und werden mit einhelligem Jubel belohnt.
Spätestens wenn die fünfte Jahreszeit naht, sieht man den Spielplänen an, dass die Intendanten dafür gerne in der Operetten- und Musicalkiste gekramt haben. Schließlich gilt es, das Programm mit Musiktheater aufzupeppen, das heiter, unterhaltsam und mitreißend ist. Am Staatstheater Nürnberg ist das jetzt mit Paul Abrahams Revue-Operette „Ball im Savoy“– was schwer genug ist – ziemlich gelungen. Aber eben nicht ganz.
Dass das Ende 1932 uraufgeführte dritte abendfüllende Werk des ungarisch-jüdischen Komponisten es damals nicht mehr ins operettenselige Haus am Richard-Wagner-Platz schaffte, liegt auf der Hand: Drei Monate nach der Premiere wurde der ironische Aufguss der „Fledermaus“-Handlung abgesetzt und verboten. Der jazzige „Ball im Savoy“ fand keinen prominenten Nazi-Fürsprecher – anders als Leon Jessels „Schwarzwaldmädel“, wie die noch bis 3. Februar sehenswerte Ausstellung „Hitler. Macht. Oper“ im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände zeigt.
Die jetzige Nürnberger Erstaufführung lässt die Rezeptionsgeschichte links liegen und zeigt das Stück als ein Spiegelbild der noch unbeschwerten, freigeistigen und freizügigen Goldenen Zwanziger im Berlin der Weimarer Republik – und nicht in einem Grandhotel Nizza, wie es im Libretto von Alfred Grünwald und dem in Auschwitz ermordeten Fritz Löhner-Beda steht (Bühne: Timo Dentler, Okarina Peter; Kostüme: Heike Seidler).
Regisseur Stefan Huber interessiert sich weniger für den Exotismus einiger Protagonisten und mehr für das Chargieren und Changieren der Geschlechter. Die Frage, warum der Mann fremdgehen darf und die Frau nicht, wird am Beispiel des nach einjähriger Hochzeitsreise zurückgekehrten Aristokratenpaars durchaus emanzipatorisch durchdekliniert. Sprich: die Rollenbilder werden auf den Kopf gestellt. Und dank eines Besetzungscoups funktioniert das Crossdressing-Konzept.
Denn in Nürnberg treten die längst im Operettenfach angekommenen Comic- und Travestiestars Geschwister Pfister auf. Zwei der drei sind schlichtweg eine Wucht: Christoph Marti als Jazzkomponistin Daisy Parker alias Pasodoble und Andreja Schneider als Mustapha Bei. Sobald eine/r dieser beiden auf der Bühne steht, spricht, singt, tanzt, steppt und jede Menge baren Unsinn vorführt, als wäre das das Leichteste der Welt, ist beim „Ball im Savoy“ kein Halten mehr. Bühnenentertainment vom Feinsten!
Dafür stehen auch Andromahi Raptis als Tangolita mit unglaublichen Spitzentönen und in zwei Nebenrollen besonders auch Cem Lukas Yeginer, der sowohl als Modemacherin Madame Albert als auch als Rechtspraktikant Formant eine sehr gute Figur macht. Schade, dass das beim vom Geschlecht her korrekt besetzten „hohen Paar“ nicht genauso gut klappt. Tobias Bonn von den Pfisters bleibt als Marquis de Faublas sängerdarstellerisch leider bieder und blass, Frederike Haas schafft es nur teilweise, dass man ihrer Madeleine gerne folgt.
Dazwischen wuseln wohlgeordnet die weiteren Solisten, Choristen und Tänzer. Sie stellen unter Beweis, dass der Regisseur, Choreograph Danny Costello und Chordirektor Tarmo Vaask ihr Handwerk verstehen. Unverständlich bleibt hingegen, warum das Orchester nur im letzten Teil des Abends direkt zu hören ist. Es mag ein Gag sein, dass die unvermeidliche Showtreppe hier aus dem mit Palmen aufgehübschten Orchestergraben auf die Bühne führt, der musikalischen Qualität des Abends ist damit aber mitnichten gedient.
Das auf den hinteren Teil der Bühne verbannte Orchester unter Volker Hiemeyer spielt die von Kai Tietje arrangierte Originalfassung zwar live, der Klang kommt, weil große Bühnenbilder dazwischen stehen, allerdings aus Lautsprechern, und zwar gefühlt für gut dreiviertel der gesamten Spieldauer. Selbst wenn dahinter der Gedanke stand, dass erst beim Ballgeschehen der Sound richtig aufgedreht wird, ist das kontraproduktiv. Denn die Gesangsstimmen werden ohnehin von Mikroports übertragen.
Sei’s drum. Der Känguruh-Fox mit Christoph Marti ist ein Hit, die alten Gassenhauer „Toujours l’amour“, „Es ist schön, am Abend bummeln zu gehen“ und die weniger bekannte Nummer „Wenn wir Türken küssen“ mit der ümwürfündün Andreja Schneider möchte keiner mehr missen, der sie in der von unvermeidlichem Staniolkonfetti berieselten und sehr umjubelten Premiere am Samstag erlebt hat.
Erstveröffentlichung im Feuilleton des Fränkischen Tags. Besuchte Premiere am 19. Januar 2019, weitere Vorstellungen am 23. und 27. Januar, 10., 17. und 25. Februar, 5. und 26. März, 6. und 22. April, 5. und 11. Mai, 3., 20. und 24. Juni sowie am 1. und 5. Juli 2019. Karten-Telefon 0180-1-344-276, weitere Infos unter https://www.staatstheater-nuernberg.de/spielplan-18-19/ball-im-savoy/27-01-2019/1530
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