Wenn Frauen fremdgehen

Die Tra­ve­stie­stars Ge­schwis­ter Pfis­ter en­tern das Opern­haus Nürn­berg mit Paul Abra­hams Ope­ret­te „Ball im Sa­voy“ und wer­den mit ein­hel­li­gem Ju­bel belohnt.

Cross­dres­sing vom Feins­ten: Chris­toph Mar­ti als Jazz­kom­po­nis­tin Dai­sy Par­ker und An­dre­ja Schnei­der als tür­ki­scher At­ta­ché Mus­ta­pha Bei in Paul Abra­hams Ope­ret­te „Ball im Sa­voy“ in Nürn­berg Foto: Bet­ti­na Stöß

Spä­tes­tens wenn die fünf­te Jah­res­zeit naht, sieht man den Spiel­plä­nen an, dass die In­ten­dan­ten da­für ger­ne in der Ope­ret­ten- und Mu­si­cal­kis­te ge­kramt ha­ben. Schließ­lich gilt es, das Pro­gramm mit Mu­sik­thea­ter auf­zu­pep­pen, das hei­ter, un­ter­halt­sam und mit­rei­ßend ist. Am Staats­thea­ter Nürn­berg ist das jetzt mit Paul Abra­hams Re­vue-Ope­ret­te „Ball im Sa­voy“– was schwer ge­nug ist – ziem­lich ge­lun­gen. Aber eben nicht ganz.

Dass das Ende 1932 ur­auf­ge­führ­te drit­te abend­fül­len­de Werk des un­ga­risch-jü­di­schen Kom­po­nis­ten es da­mals nicht mehr ins ope­ret­ten­se­li­ge Haus am Ri­chard-Wag­ner-Platz schaff­te, liegt auf der Hand: Drei Mo­na­te nach der Pre­mie­re wur­de der iro­ni­sche Auf­guss der „Fledermaus“-Handlung ab­ge­setzt und ver­bo­ten. Der jaz­zi­ge „Ball im Sa­voy“ fand kei­nen pro­mi­nen­ten Nazi-Für­spre­cher – an­ders als Leon Jes­sels „Schwarz­wald­mä­del“, wie die noch bis 3. Fe­bru­ar se­hens­wer­te Aus­stel­lung „Hit­ler. Macht. Oper“ im Do­ku­men­ta­ti­ons­zen­trum Reichs­par­tei­tags­ge­län­de zeigt.

Die jet­zi­ge Nürn­ber­ger Erst­auf­füh­rung lässt die Re­zep­ti­ons­ge­schich­te links lie­gen und zeigt das Stück als ein Spie­gel­bild der noch un­be­schwer­ten, frei­geis­ti­gen und frei­zü­gi­gen Gol­de­nen Zwan­zi­ger im Ber­lin der Wei­ma­rer Re­pu­blik – und nicht in ei­nem Grand­ho­tel Niz­za, wie es im Li­bret­to von Al­fred Grün­wald und dem in Ausch­witz er­mor­de­ten Fritz Löh­ner-Beda steht (Büh­ne: Timo Dent­ler, Oka­ri­na Pe­ter; Kos­tü­me: Hei­ke Seidler).

Re­gis­seur Ste­fan Hu­ber in­ter­es­siert sich we­ni­ger für den Exo­tis­mus ei­ni­ger Prot­ago­nis­ten und mehr für  das Char­gie­ren und Chan­gie­ren der Ge­schlech­ter. Die Fra­ge, war­um der Mann fremd­ge­hen darf und die Frau nicht, wird am Bei­spiel des nach ein­jäh­ri­ger Hoch­zeits­rei­se zu­rück­ge­kehr­ten Aris­to­kra­ten­paars durch­aus eman­zi­pa­to­risch durch­de­kli­niert. Sprich: die Rol­len­bil­der wer­den auf den Kopf ge­stellt. Und dank ei­nes Be­set­zungs­coups funk­tio­niert das Crossdressing-Konzept.

Denn in Nürn­berg tre­ten die längst im Ope­ret­ten­fach an­ge­kom­me­nen Co­mic- und Tra­ve­stie­stars Ge­schwis­ter Pfis­ter auf. Zwei der drei sind schlicht­weg eine Wucht: Chris­toph Mar­ti als Jazz­kom­po­nis­tin Dai­sy Par­ker ali­as Pa­sod­o­ble und An­dre­ja Schnei­der als Mus­ta­pha Bei. So­bald eine/​r die­ser bei­den auf der Büh­ne steht, spricht, singt, tanzt, steppt und jede Men­ge ba­ren Un­sinn vor­führt, als wäre das das Leich­tes­te der Welt, ist beim „Ball im Sa­voy“ kein Hal­ten mehr. Büh­nen­en­ter­tain­ment vom Feinsten!

Da­für ste­hen auch An­dro­mahi Rap­tis als Tan­go­li­ta mit un­glaub­li­chen Spit­zen­tö­nen und in zwei Ne­ben­rol­len be­son­ders auch Cem Lu­kas Ye­gi­ner, der so­wohl als Mo­de­ma­che­rin Ma­dame Al­bert als auch als Rechts­prak­ti­kant For­mant eine sehr gute Fi­gur macht. Scha­de, dass das beim vom Ge­schlecht her kor­rekt be­setz­ten „ho­hen Paar“ nicht ge­nau­so gut klappt. To­bi­as Bonn von den Pfis­ters bleibt als Mar­quis de Fau­blas sän­ger­dar­stel­le­risch lei­der bie­der und blass, Fre­de­ri­ke Haas schafft es nur teil­wei­se, dass man ih­rer Made­lei­ne ger­ne folgt.

Fremd­ge­hen im Ho­tel-Se­pa­ree: links Rechts­prak­ti­kant Ce­les­tin For­mant (Cem Lu­kas Ye­gi­ner) und Made­lei­ne de Fau­blas (Fre­de­ri­ke Haas), rechts Mar­quis Aris­ti­de de Fau­blas (To­bi­as Bonn) mit La Tan­go­li­ta (An­dro­mahi Rap­tis) Foto: Bet­ti­na Stöß

Da­zwi­schen wu­seln wohl­ge­ord­net die wei­te­ren So­lis­ten, Cho­ris­ten und Tän­zer. Sie stel­len un­ter Be­weis, dass der Re­gis­seur, Cho­reo­graph Dan­ny Cos­tel­lo und Chor­di­rek­tor Tar­mo Vaask ihr Hand­werk ver­ste­hen. Un­ver­ständ­lich bleibt hin­ge­gen, war­um das Or­ches­ter nur im letz­ten Teil des Abends di­rekt zu hö­ren ist. Es mag ein Gag sein, dass die un­ver­meid­li­che Show­trep­pe hier aus dem mit Pal­men auf­ge­hübsch­ten Or­ches­ter­gra­ben auf die Büh­ne führt, der mu­si­ka­li­schen Qua­li­tät des Abends ist da­mit aber mit­nich­ten gedient.

Das auf den hin­te­ren Teil der Büh­ne ver­bann­te Or­ches­ter un­ter Vol­ker Hie­mey­er spielt die von Kai Tiet­je ar­ran­gier­te Ori­gi­nal­fas­sung zwar live, der Klang kommt, weil gro­ße Büh­nen­bil­der da­zwi­schen ste­hen, al­ler­dings aus Laut­spre­chern, und zwar ge­fühlt für gut drei­vier­tel der ge­sam­ten Spiel­dau­er. Selbst wenn da­hin­ter der Ge­dan­ke stand, dass erst beim Ball­ge­sche­hen der Sound rich­tig auf­ge­dreht wird, ist das kon­tra­pro­duk­tiv. Denn die Ge­sangs­stim­men wer­den oh­ne­hin von Mi­kro­ports übertragen.

Sei’s drum. Der Kän­gu­ruh-Fox mit Chris­toph Mar­ti ist ein Hit, die al­ten Gas­sen­hau­er „Tou­jours l’amour“, „Es ist schön, am Abend bum­meln zu ge­hen“ und die we­ni­ger be­kann­te Num­mer „Wenn wir Tür­ken küs­sen“ mit der üm­wür­fündün An­dre­ja Schnei­der möch­te kei­ner mehr mis­sen, der sie in der von un­ver­meid­li­chem Sta­niol­kon­fet­ti be­rie­sel­ten und sehr um­ju­bel­ten Pre­mie­re am Sams­tag er­lebt hat.

Erst­ver­öf­fent­li­chung im Feuil­le­ton des Frän­ki­schen Tags. Be­such­te Pre­mie­re am 19. Ja­nu­ar 2019, wei­te­re Vor­stel­lun­gen am 23. und 27. Ja­nu­ar, 10., 17. und 25. Fe­bru­ar, 5. und 26. März, 6. und 22. April, 5. und 11. Mai, 3., 20. und 24. Juni so­wie am 1. und 5. Juli 2019. Kar­ten-Te­le­fon 0180-1-344-276, wei­te­re In­fos un­ter https://​www​.staats​thea​ter​-nuern​berg​.de/​s​p​i​e​l​p​l​a​n​-​1​8​-​1​9​/​b​a​l​l​-​i​m​-​s​a​v​o​y​/​2​7​-​0​1​-​2​0​1​9​/​1​530

Erst ge­gen Ende ist das Or­ches­ter auch di­rekt zu hö­ren – hier mit ei­nem gro­ßen Show­auf­tritt von Dai­sy Par­ker (Chris­toph Mar­ti) und dem Tanz­ensem­ble. Foto. Bet­ti­na Stöß