Der weibliche Blick verstellt die Sicht

Tina La­nik ver­sucht am Staats­thea­ter Nürn­berg bei Gi­a­co­mo Puc­ci­nis „Ma­dama But­ter­fly“ al­lem Ja­pan-Kitsch aus­zu­wei­chen. Was sie zeigt, ist eine fe­mi­nis­ti­sche Ab­rech­nung, die lei­der nur gut ge­meint ist, aber dem Stück nicht dient, son­dern är­ger­li­chen Re­gie­thea­ter­quatsch ausbreitet.

Hin­ge­fläzt aufs Sofa be­gut­ach­ten Kon­sul Shar­pless (links Sang­min Lee), B. F. Pin­ker­ton (Ta­de­usz Szlen­kier) und Goro (Hans Kit­tel­mann) die Gei­shas. Foto: Lud­wig Olah

Es ist ein gu­ter An­satz, wenn man Gi­a­co­mo Puc­ci­nis tra­ge­dia gi­ap­po­ne­se „Ma­dama But­ter­fly“ ohne Kirsch­blü­ten, Pa­pier­schirm­chen und trip­peln­de Gei­shas auf die Büh­ne stellt. Lei­der hat­te die Re­gis­seu­rin Tina La­nik zu­sätz­lich die Idee, die im Selbst­mord der Ti­tel­fi­gur en­den­de Oper mit fe­mi­nis­ti­schem Aplomb zu den The­men Se­xis­mus, Ko­lo­nia­lis­mus und Ras­sis­mus auf­zu­be­rei­ten – und das ist gründ­lich schief gegangen.

Na­tür­lich ist es für eu­ro­päi­sche Bil­dungs­bür­ger in­zwi­schen schwer, sich in Si­tua­tio­nen hin­ein­zu­den­ken, wie sie sich in der 1904 in Mai­land ur­auf­ge­führ­ten, der Exo­tis­mus-Mode frö­nen­den und seit­her un­ter Kitsch-Ver­dacht ste­hen­den Oper ab­spie­len. Die Ti­tel­hel­din ist eine Fünf­zehn­jäh­ri­ge (!), die sich als Gei­sha ver­din­gen muss und von ei­nem ame­ri­ka­ni­schen Ma­ri­ne­of­fi­zier, der mit der blut­jun­gen Frau eine „Ehe auf Zeit“ ein­geht, sit­zen ge­las­sen wird – mit­samt dem noch un­ge­bo­re­nen Kind.

Da­mit auch das Pu­bli­kum ka­pie­ren soll, dass die hier eher re­so­lu­te Cio-Cio-San (in­ten­siv: Bar­no Is­ma­tul­lae­va) sich be­wusst auf den Clash of Cul­tures ein­lässt, prä­sen­tiert die In­sze­nie­rung im ers­ten Akt ei­nen fle­gel­haft agie­ren­den und der­art auf­ge­bläh­ten Pin­ker­ton (durch­schlag­kräf­tig: Ta­de­usz Szlen­kier), dass selbst hart­ge­sot­te­ne Opern­fans sich ers­tens ver­wun­dert fra­gen, was sich das Be­set­zungs­bü­ro da­bei ge­dacht hat und zwei­tens, wo denn hier die Lie­be hinfällt.

Im zwei­ten Akt wird zu­min­dest klar, dass Tina La­niks But­ter­fly für Äu­ßer­li­ches tat­säch­lich blind sein muss, denn sie igno­riert die Wer­bung des Fürs­ten Ya­ma­do­ri (De­nis Milo), der hier aus­sieht und auf­tritt, wie man sich ei­nen  Opern­te­nor eben im Ide­al­fall wünscht. Wenn Pin­ker­ton dann im ele­gan­ten Zwei­rei­her zu­rück­kommt, hat er of­fen­bar den schwab­beln­den Ret­tungs­ring ab­ge­legt. Will die Re­gie da­mit sa­gen, dass es drei Jah­re braucht, um er­folg­reich drei­ßig Kilo abzunehmen?

Was gibt es noch an zün­den­den Re­gie-Ein­fäl­len? Ach ja, die Gei­shas in Hand­schel­len zei­gen je­weils ei­nen ent­blöß­ten Kunst­bu­sen, Zu­häl­ter Goro (prä­gnant: Hans Kit­tel­mann) hält sich als Schmu­se­tier eine Ech­se an die Brust, der sehr be­leib­te Kon­sul (so­nor: Sang­min Lee) trägt sa­lop­pe Frei­zeit­klei­dung und die glatz­köp­fi­ge Su­zu­ki (em­pa­thisch: Al­me­ri­ja De­lic) ist un­glück­lich in ihre Her­rin ver­liebt, was die­se – blind auch für die Ge­füh­le der an­de­ren – gar nicht realisiert.

Und dann ist da noch das Kind, selbst­re­dend eine Toch­ter, die bio­lo­gisch wun­der­sam schon am Ende des ers­ten Akts auf­taucht und spä­ter für die be­vor­ste­hen­de Rück­kehr des Va­ters in ei­nen Ki­mo­no ge­hüllt und mit Kuss­lip­pen be­malt wird wie wei­land ihre Mut­ter. Nichts ge­gen Kin­der­sta­tis­ten! Die klein­kind­haf­te sie­ben­jäh­ri­ge Jana Beck ist so­gar in der Lage, den le­gen­dä­ren Summ­chor lang die sonst fast lee­re Büh­ne zu fül­len, wird aber letzt­lich da­für miss­braucht, dass der Re­gis­seu­rin nichts Bes­se­res ein­ge­fal­len ist, als den Miss­brauch Cio-Cio-Sans auch auf de­ren Kind zu projizieren.

Kin­der­sta­tis­tin Jana Beck im 2. Akt, im Hin­ter­grund Cio-Cio-San und Su­zu­ki Foto: Lud­wig Olah

In die­sem Kon­text ver­steht es sich fast schon von selbst, dass Kate Pin­ker­ton (Kat­rin He­les), die „rich­ti­ge“ Ehe­frau, blond und schlank ist, High­heels trägt und prak­tisch nichts an­de­res tut als an ih­rer Zi­ga­ret­te zu zie­hen. An­stel­le von Ja­pan-Kli­schees gibt es an­de­re, die al­ler­dings kei­nen Deut bes­ser sind. Schlim­mer noch wird die Ti­tel­fi­gur, frei nach Ul­rich Schrei­bers Opern­füh­rer für Fort­ge­schrit­te­ne, in eine fast schon an­ti­ki­sche Tra­gö­din um­funk­tio­niert, die laut Pro­gramm­heft für sich und ihr Kind um ein Stück Selbst­be­stim­mung kämpft.

Dass die Re­gis­seu­rin vom Schau­spiel kommt, ist der Per­so­nen­füh­rung durch­aus an­zu­se­hen. Das heißt, die So­lis­ten mü­hen sich red­lich, aber ver­geb­lich, weil Re­gie­thea­ter­quatsch durch en­ga­gier­te und prä­zi­se Dar­stel­lung lei­der nicht bes­ser wird. Ste­fan Ha­gen­ei­ers mit schwar­zen Schie­be­tü­ren be­stück­te Büh­ne wirkt von wei­tem wie aus der Nähe be­lie­big, nach dem Sche­ma der le­ben­den Bil­der in Ober­am­mer­gau, sei­ne Kos­tü­me sind kon­se­quent heutig.

Ge­spielt wird die vier­te Fas­sung der Oper aus dem Jahr 1907, bei der Puc­ci­ni und sei­ne Li­bret­tis­ten Giu­sep­pe Gi­a­co­sa und Lui­gi Il­li­ca vor al­lem an Pin­ker­tons Rol­le ge­ar­bei­tet und ihm noch eine schö­ne Ab­schieds­a­rie ge­ge­ben ha­ben. Die Staats­phil­har­mo­nie Nürn­berg un­ter Gui­do Jo­han­nes Rum­stadt darf mehr als sonst auch Gongs und Tam­tams rüh­ren und klingt zu­wei­len doch sehr laut, was sich zwangs­läu­fig bei den So­lis­ten fortsetzt.

Ge­sun­gen wird den­noch gut ge­nug, dass es am Ende des mit Pau­se fast drei­stün­di­gen Pre­mie­ren­abends am Sams­tag kein ein­zi­ges Buh gab. Oder woll­te das mit­füh­len­de Pu­bli­kum nur die be­wun­derns­wer­te Kin­der­sta­tis­tin nicht ver­schre­cken, die für nicht we­ni­ge die ein­zi­ge Fi­gur auf der Büh­ne war, die ei­nen be­rühr­te? Die bei­den weib­li­chen Haupt­rol­len und das Kind sind üb­ri­gens al­ter­nie­rend be­setzt, was am Ge­samt­ein­druck ver­mut­lich nicht viel än­dern wird.

Erst­ver­öf­fent­li­chung im Feuil­le­ton des Frän­ki­schen Tags. Be­such­te Pre­mie­re am 23. März 2019, wei­te­re Vor­stel­lun­gen am 27. März, am 5., 8., 14. und 20. April so­wie noch neun Mal bis Sai­son­ende. Ti­ckets un­ter Te­le­fon 0180/1344-276, zu­sätz­li­che In­fos auf der Home­page des Staats­thea­ters.

Bar­no Is­ma­tul­lae­va als Su­zu­ki und die Kin­der­sta­tis­tin Jana Beck Foto: Lud­wig Olah

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