Filmregisseur Andreas Dresen versetzt Giacomo Puccinis Western-Oper „La fanciulla del West“ am Münchner Nationaltheater glaubhaft und berührend in die Gegenwart.
Western-Liebhaber – ob sie nun Klassiker wie „Zwölf Uhr mittags“ bevorzugen, Italo-Western wie „Spiel mir das Lied vom Tod“, die Karl-May-Verfilmungen oder die aktuellen Streifen von Quentin Tarantino – wissen in der gar Regel nicht, dass einer der erfolgreichsten frühen Western eine Oper ist: „La fanciulla del West“ („Das Mädchen aus dem Goldenen Westen“) von Giacomo Puccini, die jetzt in einer großartigen Produktion wieder in München zu erleben ist.
Die Uraufführung der dreiaktigen Verismo-Oper an der New Yorker Met 1910 war ein Triumph, der sich dort – Pferde auf der Bühne inklusive – schon aus lokalpatriotischen Gründen bis heute fortgesetzt hat. Als Vorlage benutzten Puccinis Librettisten das Schauspiel „The Girl of the Golden West“ von David Belasco. Auch die Oper spielt in einem kalifornischen Goldgräberlager in den Goldrauschtagen anno 1849/50.
Es ist eine klassische Dreiecksgeschichte zwischen einer Saloonwirtin, einem Sheriff und einem Banditen, bei der viel Whisky fließt und auf Leben und Tod gepokert wird. Die Story endet nach großer Verbrecherjagd unterm Galgen mit einem überraschenden Happyend. Es geht hier also, wie in allen Opern, um Liebe, Sex, Gewalt, Macht, Einsamkeit und Sehnsucht.
Das Problem einer heutigen Inszenierung sind die Westernfilme in den Köpfen der meisten Zuschauer. Filmregisseur Andreas Dresen, der 2015 mit einer nichtssagenden „Arabella“ an der Bayerischen Staatsoper debütierte, war diesmal der richtige Mann am richtigen Ort: Inspiriert von dem Dokumentarfilm „Workingman’s Death“ von Michael Glawogger verlegte er das Geschehen in ein Kohlebergwerk der Gegenwart.
Die trostlos-dunkle, von Nebelschwaden und Schneetreiben durchzogene Szenerie mit Stacheldrahtverhau könnte irgendwo, vielleicht in Ost-Europa liegen, in jedem Fall am Ende der Welt (Bühne Mathias Fischer-Dieskau, Kostüme: Sabine Greunig und Ulrich Gärtner). Die schäbig-karge „Polka“-Bar ist die letzte Zuflucht für die vielen Arbeiter mit ihren Grubenlampen, die unter Tage bis zum Umfallen schuften müssen.
Minnie, die Bar-Tenderin – natürlich dürfte den Männern jenseits von Puccini „Love Me Tender“ durch den Kopf schwirren –, ist der einzige Lichtblick in einem Milieu, wo Aggression und Rassismus an der Tagesordnung sind. Achtzehn Solisten und der Chor sind überaus präzise geführt. Sie führen veristisch genau, also hart an der Wirklichkeit vor, wie Flaschen, Messer und Schusswaffen fliegen. Theaterblut fließt reichlich – bei der Premier auch mal so unkontrolliert, dass es kurz die Handlung desavouiert, dann wieder so dezent, dass man es ab der 12. Parkettreihe nicht mehr wahrnimmt.
Umso beeindruckender ist die Männermeute, wenn sie zu Beginn des 1. Akts und am Ende des 3. Akts sentimental wird: Plötzlich sind Mimik und Körpersprache so anders, dass einem Wagnerianer glatt Wotans „Weichherziges Weibergezücht“ einfällt. Ein wunderbarer szenischer Coup, der alle Gender-Klischees unterläuft und die harten, aber heimwehgeplagten und liebessehnsüchtigen Machos fragil und empathisch zeigt. Und ohne Kitschverdacht.
Auch Anja Kampe als angeblich noch ungeküsste Minnie schafft den Spagat zwischen bibelfest-herber Saloon-Heroine und der verletzlich liebenden Frau großartig. Kein Wunder bei den Verehrern, die man im Nationaltheater für sie aufgeboten hat: John Lundgren als Jack Rance ist ein finster entschlossener Sheriff mit traurig-tragischem Kern, Brandon Jovanovich als Dick Johnson alias Ramerrez ist kein tenoristischer Strahlemann, sondern ein Outlaw, der die Liebe Minnies gar nicht verdient.
Alle weiteren Solisten liefern, wiewohl sie nicht unbedingt so aussehen, wie Puccini sie eigens in ausführlichen Vorbemerkungen zu dieser Oper beschrieben hat, kleine, aber wichtige Miniaturen in diesem Psycho-Sozio-Krimi, der auch ohne Westernbezug – nur der Sheriff trägt zeitweise einen Cowboy-Hut – funktioniert.
Musikalisch ist die Aufführung bei der Premiere am Samstag sowohl was die Sänger, den Chor (Einstudierung: Stellario Fagone) als auch das Bayerische Staatsorchester betrifft, fast schon ideal gelungen. James Gaffigan, aktuell Chefdirigent in Luzern und gebürtiger New Yorker, glückt als musikalischem Leiter ein überzeugendes Plädoyer für Puccinis „Fanciulla“, die bis auf eine Ausnahme ohne große Arien auskommt, also als eher untypische italienische Oper gilt.
Zwar ließ im 1. Akt die Balance zwischen Solisten- und den zuweilen überlauten Orchesterstimmen noch zu wünschen übrig, aber Überwältigung à la Wagner und Strauss ist im Sinne Puccinis, der hier in dem ihm ganz eigenen, farben- und nuancenreichen Personalstil außerdem zu einer musikalischen Transparenz findet, wie man sie eher von Debussy kennt. Ein überzeugender Opernabend, großer Jubel, kein einziges Buh.
Besuchte Premiere am 16. März, weitere Vorstellungen am 22., 26. und 30. März sowie am 2. April. Die Aufführung am 30. März wird www.staatsoper.tv ab 19 Uhr kostenlos im Livestream übertragen. Karten-Info unter Telefon 089/21851920. Erstdruck im Feuilleton des Fränkischen Tags
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