Felix Weingartner, der am 7. Mai 1942 starb, hinterließ wichtige Einspielungen und ein kompositorisches und schriftstellerisches Werk, das zu entdecken sich lohnt – schon weil er in Hinblick auf Bayreuth wunderbar lästern kann.
„Jähzornig, streitsüchtig, lasterhaft und fünfmal verheiratet, war der bleiche, schlaksige Aristokrat ununterbrochen in irgendwelche intellektuelle, romantische oder juristische Händel verwickelt. Streitschriften flossen ihm nur so aus der Feder, Kompositionen ebenso. Dirigentenkollegen beurteilte er nach ihrer Bereitwilligkeit, seine Musik aufzuführen.“ Klingt nicht gerade nach einem angenehmen Zeitgenossen, wie der englische Musikexperte Norman Lebrecht den österreichischen Dirigenten, Komponisten und Schriftsteller Felix Weingartner beschreibt, der am 7. Mai 1942 im Alter von 78 Jahren Winterthur starb. Wenn man unterschiedliche Quellen befragt, sprechen sowohl Weingartners künstlerische Laufbahn als auch seine eigenen, stets sehr direkten Äußerungen für diese Einschätzung. Denn erstens hielt er es selten an einer Position länger als ein paar Jahre aus. Und zweitens konnte der 1863 als Edler von Münzberg in Zadar im heutigen Kroatien geborene Musiker ein ausgesprochenes Lästermaul sein.
Die Dirigenten-Karriere des späten Liszt-Schülers begann 1884 in Königsberg; es folgten kurze Kapellmeister-Jahre in Danzig, Hamburg und Mannheim. Erst in Berlin blieb er als Leiter der Königlichen Oper und des Königlichen Orchesters etwas länger, ging danach zu den Kaim-Konzerten nach München, wurde 1907 Nachfolger von Gustav Mahler an der Wiener Hofoper, wo er nach drei erfolglosen Jahren abgesetzt wurde, während er als 1908 gewählter Abonnementdirigent die Wiener Philharmoniker neunzehn Jahre lang durch die unter seiner Leitung begonnene Reisetätigkeit prägen sollte. Weitere Opern-Stationen waren erneut Hamburg sowie Darmstadt und die Wiener Volksoper. 1927 wurde er als Chefdirigent, künstlerischer Leiter der Allgemeinen Musikgesellschaft und als Konservatoriumsdirektor nach Basel berufen, bis er 1935 erneut, aber nur kurz an die Wiener Staatsoper wechselte, weil er wegen der „pazifistischen Tendenz“ seiner Schriften dem NS-Regime nicht genehm war. Zudem wurde ihm fälschlicherweise eine jüdische Herkunft unterstellt.
„Meiner Meinung nach ist er Orientale“, schrieb Cosima Wagner 1891 über Weingartner, der in der Saison 1886 als musikalischer Assistent unter anderem die Knabenchöre in „Parsifal“ betreute und als Festspielbesucher von 1876 bis 1896 darüber auch ein Buch verfasst hat. Nach Liszts Tod gehörte er zu denjenigen, die sich von Cosimas Bayreuth abwandten. Felix Mottls „Parsifal“-Dirigat 1888 bezeichnete er wegen der verschleppten Zeitmaße als ein Zerrbild. Und weiter: „Das Widerlichste dabei war, dass man diese Verzerrung mit einer Rassenfrage zu verquicken suchte und von einem ‚christlichen‘, sogar von einem ‚erlösten‘ Parsifal sprach.“
Er wird das sicher nicht erst in seinen Schriften festgestellt haben. Dass der fast gleichaltrige Siegfried Wagner, „der unglückliche Dauphin von Bayreuth“, bei ihm nicht gut weg kommen konnte, liegt auf der Hand. Weingartner, der selbst acht Opern, zahlreiche Orchesterwerke, Kammermusik und Lieder komponiert hat, bezeichnete ihn als „eine Talentmikrobe, die unter Ausnutzung des großen Vaternamens zu scheinbarer Größe“ aufgebläht werde. In seinen1896 erstmals als Buch erschienenen Bayreuth-Erinnerungen aus den Jahren 1876 bis 1896 nimmt er auch und gerade in punkto Cosima Wagner kein Blatt vor den Mund und gibt er Einschätzungen von sich, die man mit Fug immer noch als zeitlos gültig bezeichnen kann:
Ich hege die größte Hochachtung vor Frau Wagners Mut und Arbeitskraft, ich bewundere ihren Geist und ihre Umgangsformen. Als einzig berechtigte Leiterin der Bayreuther Festspiele, als Hüterin des Erbes ihres großen Gatten kann und werde ich sie, soweit es das Künstlerische betrifft, nicht anerkennen. An ihrer Seite hätten Männer stehen müssen, die mit der Offenheit der Überzeugung, mit der Rücksichtslosigkeit der Wahrheitsliebe sie aufgeklärt hätten von zahllosen Mißgriffen in Besetzung und Inszenierung, und die lieber ihre Beziehungen zu Bayreuth abgebrochen hätten, als schweigend oder laut zu billigen, was unter dem Namen Wagner in die Welt gegangen ist und noch geht. Aber Frau Wagner wollte nicht Freunde, sie wollte Werkzeuge. Sie hat sie gefunden, auf jedem Gebiete. Mag es ihr auch schmerzlich sein, daß gerade in den wichtigsten Angelegenheiten, z. B. in der Frage „Parsifal in New-York“, eine Anzahl dieser Werkzeuge sich von merkwürdiger Stumpfheit erwiesen hat, so wird sie doch sicherlich auch weiterhin gehorsame Diener finden, die auf folgende vier Gebote schwören:
- Was vom Hause Wahnfried kommt, hat dir als unfehlbar zu gelten.
- Wenn du auch gelegentlich anderer Meinung sein solltest, so darfst du diese Meinung doch nie aussprechen.
- Siegfried Wagner ist ein großer Dirigent, Regisseur, Dichter und Komponist. Du hast ihn überall als solchen zu erklären und dahin zu wirken, daß auch andere ihn dafür halten.
- Wer nicht nach obigen Geboten handelt, ist unachsichtlich zu verfolgen, herunterzureißen, totzuschweigen und darfst du keine Gemeinschaft mit ihm haben.
Zwar mehren sich trotzdem die Stimmen in Bedenklicher Weise, die behaupten wollen, daß auch recht viel Talmi unter dem in Bayreuth gebotenen Golde zu finden sei. Doch was tut’s! Die Festspiele sind ausverkauft, und Frau Wagner hat nichts zu fürchten als ein allgemeines Umsichgreifen der Erkenntnis, daß man Wagners Werke jetzt an mancher Stelle zu Zeiten ebensogut, wenn nicht besser hören kann, als in Bayreuth, oder eine allgemeine Erschlaffung des Interesses an Wagners Werken in Folge der heutigen geschäftsmäßigen Ausnutzung. Vor beiden schützt sie aber wohl noch einige Zeit teils der historische Name des durch Wagner berühmt gewordenen Ortes, teils die Trägheit der nun einmal bestehenden Moden.
Dass in der Dauerausstellung „Verstummte Stimmen“ im Festspielpark auch Felix Weingartner eine Tafel gewidmet ist, darf man durchaus kritisch sehen. Vielleicht haben die Ausstellungsmacher unter Hannes Heer nicht umfassend genug recherchiert. Denn schon nach seinem ersten Assistenten-Jahr 1886 distanzierte sich der Nachwuchsdirigent von seinem Jugend-Ideal namens Bayreuth: „In dem sicheren Gefühle, daß eine selbständige Entfaltung meiner Kräfte ‚unter den obwaltenden Umständen‘ in Bayreuth unmöglich sei, habe ich vor Schluß der Festspiele 1886 um Urlaub ersucht und seitdem jeden Schritt sorgfältig vermieden, der mir als Versuch einer Annäherung hätte ausgedeutet werden können. Ich kann einer Sache bis zur Selbtsaufopferung dienen, nicht aber einer Person, mit der ich mich in Widerspruch befinde, möge ihr auch die Welt zu Füßen liegen.“ Und im Vorwort der 2. Auflage von „Bayreuth (1876–1896) schreibt er im Oktober 1903:
Mein Vorgehen wurde hauptsächlich als Werk der Rache gegen Frau Wagner bezeichnet, weil ich niemals eingeladen worden war, bei den Festspielen zu dirigieren. Viele Künstler haben sich ihren Namen, rascher als es sonst möglich gewesen wäre, durch ihre Mitwirkung in Bayreuth gemacht. Oberflächlichen Beurteilern kann ich es somit nicht einmal ernstlich verübeln, wenn sie früher auch in den Tiefen meiner Seele einen ähnlichen Wunsch vermuteten. Nun – heute darf ich wohl annehmen, keinem Zweifel zu begegnen, wenn ich es für ein höheres Glück erachte, mein Kunstbewußtsein, sei es durch inniges Gnießen der Natur, sei es durch begeistertes Studium großer Meisterwerke kräftigen und durch künstlerische Betätigung, wie ich sie für richtig halte, meinem idealen Ziele zusteuern zu können, als wenn ich von Wahnfrieds Bewohnern ‚Belehrungen‘ entgegennehmen müßte. Heute wird man mir glauben, daß mein einziges persönliches Gefühl Bayreuth gegenüber die Dankbarkeit ist, ihm nichts zu verdanken.
Weingartners Talent als Pianist, Dirigent und Komponist kann man übrigens nachhören: auf einer sehr frühen Welte-Mignon-Aufnahme und unter anderem auf der ersten kommerziellen Einspielung aller Beethoven-Symphonien. Seine eigenen Symphonien wurden erst im letzten Jahrzehnt unter Marko Letonja und dem Baseler Sinfonieorchester sukzessive auf CD gebannt, darunter auch seine Siebte, deren Uraufführung er noch kurz vor seinem Tod in seiner neuen schweizerischen Wahlheimat erleben durfte.
Erstveröffentlichung auf https://www.takt1.de/
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