Der Bariton Heinrich Schlusnus, der am 18. Juni 1952 gestorben ist, wurde sowohl Opernsänger als auch als Liedinterpret gefeiert.
Wenn in Biographien steht, dass ein berühmter Sänger aus einer kinderreichen Postbeamtenfamilie stammte und zunächst selbst bei der Post war, ist das erstmal nicht ungewöhnlich. Schließlich gibt es da sogar einen, der Titelheld einer komischen Oper ist. Heinrich Schlusnus sang allerdings nicht wie der Postillon von Lonjumeau trompetenhell im Tenorfach, sondern war ein butterweicher Bariton. Die musische Begabung hatte er von seinem Vater geerbt, der nebenbei als Bassist die Quartettvereinigung Braubach am Rhein leitete, wo Heinrich im August 1888 geboren wurde.
Da der Vater früh starb, musste der kleine Heinrich schon nach der mittleren Reife die Schule verlassen und zum Broterwerb zur Post in Koblenz. Nach ersten Gesangsstunden in Frankfurt fand er dort einen Mäzen, der sein Gesangsstudium finanzierte. Doch bevor er sein erstes Engagement antreten konnte, wurde er eingezogen und im August 1914 an der belgischen Front am Bein so schwer verletzt, dass er den Kriegsdienst quittieren konnte, aber zeitlebens darstellerisch beeinträchtigt war. Er debütierte 1915 als Wagners Heerrufer in Hamburg und wurde nach einer Zwischenstation in Nürnberg für fast drei Jahrzehnte Ensemblemitglied an der Königlichen Oper Berlin, der späteren Berliner Staatsoper. Vor allem als Verdi-Sänger wurde er dort bejubelt, unter anderem im damaligen Fachblatt Schweinwerfer 1926: „Aber die Stimme! Ein einziges Schwelgen in Schönheit des Klanges, in Kultur der Linie, in der unerschöpflichen Fülle des samtenen Organs.“
Bei den Bayreuther Festspielen wirkte er nur einmal mit: 1933, bei den Jubiläumsfestspielen zum 50. Todestag Richard Wagners, als Amfortas in Parsifal, der unter der Aufsicht von Cosimas Tochter Daniela und unter dem Dirigat von Richard Strauss zum letzten Mal in seiner szenischen Urgestalt aufgeführt wurde. Im Berliner Tageblatt schrieb darüber Alfred Einstein: „Der Amfortas von Heinrich Schlusnus versagt sich die stärksten stimmlichen Ausbrüche und wirkt in seiner Weichheit doppelt ergreifend.“
Genau diese bewusste Zurückhaltung und Einfachheit war es denn auch, die ihn als Lied-Interpreten prädestinierten. Schlusnus, mit dem laut Jürgen Kesting die Geschichte des neueren Liedgesangs begonnen hat, gab in seiner Laufbahn weit über 2000 Liederabende und war überaus populär. Seine zweite Frau Annemarie, die er in Bayreuth heiratete, brachte es wie folgt auf den Punkt: Sein Liedgesang sei weniger von sängerischen Finessen als vom menschlichen Ausdruck, weniger von stilistischen Nuancierungen als von einer natürlichen Seelenaussprache geprägt gewesen. Oder, wie Kesting in seiner Sänger-Enzyklopädie schreibt: „Nicht der Sänger macht auf Sinn, auf Bedeutungen aufmerksam, sondern er lässt die Musik für sich sprechen: Sinnfälligkeit durch Einfachheit und Schlichtheit.“
Weil auch Adolf Hitler den Bariton schätzte und den Berliner Kammersänger in die Liste der „Gottbegnadeten“ aufnahm, durfte Schlusnus nach dem Krieg zwei Jahre nicht mehr auftreten. Drei Wochen nach seinem 59. Geburtstag bekam er seine Entnazifizierungsbescheinigung und konnte wieder öffentlich singen. Die Zeit, die ihm verblieb, war nicht mehr lang. Nach diversen Opernauftritten in Deutschland und der Schweiz sowie Tourneen nach Übersee musste er 1951 wegen einer unheilbaren Herzschwäche mit einem letzten Liederabend auch seinen Abschied vom Konzertpodium nehmen. Am 18. Juni 1952 erlag er in Frankfurt seinem Herzleiden und wurde in seinem Geburtsort Braubach, wo er bereits 1924 zum Ehrenbürger ernannt wurde und immer wieder Benefizkonzerte gegeben hatte, unter großer Anteilnahme beigesetzt. ¶
Erstveröffentlichung auf https://www.takt1.de/
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