Die Hautevolee gab sich ein Stelldichein, als am 13. August 1876 mit dem Vorabend der „Ring“-Tetralogie Richard Wagners die ersten Bayreuther Festspiele eröffnet wurden.
Der Auflauf an Promis war auf Anhieb vom Feinsten: Kaiser Wilhelm I., Kaiser Dom Pedro von Brasilien, Großfürst Wladimir von Russland, der Herzog von Manchester und der ungarische Nationalheld Julius Graf Andrassy führten den internationalen Hochadel an, gefolgt vom König von Württemberg, von Großherzog Karl Alexander von Weimar-Eisenach, dem Großherzogspaar von Baden und Großherzog von Mecklenburg, Prinz Wilhelm von Hessen, den Fürsten Reuss und von Thurn und Taxis, den Herzögen von Anhalt und Meiningen, Prinzessinnen von Preußen und weiteren namhaften europäischen Blaublütern.
Dazu illustre Protagonisten der Musik- und Kunstwelt wie die Dirigenten Leopold Damrosch, Hermann Levi, Nikolai Rubinstein und Franz Wüllner, die Komponisten Anton Bruckner, Edvard Grieg, Franz Liszt, Camille Saint-Saëns und Peter Tschaikowsky, Maler wie Hans Makart, Franz von Lenbach, Adolph von Menzel und Henri Fantin-Latour, bekannte Sänger, Schauspieler, Intendanten, Schriftsteller und Kritiker. Sie alle kamen in ein damals 19 000 Einwohner zählendes Städtchen im Norden des Königreichs Bayern, wo am 13. August 1876 mit „Das Rheingold“, dem Vorabend von Richard Wagners Tetralogie „Der Ring des Nibelungen“, die ersten Bayreuther Festspiele eröffnet wurden. Nur König Ludwig II. von Bayern fehlte. Der größte Mäzen dieses ungewöhnlichen Projekts hatte schon die Generalproben besucht und sollte zum dritten „Ring“-Zyklus nochmals kommen.
Die Mutter der neuzeitlichen Festspiele startete an einem Sonntag. Draußen herrschte Gluthitze, im Zuschauerraum wurden bis zu dreißig Grad gemessen. Das gibt es bei entsprechendem Wetter heute noch, denn das Festspielhaus hat, auch der einmaligen Akustik wegen, bisher noch keine Klimaanlage – was aber, wenn die Finanzierung klappt, spätestens 2026 zum 150. Jubiläum Festspielgeschichte sein soll. Der Auftakt von Bayreuth wurde übrigens mit Verspätung gegeben. Plakate annoncierten, dass die für fünf Uhr Nachmittag geplante erste Vorstellung wegen der Ankunft des Kaisers von Brasilien auf sieben Uhr verschoben werden musste.
Schaulustige drängten sich an der Auffahrt mit Kutschen, um die aus ganz Europa und Übersee angereiste Hautevolee zu bestaunen, welche wiederum über die Novitäten staunte, die sie in dem nagelneuen Theaterbau erwarteten: Schon die Fanfaren, die zur Vorstellung riefen, waren eine sinnige Neuheit, erst recht das amphitheatralische Auditorium mit dem überdeckten Orchestergraben und dem magisch sich teilenden Vorhang. Per Handzettel wurden die Festspielbesucher zudem informiert, dass weder der Komponist noch seine Künstler sich zum Beifall zeigen würden.
Richard Wagner selbst richtete an die als seine „lieben Genossen“ titulierten Mitwirkenden per handschriftlichem Anschlag seine letzte Bitte: „!Deutlichkeit! – Die grossen Noten kommen von selbst; die kleinen Noten und ihre Text sind die Hauptsache.“ Und er ergänzte seine Bitte mit einer regiehandwerklichen Präzisierung, die man auch heute noch jedem Opernregisseur und jedem Sängerdarsteller ans Herz legen kann, darf, soll und muss: „Nie dem Publikum etwas sagen, sondern immer dem Anderen; in Selbstgesprächen nach unten oder nach oben blickend, nie gerad‘ aus.“
Als es dann dunkel wurde im Zuschauerraum, die tiefen Es-Dur-Klänge anhoben und sich im grünlichen Dämmerlicht das Wogen der Wassertiefe auch auf der Bühne zeigte, „ging ein Hauch des Staunens“ durch das ganze Haus. Schon die Schwimmwagen der Rheintöchter waren ein Coup. Zwar klappte längst nicht alles wie geprobt, Cosima Wagner beklagte sogar den „vollständigen Unstern“, unter dem die Aufführung stand. Aber am Ende konstatierte selbst der damalige Kritikerpapst Paul Lindau aus Berlin: „Wagner hat durch die Macht seiner Persönlichkeit und die Bedeutung seines Werkes es durchgesetzt, hier auf diesem bescheidenen Flecken der Erde, der von den großen Verkehrsstraßen ganz abseits liegt und niemals zufällig berührt, sondern immer nur absichtlich erreicht wird, eine Schar von künstlerischen Kräften zu vereinen, die in der Tat einzig genannt werden kann.“
Erstveröffentlichung auf https://www.takt1.de/
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