Siegfried Wagner, das Chamäleon

Im Dis­kurs-Rah­men­pro­gramm der Bay­reu­ther Fest­spie­le wur­de am 13. Au­gust „Sieg­fried“ als Schau­spiel ur­auf­ge­führt. Zwei gran­dio­se Schau­spie­ler ver­kör­pern im Mo­no­log von Fer­idun Za­i­mo­g­lu und Gün­ter Sen­kel nicht nur den Titelhelden.

Vi­deo- und Re­al­sze­ne zu Be­ginn von „Sieg­fried“ – Alle Sze­nen­fo­tos: Bay­reu­ther Festspiele/​Konrad Fersterer

Ohne Frau­en geht eben nichts. Auch und be­son­ders bei den Wag­ners. Sieg­fried Wag­ner, der vor 150 Jah­ren ge­bo­re­ne ein­zi­ge Sohn von Co­si­ma und Ri­chard Wag­ner, steht zwar im Mit­tel­punkt des Auf­trags­werks „Sieg­fried“, das am Diens­tag im ehe­ma­li­gen Reichs­hof-Kino ur­auf­ge­führt wur­de. Aber ob­wohl in die­sem Mo­no­log nur zwei Män­ner auf der Büh­ne agie­ren, mi­schen Wag­ne­rin­nen kräf­tig mit.

Der Abend be­ginnt – wo sonst? – in Wahn­fried, mit Vi­deo­bil­dern zwei­er Ge­stal­ten, die durch Haus und Gar­ten geis­tern: Es han­delt sich um Sieg­fried und Wi­nif­red Wag­ner, ge­spielt von Fe­lix Axel Preiß­ler (des­sen Kar­rie­re im En­sem­ble des Bam­ber­ger Thea­ters star­te­te) und Fe­lix Rö­mer (von der Ber­li­ner Schau­büh­ne), zwei groß­ar­ti­gen Schau­spie­lern, die zwei Stun­den lang im­mer wie­der Rol­len, Klei­dung und Ge­schlecht wech­seln, um uns je­nen schwer fass­ba­ren, ge­spal­te­nen, zer­ris­se­nen, cha­mä­le­on­haf­ten Cha­rak­ter nä­her zu brin­gen, der Sieg­fried Wag­ner war.

Fe­lix Axel Preiß­ler (links) und Fe­lix Rö­mer als der auf­ge­spal­te­ne Ti­tel­held in dem Mo­no­log „Sieg­fried“

Der Stück­text stammt von dem Au­toren­duo Fer­idun Za­i­mo­g­lu und Gün­ter Sen­kel, das zu­letzt durch sei­ne poe­ti­sche und wir­kungs­mäch­ti­ge Spra­che bei den Ni­be­lun­gen­fest­spie­len in Worms auf­fiel. Der für das Bay­reu­ther Dis­kurs-Rah­men­pro­gramm be­stell­te Mo­no­log ist kei­ne her­kömm­li­che Bio­gra­fie, son­dern fo­kus­siert sich auf zwei Schlüs­sel­jah­re im Le­ben Sieg­frieds – auf 1914 und 1930. Denn nur der Aus­bruch des ers­ten Welt­kriegs ver­hin­dert, dass Sieg­frieds ruch­bar ge­wor­de­ne, da­mals straf­ba­re Ho­mo­se­xua­li­tät dem oh­ne­hin pre­kä­ren Fa­mi­li­en­be­trieb den Gar­aus macht. Der Kom­po­nist, Li­bret­tist, Di­ri­gent, Re­gis­seur und seit 2008 al­lein ver­ant­wort­li­che Fest­spiel­lei­ter er­gibt sich in sein Schick­sal, hei­ra­tet we­nig spä­ter die 28 Jah­re jün­ge­re Wi­nif­red Wil­liams und sorgt für Nachwuchs.

1930 stirbt er im Al­ter von 61 Jah­ren, kei­ne fünf Mo­na­te nach dem Tod der grei­sen Mut­ter. Sein Tes­ta­ment wirkt bis in die Ge­gen­wart. Die an­ti­se­mi­ti­sche, ras­sis­ti­sche und völ­ki­sche Aus­rich­tung der Fest­spie­le, wie sie von Co­si­ma, Wi­nif­red, Halb­schwes­ter Da­nie­la, Schwes­ter Eva und de­ren Mann Hous­ton Ste­wart Cham­ber­lain ze­men­tiert wird, trägt er hier deut­lich zwei­felnd mit.

Fe­lix Axel Preiß­ler (links) und Fe­lix Rö­mer in „Sieg­fried“

Wäh­rend der Blick der Au­toren auf Sieg­fried spür­bar of­fen und zu­min­dest in Hin­blick auf die Beid­ler-Af­fai­re zu em­pa­thisch ist, ge­hen der Re­gis­seur Phil­ipp Preuss und sein kon­ge­nia­les Team das Stück kon­zi­ser an: Sie ha­ben den durch die Be­set­zung mit zwei Dar­stel­lern oh­ne­hin auf­ge­spal­te­nen Mo­no­log zü­gig ge­kürzt und er­wei­tert. Nicht nur Sieg­fried ist da­durch mit wit­zi­gen Aus­schnit­ten aus ei­ge­nen Wer­ken bes­ser prä­sent, son­dern vor al­lem Wi­nif­red, die un­ter an­de­rem in köst­lich nach­ge­spiel­ten Au­dio­se­quen­zen aus dem Sy­ber­berg-Film zu Wort kommt. Die dunk­le Erde, die Aus­stat­te­rin Ra­mal­lah Sara Au­b­recht auf die Büh­ne mit Hei­li­gen­schein­leuch­te ge­kippt hat, färbt das aus Un­ter­wä­sche be­stehen­de Grund­kos­tüm na­tür­lich braun ein.

Fe­lix Axel Preiß­ler in „Sieg­fried“

Das Er­drü­cken­de des vä­ter­li­chen Er­bes prä­sen­tiert die In­sze­nie­rung schon ein­gangs durch ei­nen De­fekt: Das Wort Va­ter wird stot­ternd auf­ge­teilt in Vffff … ater. Nicht we­ni­ger er­drü­ckend die weib­li­che Do­mi­nanz. Wie Pi­noc­chio trägt der jun­ge schwu­le Sieg­fried eine se­xua­li­sier­te Lü­gen­na­se, die so viel mehr sagt als je­des Klischee.

Erst recht, wenn nach Re­form­klei­dern und Kit­tel­schür­zen auch noch der über dem Kopf ge­schlos­se­ne Tütü ins Spiel kommt. Im­mer wie­der ge­lingt es dem Stück, der mit fu­rio­sen Thea­ter- und Vi­deo-Bil­dern, mit mal säu­seln­den, mal dröh­nen­den Klän­gen spie­len­den In­sze­nie­rung und den zwei in Spra­che, Mi­mik und Ges­tik über­zeu­gen­den Ak­teu­ren, den Zu­schau­ern die in­ne­ren Dra­men die­ses zwar pri­vi­le­gier­ten, aber un­glück­se­li­gen Er­ben nahe zu bringen.

Am Ende macht die ku­gel­rund auf­ge­bla­se­ne, sur­rea­lis­ti­sche Wahn­fried­welt Sieg­fried platt. Die im stän­di­gen Rol­len­wech­sel ge­ge­be­ne Un­ein­deu­tig­keit ent­spricht letzt­lich dem heu­ti­gen Wis­sens­stand über Sieg­fried Wag­ner. So­lan­ge sei­ne si­cher auf­schluss­rei­che Pri­vat­kor­re­spon­denz von der Fa­mi­lie zu­rück­ge­hal­ten wird, kann sich nie­mand ein kom­plet­tes Bild von ihm ma­chen. Einst­wei­len ist die­se „Siegfried“-Inszenierung im­mer­hin eine gute Möglichkeit.

Be­such­te Ur­auf­füh­rung am 13. Au­gust 2019, Druck­ver­si­on im Feuil­le­ton des Frän­ki­schen Tags. Wei­te­re Vor­stel­lun­gen am 15., 19. und 21. Au­gust. Kar­ten un­ter www​.ti​cket​mas​ter​.de oder Te­le­fon 01806-9990000.

Fe­lix Axel Preiß­ler im Live-Vi­deo und Fe­lix Rö­mer in „Sieg­fried“