Die schwulen Seiten Siegfried Wagners

Strand­bild am Lido von Ve­ne­dig mit Sieg­fried Wag­ner und sei­nem Schwa­ger Hen­ry Tho­de © In­ter­na­tio­na­le Sieg­fried Wag­ner Gesellschaft/​Schwules Museum*

Eine Aus­stel­lung im Schwu­len Museum*Berlin wid­met sich in­ten­siv Sieg­fried Wag­ners ho­mo­se­xu­el­ler Orientierung.

Sieg­fried Wag­ner: Bay­reuths Erbe aus an­ders­far­bi­ger Kis­te heißt eine Aus­stel­lung im Schwu­len Mu­se­um* Ber­lin in Zu­sam­men­ar­beit mit der In­ter­na­tio­na­len Sieg­fried-Wag­ner-Ge­sell­schaft und dem Ri­chard-Wag­ner-Mu­se­um Bay­reuth, die noch bis 26. Juni 2017 zu se­hen ist und von ei­nem at­trak­ti­ven Ver­an­stal­tungs­pro­gramm be­glei­tet wird, bei dem un­ter an­de­rem Bar­rie Kos­ky, Re­gis­seur der Bay­reu­ther Meis­ter­sin­ger-Neu­in­sze­nie­rung 2017, über Wag­ner und Ho­mo­pho­bie im Opern­be­trieb spre­chen wird. Im Fol­gen­den ist der Pres­se­text der Aus­stel­lung zu le­sen, zu der auch ein emp­feh­lens­wer­ter Ka­ta­log (sie­he Ab­bil­dung) er­schie­nen ist:

Die Ge­schich­te des Wag­ner-Clans – mit all ih­ren Ver­stö­ßen ge­gen kon­ven­tio­nel­le Mo­ral­vor­stel­lun­gen, In­tri­gen, Skan­da­len, Macht­kämp­fen um Bay­reuth so­wie po­li­ti­schen Po­si­tio­nie­run­gen – be­schäf­tigt die deut­sche Öf­fent­lich­keit seit 150 Jah­ren. Der „Grü­ne Hü­gel“ und die dort seit 1951 all­jähr­lich statt­fin­den­den Fest­spie­le wer­den von vie­len als „Pan­the­on des deut­schen Vol­kes“ be­trach­tet, als na­tio­na­les Hei­lig­tum und Kul­tur­gut 1. Güte, das in die Welt hinausleuchtet.

Kom­po­nist Ri­chard Wag­ner (1813–1883) ist da­bei die zen­tra­le Fi­gur: eine der um­strit­tens­ten Per­sön­lich­kei­ten der Mu­sik­ge­schich­te. Mit Bü­chern zu sei­nem Le­ben und Werk kann man gan­ze Bi­blio­the­ken fül­len. Dar­un­ter fin­den sich zahl­rei­che Pu­bli­ka­tio­nen zu je­ner be­son­de­ren Fas­zi­na­ti­on, die die Mu­sik­dra­men Wag­ners auf Ho­mo­se­xu­el­le aus­üben, etwa Os­car Wil­des Das Bild­nis des Do­ri­an Gray (1891), Os­kar Pa­niz­zas Bay­reuth und Ho­mo­se­xua­li­tät (1895), Ce­sa­re Lom­bro­sos Ge­nio e de­ge­ne­ra­zio­ne (1897), Hanns Fuchs’ Ri­chard Wag­ner und die Ho­mo­se­xua­li­tät (1903) und Hein­rich Pu­dors Ri­chard Wag­ners Bi­se­xua­li­tät (1907).

Por­trät­fo­to Sieg­fried Wag­ners von 1905 © In­ter­na­tio­na­le Sieg­fried Wag­ner Gesellschaft/​Schwules Museum*

Als am 6. Juni 1869 Ri­chard Wag­ners ein­zi­ger Sohn Sieg­fried in der Schweiz ge­bo­ren wird – be­nannt nach der hel­den­haft an­ar­chis­ti­schen und zu­gleich frau­en­fürch­ten­den Opern­fi­gur, die aus der in­zes­tuö­sen Li­ai­son von Sieg­mund und Sieg­lin­de her­vor­gan­gen ist – war der Phi­lo­soph Fried­rich Nietz­sche an­we­send, die Iko­ne der spä­te­ren „Mas­ku­li­nis­ten“ rund um Adolf Brand, Kö­nig Lud­wig II. ist Tauf­pa­te, Mut­ter Co­si­ma von Bülow ist zum Zeit­punkt der Ge­burt ih­res fünf­ten Kin­des und ein­zi­gen Kna­ben noch mit ei­nem an­de­ren Mann ver­hei­ra­tet, und Franz Liszt ist der il­lus­tre Groß­va­ter. Sieg­fried war von An­fang an aus­er­ko­ren, das Erbe des Va­ters ein­mal wei­ter­zu­füh­ren: als Mu­si­ker, Di­ri­gent, Re­gis­seur und künst­le­ri­scher Lei­ter der Fest­spie­le, die er 1906 von sei­ner Mut­ter über­nahm und bis zu sei­nem Tode 1930 in eine mo­der­ne neue Ära über­führ­te, zum Är­ger vie­ler re­ak­tio­nä­rer Wag­ne­ria­ner. Da­ne­ben kom­po­nier­te Sieg­fried ins­ge­samt 18 mu­sik­dra­ma­ti­sche Büh­nen­wer­ke, die zu sei­nen Leb­zei­ten sehr er­folg­reich in ganz Eu­ro­pa auf­ge­führt wur­den. Und er tritt in der gan­zen Welt als ge­frag­ter – und gut be­zahl­ter – Di­ri­gent ei­ge­ner Wer­ke auf so­wie spe­zi­ell der Wer­ke von Ri­chard Wag­ner und Franz Liszt.

Dass Sieg­fried ho­mo­se­xu­ell war und ein für die Zeit er­staun­lich of­fe­nes schwu­les Le­ben führ­te, war der Fa­mi­lie be­kannt und wur­de weit­ge­hend to­le­riert. Er­pres­ser wur­den mit Geld aus der Pri­vat­kas­se zum Schwei­gen ge­bracht. Nach dem Eu­len­burg-Skan­dal nahm der Jour­na­list Ma­xi­mi­li­an Har­den 1914 Sieg­fried Wag­ner ins Vi­sier, hat­ten doch Eu­len­burg den Wag­ner-Kult ge­för­dert und die dau­er­haf­te fi­nan­zi­el­le Ab­si­che­rung der Fest­spie­le ein­ge­fä­delt. Au­ßer­dem war Eu­len­burg be­freun­det mit dem „Ras­se­pro­phe­ten“ Hous­ton Ste­wart Cham­ber­lain, Sieg­frieds Schwa­ger. Nach­dem Har­den Sieg­fried öf­fent­lich als „Hei­land aus an­ders­far­bi­ger Kis­te“ be­zeich­net hat­te, trat die­ser die Flucht nach vorn an: er hei­ra­te­te über­stürzt die an­dro­gy­ne, noch min­der­jäh­ri­ge Kind­frau Wi­nif­red (1897–1980), die ihm vier Kin­der ge­bar und da­mit Ge­rüch­te über die Ho­mo­se­xua­li­tät ih­res Ehe­manns er­stick­te. Au­ßer­dem sorg­ten Sieg­fried und Wi­nif­red auf die­sem Weg für die Er­ben der Fest­spie­le: Wie­land (1917–1966) und Wolf­gang Wag­ner (1919–2010). Die glü­hen­de Wag­ne­ria­ne­rin Wi­nif­red lei­te­te nicht nur Bay­reuth in die Arme der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten, mit al­len fa­ta­len Fol­gen, son­dern sorg­te nach dem Tod ih­res Man­nes da­für, dass des­sen kom­po­si­to­ri­sches Werk nicht mehr auf­ge­führt wur­de, weil an­geb­lich „un­be­deu­tend“ im Ver­gleich zu den Mu­sik­dra­men Ri­chard Wag­ners. Sie be­grün­de­te eine Ver­hin­de­rungs­pra­xis, die Sohn Wolf­gang noch bis in die jüngs­te Ver­gan­gen­heit fortsetzte.

Ge­nie im Schat­ten: Sieg­fried und Ri­chard Wag­ner (Ka­ri­ka­tur)

In Bü­chern zu Ri­chard Wag­ner und den Bay­reu­ther Fest­spie­len kommt Sieg­fried bis­lang nur am Ran­de vor, sei­ne Ho­mo­se­xua­li­tät wird so gut wie gar nicht dis­ku­tiert oder wenn doch, nur ver­schlüs­selt. Eben­so un­er­wähnt blieb lan­ge der Kreis schwul-les­bi­scher Künstler_​innen, die Sieg­fried nach Bay­reuth hol­te und die „quee­ren“ Neue­run­gen im In­sze­nie­rungs­stil, die er mit die­sen Künster_​innen durch­setz­te. Sei­ne ei­ge­nen Wer­ke wur­den gänz­lich mar­gi­na­li­siert, sei­ne Pri­vat­kor­re­spon­denz ließ Wi­nif­red 1973 nicht zu­sam­men mit den Fa­mi­li­en­un­ter­la­gen der Ri­chard-Wag­ner-Stif­tung ein­flie­ßen, son­dern über­gab sie an ihre äl­tes­te En­ke­lin Ame­lie, Toch­ter von Ve­re­na Laf­fer­entz-Wag­ner, un­ter der Auf­la­ge strik­tes­ter Ge­heim­hal­tung. Sven Fried­rich spricht dies­be­züg­lich von „Faf­ne­ri­sie­rung“. Nur der Va­ti­kan ist noch her­me­ti­scher abgeriegelt.

Die Aus­stel­lung Sieg­fried Wag­ner: Bay­reuths Erbe aus an­ders­far­bi­ger Kis­te wird sich erst­mals un­vor­ein­ge­nom­men der schwu­len Sei­te von Sieg­fried Wag­ners Le­ben und Oeu­vre wid­men, sei­ne in­no­va­ti­ve Ar­beit in Bay­reuth be­leuch­ten, sein Ver­hält­nis zum Na­tio­nal­so­zia­lis­mus und dem An­ti­se­mi­tis­mus ana­ly­sie­ren, sei­nen Le­bens­part­ner Cle­ment Har­ris und an­de­re in­ti­men Freun­de vor­stel­len, eben­so sei­nen un­ehe­li­chen schwu­len Sohn Wal­ter Aign (1901–1977). Be­son­de­re Auf­merk­sam­keit wird sei­nen stark au­to­bio­gra­fi­schen Opern ge­wid­met, mit his­to­ri­schen Büh­nen­bild­ent­wür­fen und Auf­füh­rungs­fo­tos. Eine Ein­zel­ab­tei­lung wird sich „Ri­chard Wag­ner und die Ho­mo­se­xua­li­tät“ wid­men, um zu zei­gen, auf wel­chem Fun­da­ment Sieg­frieds Le­ben auf­baut und war­um sein Sohn Wie­land zeit­le­bens Angst hat­te, eben­falls ho­mo­se­xu­ell zu wer­den – als Erbe des Va­ters und Großvaters.

Ku­ra­to­ren: Prof. Dr. Pe­ter P. Pachl, Achim Bahr und Dr. Ke­vin Clar­ke; Wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­beit: Dr. Mi­cha­el Baum­gar­ten & Cin­dy Weg­ner, Art Di­rec­tor: Mar­tin Hoffmann

Zur Aus­stel­lung er­scheint ein Es­say­band, her­aus­ge­ge­ben von Achim Bahr. Eine Kon­zert­rei­he wird ge­stal­tet von pia­n­o­pia­nis­si­mo-mu­sik­thea­ter Mün­chen; da­für hat uns die Fir­ma Stein­grae­ber & Söh­ne, Bay­reuth, ei­nen Flü­gel zur Ver­fü­gung ge­stellt. Hier noch Links zu Be­rich­ten im Ta­ges­spie­gel, im Deutsch­land­funk , im MDR und ei­nem aus­führ­li­chen In­ter­view mit Aus­stel­lungs­ma­cher Dr. Ke­vin Clar­ke auf www​.que​er​.de