An der Oper Frankfurt hat Katharina Thoma Wagners „Tristan und Isolde“ in einer stimmigen, abstrakten Ästhetik inszeniert. Vincent Wolfsteiner überzeugt in der Titelrolle.
Was sind das für merkwürdige Opernfreunde, die nach einer „Tristan“-Premiere die Isolde-Solistin ausbuhen, die mit Pausen fünf Stunden lang zweifellos sängerdarstellerische Höchstleistungen erbracht hat? Natürlich sind die Geschmäcker verschieden. Aber Operngesang ist, zumal bei Wagner, per se etwas so Fragiles und so Kostbares, dass derart herausgeblökte Ablehnung sich eigentlich verbietet.
Normalerweise arbeiten Buhrufer sich an der Regie ab. Dass die Neuinszenierung von Katharina Thoma widerspruchslos über die Bühne ging, hat mit ihrer abstrakten Ästhetik zu tun. An den klaren, stimmigen und wunderbar beleuchteten Bildern in Schwarz-Weiß mit dem schwebenden, stehenden und schließlich zerstückten Plafond samt Beiboot (Bühne: Johannes Leiacker, Licht: Olaf Winter) und den heutigen Kostümen (Irina Bartels) muss sich niemand reiben.
Am Konzept auch nicht. Höchstens an ein paar kleineren Regietheaterunarten, die sich die Professorin an der Musikhochschule Würzburg, Leiterin der dortigen Opernschule und baldige „Holländer“-Regisseurin in Erl nicht verkneifen konnte. Thoma versucht, wie andere vor ihr, der handlungsarmen Wagneroper mit genau konturierten und geführten Figuren und einem psychoanalytischen Ansatz beizukommen.
Wenn Tristan im 1. Akt so sehr abweisend, depressiv, ja beziehungsuntauglich erscheint, kommt das für sie nicht von ungefähr. Bei einem, der ohne Eltern aufwachsen musste, liegt es nahe, dass diese – allerdings gespenstisch gesichtslos – in seinen Fieberfantasien des 3. Akts auftauchen: Der Mann will gar nicht lieben, sondern nur sterben.
Isolde ist die Aktive in der von vornherein unmöglichen Affäre. Es braucht gar keinen Spezialtrank, sondern nur irischen Whisky, damit ihre Wut auf den Mörder ihres Verlobten Morold weicht. Im gemeinsamen Tod erkennen beide ihr Liebesglück, das so allerdings nicht eintrifft. Tristan tötet sich selbst und lässt sie im aus Leuchtstoffröhren weiß flutenden Nichts, im Nirwana allein zurück: Isolde lebt!
Rachel Nicholls verkörpert eine noch junge, aber entschieden kühne Prinzessin. Dem entspricht ihre schnörkellose Stimme, die an den entscheidenden Stellen groß ist, aber nicht immer rund und geschmeidig genug strahlt. Was ihr noch fehlt, ist die Wortverständlichkeit, wie sie den anderen Protagonisten zu eigen ist – bei der großartigen Brangäne Claudia Mahnkes, dem stimmlich auftrumpfenden Marke von Andreas Bauer Kanabas und bei ihrem todgeweihten Tristan.
Tenor Vincent Wolfsteiner, den hiesige Opernfreunde aus seiner Nürnberger Zeit nicht nur schätzen, sondern vermissen, ist ein Weltklasse-Tristan, der weder sparen noch bellen und schreien muss und auch darstellerisch keine Wünsche offen lässt. Wenn er singt, sieht man, dass er den Inhalt der Worte nicht nur verstanden hat, sondern in dem Moment zu fühlen, zu erleben scheint. Eine bannende Leistung. Auch die weiteren Solisten überzeugen.
Sebastian Weigle und das Frankfurter Opern- und Museumsorchester im Graben sind eine Bank für das sehnsuchtsvoll Schwebende in der „Tristan“-Partitur. Der Dirigent hat stets die Solisten im Blick, vernachlässigt aber keineswegs die rauschhaften Passagen. Das hohe musikalische Niveau spiegelt sich auch darin, dass der Herrenchor ebenso auf der Bühne präsent sein darf wie das Englischhorn und die selten zu erlebende Holztrompete mit ihren Spielern. Überhaupt sind die Bläser eine Wucht – darunter zwei Musiker mit Instrumenten aus der Bamberger Klarinettenwerkstatt Schwenk und Seggelke.
Druckversion der Kritik im Feuilleton des Fränkischen Tags. Besuchte Premiere am 19. Januar, weitere Vorstellungen am 25. Januar, am 1., 9., 14., 23. und 29. Februar sowie im Juni/Juli. Karten unter Telefon 069/21249494 bzw. über die Homepage der Oper Frankfurt
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