Brünnhilde twittert, Siegfried rennt

Vin­cent Wolf­stei­ner als Sieg­fried in „Göt­ter­däm­me­rung“ Foto: Lud­wig Olah

Ach, das Re­gie­thea­ter! Wer da nicht zwang­haft ak­tua­li­siert, de­kon­stru­iert und auf den Kopf stellt, zählt schnell zu den Alt­vor­de­ren – und wer möch­te das schon? Also lässt es das Nürn­ber­ger „Ring“-Team un­ter dem bald 60jährigen Ge­org Schmied­leit­ner, das jetzt bei der „Göt­ter­däm­me­rung“ an­ge­kom­men ist, zu­sam­men mit Ge­ne­ral­mu­sik­di­rek­tor Mar­cus Bosch ganz schön kra­chen. Und zwar so, dass man von ei­nem Be­such fast ab­ra­ten möch­te. Denn dass und wie hier die Flücht­lings­pro­ble­ma­tik ein­ge­baut wur­de, ist nichts an­de­res als eine be­schä­mend dümm­li­che pseu­do­po­li­ti­sche An­bie­de­rung – und hat mit dem Stück un­ge­fähr so viel zu tun wie die am Schluss mit­nich­ten sich auf­op­fern­de, son­dern twit­tern­de Brünnhilde.

Aber erst mal der Rei­he nach, denn als ers­tes kom­men die drei Nor­nen, die sich nicht etwa auf der mit Anti- und Pro-Re­fu­gees-Pla­ka­ten be­spiel­ten Büh­ne ihre noch ana­lo­gen Ton­band­sei­le zu­wer­fen, son­dern mit be­wun­derns­wert akro­ba­ti­schem Kör­per­ein­satz an den Stuhl­leh­nen ent­lang durchs voll­be­setz­te Par­kett und den 1. Rang klet­tern dür­fen, was si­cher nicht den klang­li­chen Vor­stel­lun­gen Ri­chard Wag­ners ent­ge­gen­kommt. Aber die ge­hen an die­sem Abend oh­ne­hin über­wie­gend flö­ten, weil der Di­ri­gent im Or­ches­ter ein­deu­tig zu viel auf Laut­stär­ke setzt, was wie­der­um die So­lis­ten nö­tigt, öf­ter lau­ter zu sin­gen, als es der Stim­me und den emp­find­sa­men Oh­ren der Zu­hö­rer gut tut.

Der zwei­te Re­gie­ein­fall – die Be­bil­de­rung der trau­ten Zwei­sam­keit von Sieg­fried und Brünn­hil­de auf dem Wal­kü­ren­fels des Vor­spiels – wirkt letzt­lich wie ein Auf­guss von Bert Neu­manns hei­me­lig-um­flamm­ten Büh­nen­kas­ten im Stutt­gar­ter „Ring“ vor drei­zehn Jah­ren, mit dem Un­ter­schied, dass hier das Mo­bi­li­ar auch an den Wän­den und an der De­cke steht. In die­ser ver­kehr­ten Welt muss Sieg­fried also erst­mal im Lie­gen sin­gen, ob­wohl er schein­bar sitzt. Drängt es ihn des­halb zu neu­en Ta­ten, weil das doch ziem­lich un­ge­müt­lich ist, zu­mal Brünn­hil­de das Le­der­so­fa (Büh­nen­bild: Ste­fan Brand­mayr) ok­ku­piert hat, das wir schon aus den drei an­de­ren „Ring“-Abenden kennen?

Wie auch im­mer: Sieg­fried wirft sich ok­to­ber­fest­lich in Ka­ro­hemd und Le­der­ho­se (Kos­tü­me: Al­fred May­er­ho­fer), schnappt sich das Plüsch­pferd­chen Gra­ne, kriegt noch ein auf­mun­tern­des Leb­ku­chen­herz um­ge­hängt – und ab geht’s in die Gi­bi­chun­gen­welt. In den sty­li­schen, nur mit zwei Dreh­stüh­len und ei­nem Re­tro­kühl­schrank von Bosch (eben­falls ein aus­stat­teri­scher ro­ter Fa­den) be­stück­ten Raum hängt ein ty­po­gra­fisch an Goog­le er­in­nern­des G her­un­ter, da­mit auch der Dümms­te be­greift, dass wir hier in ei­ner Kon­zern­zen­tra­le der di­gi­ta­len Welt ge­lan­det sind. Gun­ther und Gut­ru­ne ver­gnü­gen sich an ih­rer büh­nen­brei­ten Groß­bild­lein­wand mit bru­ta­len Com­pu­ter­spie­len (Vi­deo: Bo­ris Brink­mann) und ha­ben of­fen­sicht­lich was mit­ein­an­der. Für sie ist es ein be­son­de­rer Kick, wenn der eher bie­de­re Kon­zern­pro­ku­rist Ha­gen ih­nen als Ehe­kan­di­da­ten Brünn­hil­de und Sieg­fried ver­spricht, zwei Haupt­fi­gu­ren, die wir schon im drit­ten „Siegfried“-Akt nur als reich­lich prol­li­ge Ka­ri­ka­tu­ren ken­nen­ler­nen mussten.

Der 2. Akt „Göt­ter­däm­me­rung“ – na­tür­lich lau­fen auf dem Pau­sen­vor­hang CNN-Nach­rich­ten, als ob das Pu­bli­kum sonst nicht be­grei­fen könn­te, dass wir alle ge­meint sind – be­ginnt mit dem Schluss des 1. Akts, mit der miss­brauch­ten Brünn­hil­de, wäh­rend Ver­ge­wal­ti­ger Sieg­fried dem Pu­bli­kum den nackt wir­ken­den Hin­tern zei­gen darf. Was soll uns die­ses Bild sa­gen? Dass Sieg­fried, was eh je­der weiß, ga­ran­tiert kein Held ist? Son­dern eher ein Ab­klatsch des Schau­spie­lers Gé­rard De­par­dieu, der be­kannt­lich auch pri­vat gern aus der Rol­le fällt. Fai­rer­wei­se muss ge­sagt wer­den: Vin­cent Wolf­stei­ner, vor­ma­li­ges En­sem­ble­mit­glied und seit die­ser Sai­son fest an der Oper Frank­furt, macht nicht nur den De­par­dieu rich­tig gut, son­dern ist seit sei­nem be­ein­dru­cken­den Sieg­mund und dem phä­no­me­na­len „Siegfried“-Siegfried viel­leicht so­gar in der Hel­den­te­nor­ver­fas­sung sei­nes Le­bens. Bei al­len re­gie­li­chen Vor­be­hal­ten (und die wie­gen schwer, denn weiß Gott nie­mand kann nach­voll­zie­hen, war­um sich gleich zwei Frau­en un­sterb­lich in die­sen Tram­pel ver­lie­ben soll­ten) ist Wolf­stei­ner den­noch jede Fahrt nach Nürn­berg wert. Um Sieg­frie­de von sei­nem sän­ger­dar­stel­le­ri­schen Ni­veau auf­zu­zäh­len, braucht man mo­men­tan nicht mal eine Hand.

Zu­rück in die Gi­bi­chun­gen­welt, bei der das ge­sell­schaft­li­che Oben und Un­ten schon durch die heb- und senk­ba­ren Spiel­flä­che vor­ge­ge­ben ist: Un­ten, im Müll und Mo­rast ve­ge­tie­ren mensch­li­che Un­der­dogs, die zu­wei­len fast er­drückt wer­den, wenn sie sich nicht recht­zei­tig flach­le­gen, oben kom­men im Schlauch­boot dann auch noch die Flücht­lin­ge hin­zu, die von Gun­thers in pas­tell­far­be­ne Busi­ness­klei­dung ge­hüll­ten Man­nen (Chor: Tar­mo Vaask) – was sonst? – erst mal kräf­tig ver­mö­belt wer­den. Spä­ter dür­fen sie sich dann an den trans­pa­ren­ten Trenn­wän­den der Gi­bi­chun­gen­zen­tra­le die Nase platt­drü­cken. Nun han­delt ja Wag­ners im­mer noch ra­di­kal herr­schafts- und ge­sell­schafts­kri­ti­scher „Ring“ un­ter an­de­rem von Klas­sen­un­ter­schie­den. Aber hier ein­fach die ak­tu­el­le Flücht­lings­pro­ble­ma­tik drauf­zu­pap­pen, ist we­der in­halt­lich an­ge­zeigt, noch macht sie aus dem Re­gis­seur ei­nen Gut­men­schen. Im Ge­gen­teil: Er ent­puppt sich eher als Tritt­brett­fah­rer der Aktualität.

An­sons­ten ver­fährt Ge­org Schmied­leit­ner mit den „Ring“-Figuren zu­meist wie bei ei­ner Par­odie, die lei­der fast kein Kli­schee aus­lässt und selbst den Chor nur zu Sel­fie-Süch­ti­gen de­gra­diert. Das Pro­blem da­bei ist, dass der­lei iro­ni­sche Bre­chun­gen wun­der­bar funk­tio­nie­ren, wenn man aus dem „Ring“, wie es die Stu­dio­büh­ne Bay­reuth seit Jahr­zehn­ten vor­ex­er­ziert, eine abend­fül­len­de Ad­ap­ti­on macht. Wenn das Gan­ze aber nicht höchs­tens drei, son­dern rund fünf­zehn Stun­den dau­ert, stellt sich schnell Lan­ge­wei­le ein ob der sze­nisch schreck­lich lee­ren Fi­gu­ren. Al­les bleibt nur Ober­flä­che. Nur zwei­mal wird in die­ser „Göt­ter­däm­me­rung“ das Mu­sik­dra­ma sicht­bar, wenn der sicht­lich ge­al­ter­te Al­be­rich sei­nem schla­fen­den Sohn Ha­gen Bei­ne macht und wenn der da­hin­ge­schlach­te­te Sieg­fried von Gun­ter un­ter gro­ßen Mü­hen wie­der auf­ge­rich­tet wird, leicht schwan­kend steht und quä­lend lan­ge nicht fällt. We­nigs­tens hier lässt die Sze­ne so et­was wie Em­pa­thie auf­kom­men. Der Rest – vor al­lem auch die ver­meint­lich frau­en­eman­zi­pa­to­ri­sche Schluss­lö­sung – ist Regietheatermakulatur.

Trotz­dem wird die­ser „Ring“ – zwei zy­kli­schen Auf­füh­run­gen sind erst ab Mai 2017 ge­plant – sein Pu­bli­kum fin­den, weil er, wenn denn die Haupt­so­lis­ten dem Haus da­für er­hal­ten blei­ben, eine Sän­ger­rie­ge der al­ler­ers­ten Ka­te­go­rie auf­bie­ten kann und da­mit – par­don! – bes­ser ist als das an­geb­li­che Wag­ner-Mek­ka Bay­reuth. Denn ne­ben dem schon her­vor­ge­ho­be­nen Vin­cent Wolf­stei­ner ist auch An­to­nio Young als ver­gleichs­wei­se jun­ger Al­be­rich und Wo­tan ein sän­ger­dar­stel­le­ri­sches Ele­men­tar­ereig­nis. Und die Brünn­hil­de von Racha­el To­vey darf als Mus­ter­bei­spiel da­für gel­ten, dass Sän­ger mit gro­ßer Kör­per­fül­le mit­nich­ten un­glaub­wür­di­ge Sing­sta­tu­en sein müs­sen. Die­se stimm­mäch­ti­ge Frau hat eine un­glaub­li­che Prä­senz und Spiel­witz; scha­de nur, dass sie kaum Chan­cen hat, sich über die des­in­ter­es­sier­te, bloß an ober­fläch­li­chen Ef­fek­ten und Ein­fäl­len ori­en­tier­te Re­gie hin­weg­zu­set­zen. Wie im­mer erst­klas­sig auch Jo­chen Kup­fer als Gun­ther und Eka­te­ri­na Go­do­va­nets als Gut­ru­ne, so­wie als Gast­sän­ger Ros­wi­tha Chris­ti­na Mül­ler als Wal­trau­te und Woong-Jo Choi als Ha­gen. Un­ter den Nor­nen und Rhein­töch­tern lässt vor al­lem Sol­gerd Isalv aufhorchen.

Die in­stru­men­ta­le In­ter­pre­ta­ti­on un­ter Ge­ne­ral­mu­sik­di­rek­tor Mar­cus Bosch hin­ter­lässt bei der „Göt­ter­däm­me­rung“ zwar nicht wie die In­sze­nie­rung eine un­er­freu­li­che Lee­re, aber un­be­frie­di­gend bleibt sie den­noch, weil der Di­ri­gent im­mer wie­der eine Laut­stär­ke zu­lässt und be­för­dert, die – zu­min­dest wenn gleich­zei­tig ge­sun­gen wird – kon­tra­punk­tiv ist. Aber was nicht ist, kann ja noch wer­den. Schließ­lich wuss­ten Bosch und die Mu­si­ker doch spe­zi­ell in „Sieg­fried“, dass Trans­pa­renz, Leich­tig­keit und Wag­ner kein Wi­der­spruch sind. Son­dern ein pro­ba­tes Mit­tel, um das fein­ge­spon­ne­ne psy­cho­lo­gi­sche Netz­werk der Mu­sik erst rich­tig auf­blü­hen zu lassen.

Be­such­te Pre­mie­re am 11. Ok­to­ber 2015, wei­te­re Vor­stel­lun­gen am 18. und 25. Ok­to­ber, 1. und 29. No­vem­ber, 13., 20. und 27. De­zem­ber so­wie am 24. Ja­nu­ar 2016. Be­glei­tend zeigt das Neue Mu­se­um Nürn­berg bis 6. De­zem­ber eine be­geh­ba­re In­stal­la­ti­on zur In­sze­nie­rung. Wei­te­re In­fos auf der Home­page des Staatstheaters

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