Im schwarzen Nichts

En­ri­co Lüb­be und sei­nem Team ist in Leip­zig eine Neu­in­sze­nie­rung von „Tris­tan und Isol­de“ ge­lun­gen, die so­wohl der Hand­lung als auch dem phi­lo­so­phi­schen Über­bau ge­recht wird.

Isol­de (Mea­gan Mil­ler) und Tris­tan (Da­ni­el Kirch) in der Leip­zi­ger Neu­in­sze­nie­rung – Alle Fo­tos: Tom Schulze 

Wer kennt sie nicht, die Angst des Opern­be­su­chers vor dem Wort „Vi­deo“ auf der Be­set­zungs­lis­te – die Angst vor der Über­flu­tung durch Pro­jek­tio­nen al­ler Art? Die Neu­in­sze­nie­rung von Ri­chard Wag­ners „Tris­tan und Isol­de“ am Opern­haus Leip­zig durch En­ri­co Lüb­be und sein Team ist ein Mus­ter­bei­spiel da­für, dass Vi­de­os kei­ne Ab­len­kung, son­dern eine ech­te Be­rei­che­rung sein können.

Das Künst­ler­duo Mom­me Hin­richs und Tor­ge Møl­ler, das un­ter dem Na­men fett­Film längst eine Grö­ße in Schau­spiel und Oper ist und un­ter an­de­rem Ste­fan Her­heims Bay­reu­ther „Parsifal“-Inszenierung von 2008 mit be­bil­dert hat, glänzt hier in ei­ner Pro­duk­ti­on, bei der alle Be­tei­lig­ten ge­konnt eine für die tra­gi­sche Lie­bes- und Drei­ecks­ge­schich­te idea­le Sze­ne­rie er­rich­tet haben.

Im sub­ti­len Dreh­büh­nen­bild von Éti­en­ne Pluss, das so­wohl an ver­sun­ke­ne Schiffs­bau­ten als auch an Pa­last­rui­nen den­ken lässt, ver­schwim­men die Gren­zen noch mehr, wenn die Pro­jek­tio­nen Büh­nen­ele­men­te, Re­qui­si­ten, Trep­pen und Gän­ge aus an­de­rer Per­spek­ti­ve über­blen­den: Im vir­tuo­sen Licht von Olaf Free­se ent­steht eine sur­rea­le See­len­land­schaft, durch die Fi­gu­ren von Odi­lon Re­don oder von René Magrit­te spa­zie­ren könnten.

Isol­de (Mea­gan Mil­ler) im 2. Akt

Tat­säch­lich sind ne­ben den Sän­gern und Cho­ris­ten (Ein­stu­die­rung: Tho­mas Eit­ler-de Lint) auch Dou­bles für Tris­tan und Isol­de un­ter­wegs, de­ren Sinn­fäl­lig­keit sich zu­wei­len nur dem zeigt, der nahe ge­nug an der Büh­ne sitzt: Nicht alle Zu­schau­er dürf­ten er­ken­nen, dass die zwei Sta­tis­ten im zwei­ten Akt je­weils die Tex­te der an­de­ren Fi­gur von sich ge­ben, um so das Ver­schmel­zen der bei­den zu il­lus­trie­ren. Umso ein­drucks­vol­ler die Fie­ber­vi­sio­nen Tris­tans im drit­ten Akt mit der ver­sie­ben­fach­ten  Isolden.

Tris­tan (Da­ni­el Kirch)

Die Kos­tü­me von Lin­da Red­lin, sind schnör­kel­los heu­tig, lö­sen aber spä­tes­tens durch Isol­des Sei­den­mor­gen­man­tel im zwei­ten Akt auch rück­wärts­ge­wand­te his­to­ri­sie­ren­de As­so­zia­tio­nen aus. Der Clou der In­sze­nie­rung ist der Rah­men aus Leucht­stoff­röh­ren um das in Leip­zig sehr brei­te Büh­nen­por­tal. Der Leip­zi­ger Schau­spiel­di­rek­tor En­ri­co Lüb­be und sein Co-Re­gis­seur Tors­ten Buß las­sen Tris­tan und Isol­de im­mer wie­der hin­aus­tre­ten aus der rea­len Handlung.

Die Welt zwi­schen Korn­wall und Kareol wird dann aus­ge­blen­det: Tris­tan und Isol­de tau­chen ein ins plötz­lich schwar­ze Nichts, ins Nir­wa­na der Lie­bes- und To­des­nacht des zwei­ten und drit­ten Akts. Selbst wenn sie büh­nen­breit un­end­lich weit ge­trennt sind – sie kom­men sich aber durch­aus auch nä­her! –,  spürt man, wie ver­eint sie sind und ver­steht plötz­lich, dass es Wag­ner um viel mehr als um Lie­bes­tra­gik ging. Die In­sze­nie­rung er­schließt die phi­lo­so­phi­sche, die me­ta­phy­si­sche Ebe­ne der Handlung.

Der tü­cki­sche Tag leuch­tet noch durch die Tü­ren: Tris­tan (Da­ni­el Kirch) und Isol­de (Mea­gan Mil­ler) im 2. Akt 

Das funk­tio­niert auch des­halb so gut, weil die Ti­tel­prot­ago­nis­ten sich dar­in of­fen­bar gut auf­ge­ho­ben füh­len. Wäh­rend Mea­gan Mil­ler (die mir schon vom „Ring“ der Bam­ber­ger Sym­pho­ni­ker 2013 in Lu­zern als Sieg­lin­de in Er­in­ne­rung ge­blie­ben ist) bei ih­rem stimm­lich be­ein­dru­cken­den, sehr ju­gend­lich wir­ken­den Isol­den-De­büt dar­stel­le­risch im ers­ten Akt noch zu zu­rück­hal­tend ist, stürzt sich Da­ni­el Kirch er­wart­bar ve­he­ment und stimm­lich manch­mal zu tief in Tris­tans Le­ben, Ster­ben und das un­er­war­te­te Wie­der­auf­er­ste­hen. Mit größ­ter Selbst­ver­ständ­lich­keit ver­lässt der sei­nen Büh­nen­tod ge­stor­be­ne Tris­tan am Ende vor Isol­des Schluss­ge­sang die Welt der Hand­lung, tritt vor den Leucht­rah­men und lauscht glück­lich der Verklärung.

Viel­leicht sind sie gar nicht tot? Sind Kö­nig Mar­ke (ein nach­hal­ti­ges Rol­len­de­büt: Se­bas­ti­an Pil­grim) und Bran­gä­ne (sou­ve­rän: Bar­ba­ra Ko­zela) die wah­ren Un­glück­li­chen? Viel­leicht fin­den Tris­tan und Isol­de jetzt ihre gro­ße Frei­heit, fern von al­len Be­las­tun­gen und Feind­se­lig­kei­ten, viel­leicht be­deu­tet das Ende die Auf­lö­sung der In­di­vi­dua­li­sie­rung. „Man soll­te in die­sem Werk“, stellt Tors­ten Buß denn auch im Pro­gramm­heft fest, „den Tod also als et­was Po­si­ti­ves den­ken.“ Was Wag­ners Mu­sik dazu schon im­mer be­glau­bigt hat.

Das Her­aus­tre­ten aus dem Ge­sche­hen, die Dou­bles und dass das Eng­lisch­horn (Gun­del Jan­ne­mann-Fi­scher) im drit­ten Akt als per­so­ni­fi­zier­te Mu­sik auf­tritt, sind wohl­ge­merkt kei­ne neu­en Re­gie­ideen; Pe­ter Kon­wit­sch­ny in Mün­chen, Dou­ble-Welt­meis­ter Claus Guth, Her­mann Schnei­der in Würz­burg und Dmi­t­ri Tcher­nia­kov in Ber­lin ha­ben schon Ähn­li­ches ge­zeigt. Den­noch wirkt die In­sze­nie­rung En­ri­co Lüb­bes wie ein Be­frei­ungs­schlag, weil sie dem Ge­sang und der Mu­sik in be­ein­dru­cken­der Äs­the­tik den not­wen­di­gen Raum und die not­wen­di­ge Ruhe gibt.

Scha­de nur, dass der mu­si­ka­li­sche Lei­ter Ulf Schirm­er nicht in der Lage ist, glei­cher­ma­ßen mit den So­lis­ten zu at­men. Vor al­lem im zwei­ten Akt ver­wech­selt der Ge­ne­ral­mu­sik­di­rek­tor und In­ten­dant der Oper Leip­zig In­ten­si­tät mit Laut­stär­ke und bringt sei­ne Haupt­so­lis­ten, weil er das an sich for­mi­da­ble Ge­wand­haus­or­ches­ter zu sehr an­peitscht, in Be­dräng­nis. Den­noch gro­ßer be­rech­tig­ter Ju­bel nach der Premiere.

Un­ter sämt­li­chen Büh­nen­wer­ken Wag­ners, die in Schirm­ers Groß­pro­jekt 2022 auf dem Pro­gramm der Oper Leip­zig ste­hen wer­den, dürf­te die­ser „Tris­tan“ das Prä­di­kat „un­be­dingt se­hens­wert“ ha­ben – ne­ben dem „Lie­bes­ver­bot“ in der In­sze­nie­rung von Aron Stiehl und Ca­lix­to Biei­tos „Tann­häu­ser“.

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