Regisseur Barrie Kosky, Dirigentin Joana Mallwitz und die ungemein intensive Sängerdarstellerin Ambur Braid sorgen an der Oper Frankfurt für viel Gänsehaut mit der Oper „Salome“ von Richard Strauss.
Nein, sagte Regisseur Barrie Kosky vorab, keine Tanznummer in seiner „Salome“. Wenn dann Joana Mallwitz, die hauptamtliche Generalmusikdirektorin am Staatstheater Nürnberg, mitreißend den berühmten Schleiertanz dirigiert, sitzt Titelprotagonistin Ambur Braid im Suchscheinwerferlicht auf der leeren, nachtschwarzen Bühne. Was sie dabei tut, ist so befremdend und verstörend, dass schon allein diese Szene die Fahrt zur Oper Frankfurt lohnt.
Der Einakter „Salome“ von Richard Strauss war und ist seit der Uraufführung 1905 immer wieder für Schlagzeilen gut. Weil die von Oscar Wilde nachhaltig ins Bühnenlicht gerückte, in der Bibel noch namenlos am Rande vorkommende Titelfigur von je her die Fantasie ihrer voyeuristischen Betrachter befeuert hat.
Salome gilt als Musterbeispiel einer jungen Femme fatale. Gleich zu Beginn taucht sie als Vamp auf, nachdem zuvor in irritierender Dunkelheit jener Flügelschlag des Todesengels zu hören war, von dem Jochanaan später singen wird: Man sieht eine Frau in eleganter Robe mit gefiedertem Kopfschmuck, deren zunächst statuenhafte Erscheinung wie von ungefähr an eine fleischfressende Pflanze erinnert.
Salome, die egozentrische Tochter betuchter Eltern, wird als einzige Figur mehrfach die Kleidung wechseln (Kostüme und Bühnenbild: Katrin Lea Tag) und schon damit offenbaren, was in ihr vorgeht. Überhaupt kommt es Barrie Kosky in seinen sparsamen Vorwegnahmen und den extrem auf darstellerische Verkörperung reduzierten, umso wirkungsmächtigeren Bildern (virtuoses Licht: Joachim Klein) darauf an, Unbewusstes zu zeigen – und Widersprüche.
Der Bayreuther „Meistersinger“-Regisseur und Intendant der Komischen Oper Berlin präsentiert das Stück konsequent aus Salomes Perspektive, aus der Sicht einer noch nicht wach geküssten jungen Frau. Bis auf die vier Hauptfiguren bleibt fast alles im Dunklen. Das Hauptaugenmerk liegt auf Salome, die hüpfend, rennend, tanzend, sich biegend und liegend, feixend, gelangweilt und fragend auf die Entdeckung ihrer selbst geht.
Warum sie ausgerechnet in dem halbnackten, schmuddelig blonden Jochanaan erstmals das passende Pendant zu finden glaubt, liegt natürlich an ihrer Umwelt. Weder von der pragmatisch-dominanten Mutter Herodias (souverän wie immer: Claudia Mahnke) noch vom sie halbherzig bedrängenden Stiefvater Herodes (kein Charaktertenor, sondern ein genuin heldischer: AJ Glueckert) dürfte sie Liebe erfahren haben.
In ihrem ungebremsten Entdeckungsdrang wird sogar eher sie übergriffig. Jedenfalls sieht man Jochanaan (stimmlich etwas angestrengt, aber darstellerisch vorzüglich: Christopher Maltman) sofort an, dass er ihre Berührungen erst mal daneben findet. Dass er dann kurz – einige ihrer Sentenzen stumm mitsingend – quasi zu ihrem zweiten Ich wird, gibt der Szene etwas Mythisches.
Das gilt erst recht für die Bildfindung zum Tanz der sieben Schleier: Salome sitzt mit gegrätschten Beinen da und zieht aus ihrem Unterleib nach und nach und immer schneller ein schier endloses Band aus blonden Haaren, das sie vor sich auftürmt, als sei sie Dalila, die Samsons Haarpracht abgeschnitten hat.
Die nicht vom Objekt ihrer Begierde, sondern stets von ungewollten Männern begehrte, vom Regisseur als Jungfrau definierte Salome entdeckt hier vermutlich unter anderem, dass Begehren und Gebären etwas miteinander zu tun haben. Es geht um Leben, Liebe und Tod. Was Monströses nicht ausschließt. Denn das Ganze endet, wie es im Libretto steht, alptraumhaft.
Sie küsst den abgeschlagenen, übergroßen Kopf des Jochanaan, der am Fleischerhaken aus der Versenkung gezogen wird, nicht nur. Sondern beißt zu, schlägt auf ihn ein, boxt ihn weg und vollzieht schließlich eine blutige Einverleibung, die das Publikum in eine Art Schockstarre versetzt, weil man hier plötzlich damit konfrontiert wird, dass das Böse in jedem stecken kann – auch in einem selber.
Bei der Premiere war der Beifall zunächst auffallend dünn. Umso größer der Jubel, als die ungemein intensive und mutige Ambur Braid, die weiteren, nicht weniger begeisternden Solisten, die Dirigentin und das Regieteam sich zeigten. Dass bis auf eine Ausnahme alle Sänger in Rollendebüts zu erleben waren und Joana Mallwitz erstmals eine „Salome“-Aufführung leitete, teilte sich tatsächlich nur auf dem Papier mit.
Die Nürnberger Generalmusikdirektorin kennt das Frankfurter Opern- und Museumsorchester inzwischen schon gut genug, um sowohl den machtvollen Strauss’schen Klangrausch als auch subtilste Feinheiten herauszuarbeiten. Sie hat dabei stets die Sänger im Blick, die dankbar die gegebenen Chancen nutzen, vieles scheinbar spielerisch leicht singen zu können. Auch musikalisch ist das ein großer Abend.
Erstdruck im Feuilleton des Fränkischen Tags; besuchte Premiere am 1. März, weitere Vorstellungen am 5., 8., 13., 20., 26. und 29. März sowie am 4., 10. und 13. April. Karten-Telefon 069-21249494. Die Bildergalerie zeigt Fotos von Monika Rittershaus mit Ambur Braid (Salome), Christopher Maltman (Jochanaan), Claudia Mahnke (Herodias), AJ Glueckert (Herodes) sowie den komplett verhüllten Sängern der Juden.
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