Ein ewig deutsches Ärgernis?

Wag­ner-Ex­per­te Frank Piontek, der schon mehr­fach zu Vor­trä­gen bei uns zu Gast war, hat Mos­he Zu­cker­manns neu­es­tes Buch rezensiert.

Im Wag­ner-Jahr 1983 kam ein Buch her­aus, das den schö­nen Ti­tel „Ri­chard Wag­ner – Ein deut­sches Är­ger­nis“ trug. Ei­ner der Bei­trä­ger war der sei­ner­zeit be­kann­te Hart­mut Ze­lin­sky, der mit der The­se auf sich auf­merk­sam mach­te, dass je­der, der den „Par­si­fal“ höre, au­to­ma­tisch zum An­ti­se­mi­ten wür­de; spä­ter hat der Wag­ner­in­ter­pret die The­se üb­ri­gens selbst abgeschwächt.

Wenn nun ein Buch er­scheint, das den Ti­tel „Wag­ner – Ein ewig deut­sches Är­ger­nis“ trägt, und wenn man be­merkt, dass der Au­tor als Sohn pol­nisch-jü­di­scher Shoa-Über­le­ben­der in Tel Aviv auf­wuchs und seit 1970 wie­der in Is­ra­el lebt, soll­te sich der Ab­wehr­re­flex: „Ach nö, nicht schon wie­der die­ses The­ma“ nicht so schnell ein­stel­len. Zu­ge­ge­ben: Es gibt in­zwi­schen über 30 deutsch­spra­chi­ge Bü­cher zum The­men­kom­plex und Fall Wag­ner betr. „die“ Ju­den und den sog. Na­tio­nal­so­zia­lis­mus; Un­ein­ge­weih­te könn­ten ver­mu­ten, dass dazu in­zwi­schen al­les ge­sagt sei (nur noch nicht von al­len), doch ist die De­bat­te, wie Udo Berm­bach ein­mal rich­tig be­merk­te, unabschließbar.

Da­bei geht es Zu­cker­man nicht al­lein um das be­kann­te, hei­ße The­ma, auch wenn die Sicht ei­nes jü­di­schen Pu­bli­zis­ten und Ge­schichts­ken­ners na­tür­lich in­ter­es­sant ist und von die­ser Sei­te bis­lang er­staun­lich we­nig in die re­le­van­te De­bat­te ge­wor­fen wur­de. Zu­min­dest we­ni­ger als von nicht­jü­di­schen Au­toren und Wis­sen­schaft­lern; die­ser viel­leicht nur auf den ers­ten Blick merk­wür­di­ge Um­stand ist üb­ri­gens auch ein wich­ti­ger Teil des Buchs. Die Fra­ge aber muss ge­stellt wer­den: ob Wag­ner über­haupt, und nicht al­lein auf­grund sei­ner be­kann­ten an­ti­jü­di­schen Ein­stel­lung, ein „ewig deut­sches Är­ger­nis“ war und ist.

In­ter­es­san­ter­wei­se be­legt das Buch nicht das, was der rei­ße­ri­sche Ti­tel ver­spricht, im Ge­gen­teil: Im Grun­de plä­diert Zu­cker­man für Wag­ner den Künst­ler, kri­ti­siert mit Macht Wag­ner, den Ideo­lo­gen – und kommt zum Schluss, dass nicht ein­mal die Auf­re­ger, in Wahr­heit aber „Rou­ti­ne­ak­te des kul­tur­in­dus­tri­ell prä­sta­bi­li­sier­ten Skan­da­lons“, wie sie all­jähr­lich bei den „Re­gie­thea­ter-Pro­vo­ka­tio­nen“ auf dem Grü­nen Hü­gel vor sich ge­hen und ih­ren Weg in die über­re­gio­na­le Pres­se fin­den, gut ge­nug sind, um Wag­ner zum ewi­gen Är­ger­nis zu erklären.

Ver­ges­sen wir ein­mal ei­nen Au­gen­blick, dass Zu­cker­man in ei­ni­gen Punk­ten nicht auf dem Stand der For­schung steht, was an­ge­sichts der Fül­le schon der Ori­gi­nal­tex­te, zu­ge­ge­ben, schwie­rig ist. Es er­scheint also re­la­tiv un­wich­tig, dass er Nietz­sches Wag­ner­kri­tik erns­ter nimmt als Nietz­sche es selbst tat; wer zu­dem wis­sen will, wie Nietz­sches Hal­tung zu den Ju­den wirk­lich aus­sah, soll­te zu Man­fred Egers „Nietz­sches Bay­reu­ther Pas­si­on“ grei­fen, also dem quel­len­kri­tischs­ten Werk zu Nietz­sche und Wag­ner. Hier er­fährt der Le­ser, dass es mit Nietz­sches „ge­stan­de­nem Anti-An­ti­se­mi­tis­mus“, wie Zu­cker­man Nietz­sches Po­si­ti­on be­zeich­net, nicht weit her war. Dass er die „Neu­deut­schen“ als „Nord­deut­sche“ be­zeich­net, den „Tann­häu­ser-Ti­tel“ falsch zi­tiert und den nur als „K.“ be­kann­ten, pseud­ony­men Vor­na­men des „Judenthum“-Aufsatzes als „Karl“ aus­schreibt: geschenkt.

Die­se läss­li­chen Feh­ler wer­den durch die ge­sam­te Samm­lung der Es­says, die sich zu ei­nem gro­ßen Gan­zen bün­deln, voll auf­ge­wo­gen – denn Zu­cker­man ver­steht es nicht al­lein, Wag­ner als gar nicht so un­ty­pi­sche Per­son der (deut­schen) Zeit­ge­schich­te zu cha­rak­te­ri­sie­ren; Stich­wort: Ro­man­tik ver­sus ver­lo­re­ne Re­vo­lu­ti­on, In­ner­lich­keit ge­gen Ak­ti­on, My­thos ge­gen Auf­klä­rung. Wag­ners po­li­ti­schen Wer­de­gang cha­rak­te­ri­siert er als Weg vom Lin­ken zum Kon­ser­va­ti­ven – dar­über könn­te man lan­ge strei­ten, wenn man sämt­li­che of­fi­zi­el­le und in­of­fi­zi­el­le Do­ku­men­te zur Kennt­nis nimmt, die Wag­ners po­li­ti­sches Be­wusst­sein spie­geln. In­ter­es­sant aber ist Zu­cker­manns Po­si­ti­on dort, wo er, wenn man ihn recht ver­steht, das im­mer schon An­ge­leg­te in Wag­ners po­li­ti­schem Kopf als das Kon­ti­nu­ier­li­che sei­ner Über­zeu­gun­gen her­aus­ar­bei­tet: das, wie Tho­mas Mann ge­sagt hat, Groß­spre­che­ri­sche in Wag­ner, das stets nur ein In­ter­es­se kann­te: sein Werk. Man sieht: Auch die­ser Fall bleibt schwierig.

Zu­cker­mann aber grun­diert sei­ne Über­le­gun­gen zu un­se­rer Po­si­ti­on zu Wag­ner mit fun­da­men­ta­len Aus­sa­gen zur Schwie­rig­keit, Werk und Le­ben aus­ein­an­der­zu­hal­ten, be­trach­tet das, was man als „Re­zep­ti­on“ zu be­zeich­nen pflegt, sehr dif­fe­ren­ziert, weil er weiß, dass wir die­se Wer­ke nicht mehr wie zu Wag­ners Zei­ten und mit sei­nem Wil­len zu be­grei­fen ver­mö­gen, und kommt schließ­lich zur The­se: „Es be­steht heu­te kei­ne Be­reit­schaft mehr, Wag­ners Opern Na­zi­wer­te und -ideo­lo­gien abzugewinnen“.

Dass Wag­ner trotz­dem im­mer wie­der gleich­sam na­zi­fi­ziert wird, weil man nicht al­lein in sei­nem „Ju­dent­hum in der Mu­sik“ und den spä­ten Schrif­ten zu Kunst, Re­li­gi­on und Ras­se je­nes Ge­dan­ken­schlecht fin­det, das die Na­zis dann zu übels­ter Blü­te und vor al­lem: in die ver­bre­che­ri­sche Tat hin­ein­führ­ten, son­dern dass auch in Wag­ners Mu­sik­dra­men die­se an­ti­jü­di­schen Af­fek­te ent­hal­ten sind: Zu­cker­man ver­neint Letz­te­res ve­he­ment. Man könn­te ihm, rein dra­men­tech­nisch und werk­im­ma­nent, fol­gen, wüss­te man nicht schon seit Lan­gem, dass der Fall Wag­ner auch in die­ser Hin­sicht we­sent­lich kom­pli­zier­ter ist.

Es steht, aus vie­len bei Zu­cker­man nicht ge­nann­ten Grün­den, au­ßer Fra­ge, dass das zeit­ge­nös­si­sche Pu­bli­kum in Mime, Klings­or, Al­be­rich und Beck­mes­ser jü­di­sche Ei­gen­hei­ten wahr­neh­men konn­te – wenn es denn woll­te, weil Wag­ner die Per­so­nen­zeich­nun­gen durch sei­ne spe­zi­fi­sche Art der Tex­tie­rung, der Mu­sik und der An­ga­ben zum selt­sa­men Ha­bi­tus die­ser Fi­gu­ren be­wusst an­ders an­ge­legt hat­te: und dies nicht, weil er mit ih­nen nur simp­le, im Sin­ne der Tra­di­ti­on „böse“ Fi­gu­ren ent­wer­fen woll­te. Das Bes­te, was zur jü­di­schen Zeich­nung und cha­rak­ter­mä­ßi­gen Viel­fäl­tig­keit die­ser Fi­gu­ren ge­sagt wur­de, fin­det man nach wie vor in Ul­rich Drü­ners „Schöp­fer und Zer­stö­rer“. Im Üb­ri­gen aber sind Zu­cker­mans The­sen zu Wag­ners spä­tem Ras­sen­be­griff be­den­kens­wert, auch wenn man ihm bei den Dra­men­in­ter­pre­ta­tio­nen we­ni­ger zu fol­gen ver­mag. Au­ßer, man steht auf dem apo­dik­ti­schen Stand­punkt, dass bei Wag­ner Werk und Le­ben 100-pro­zen­tig trenn­bar sind – was Zu­cker­man im Prin­zip ablehnt.

In­ter­es­sant aber ist, dass sich Zu­cker­man, wie ge­sagt: als An­ge­hö­ri­ger der Nach­fah­ren der Shoa-Ge­ne­ra­ti­on, so­zu­sa­gen für Wag­ner, den Künst­ler, schlägt – so wie er eine ein­deu­ti­ge Po­si­ti­on ge­gen den is­rae­li­schen Wag­ner-Bann ein­nimmt. „Wag­ner in Is­ra­el oder Die Won­nen der Igno­ranz“: der Ti­tel des Ka­pi­tels sagt schon viel. Zu­cker­man spricht von der „Ba­na­li­tät des Sho­ah-Ge­den­kens“ durch den Wag­ner-Bann, er mar­kiert die Ver­lo­gen­heit des is­rae­li­schen Staa­tes, in dem das Ver­bot, die Wer­ke Wag­ners auf­zu­füh­ren, selt­sam quer steht zu den Be­zie­hun­gen, die Is­ra­el an­sons­ten zu Deutsch­land pflegt, und er kri­ti­siert die Igno­ranz ge­gen­über dem Werk Ri­chard Wag­ners, das eine fun­dier­te Aus­ein­an­der­set­zung mit des­sen Schrif­ten und Mu­sik­dra­men auf is­rae­li­schem Bo­den völ­lig un­mög­lich macht. Und weiter:

„In die­sem Zu­sam­men­hang wird ge­mein­hin das Ar­gu­ment der not­wen­di­gen Rück­sicht­nah­me auf Ge­füh­le und Emp­find­lich­kei­ten von Sho­ah-Über­le­ben­den er­ho­ben. [ …] So ist es an der Zeit, dass man auf­hört, Sho­ah-Über­le­ben­de als ei­nen mo­no­li­thi­schen Block mit ein­heit­lich ge­bil­de­ten Emp­fin­dun­gen und ho­mo­gen ge­form­tem Wil­len wahr­zu­neh­men. Man­che Über­le­ben­de wer­den Wag­ners Kunst (aus wel­chem Grund auch im­mer) has­sen, an­de­re mö­gen sie be­wun­dern, die meis­ten dürf­te sie mehr oder min­der kalt las­sen. Für Sho­ah-Über­le­ben­de, die au­ßer­halb Is­ra­els le­ben, ist Wag­ner schlicht kein The­ma. Das Emp­find­lich­keits-Ar­gu­ment, das oft im Na­men der Über­le­ben­den (nicht un­be­dingt von ih­nen selbst und ge­wiss nicht von al­len) her­vor­ge­holt wird, hört sich pa­ter­na­lis­tisch an und er­scheint als pa­ra­do­xe Fort­set­zung der tum­ben Über­heb­lich­keit, durch wel­che das Ver­hält­nis ei­nes Groß­teils der is­rae­li­schen Öf­fent­lich­keit zu den Über­le­ben­den über Jah­re ge­kenn­zeich­net war.“

Das Plä­doy­er für den Bruch des is­rae­li­schen Wag­ner-Banns muss, man ver­steht es, ein­deu­tig sein. Da Zu­cker­man es glän­zend ver­steht, sei­ne per­sön­li­che Deu­tung Ri­chard Wag­ners und sei­ner Wir­kung stets mit über­ge­ord­ne­ten po­li­ti­schen, so­zio­lo­gi­schen und psy­cho­lo­gi­schen Über­le­gun­gen zu kop­peln, darf man ihm auch in die­sem Fall vertrauen.

Mos­he Zu­cker­mann: Wag­ner. Ein ewig deut­sches Är­ger­nis. West­end, 2020. 144 Sei­ten. 18 Euro. Erst­ver­öf­fent­li­chung der Re­zen­si­on auf www​.der​opern​freund​.de, Ab­druck mit freund­li­cher Ge­neh­mi­gung des Autors.

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