Ein paar Texte aus Richard Wagners Hand an und über Giacomo Meyerbeer (1791–1864) genügen, um die unfassbaren Abgründe aufzuzeigen, die genauso zu Wagner gehören wie seine positiven Seiten. Wagners langsam, aber stetig und gefährlich groß werdender Antisemitismus lässt sich an niemandem so beispielhaft festmachen wie an diesem seinem, aus einer wohlhabenden jüdischen Bankiersfamilie in Berlin stammenden Kollegen, der am 2. Mai vor 156 Jahren in Paris gestorben ist.
Einen ersten Brief an den in der Opernmetropole Paris höchst erfolgreichen Komponisten mit der Bitte um Durchsicht seines zweiten Bühnenwerks „Das Liebesverbot“ schickte der 23-jährige Wagner Anfang Februar 1837, bekam aber keine Antwort. Als die beiden sich im August 1839 in Boulogne-sur-Mer persönlich trafen, durfte Wagner dem älteren und arrivierten Kollegen Textbuch und die noch nicht vollendete Komposition des „Rienzi“ präsentieren, worauf Meyerbeer freundlich und wunschgemäß einige Empfehlungsbriefe an Adressaten in Paris verfasste.
„Mein innigst verehrter Herr und Protector!“, schrieb Wagner am 15. Februar 1840 aus Paris an den gerade in Baden-Baden weilenden Giacomo Meyerbeer, „ich strotze von Hilfsbedürftigkeit! Also will ich rasch die Saiten rauschen und die sehr alte und so sehr bekannte Urmelodie erklingen lassen: ‚Helfen Sie mir!‘ d.h. in wagnerischer Tonart (– lyrisch, weich und wehmütig –): ‚Haben Sie doch die übermäßige Güte, ein auffrischendes Briefchen an Anténor Joly zu schreiben!‘ […] Mit vieler Freude kann ich vermelden, dass es mir dank Ihrer gütigen Fürsprache gelungen ist, Habeneck zu einer Probe meiner Ouvertüre zu veranlassen. Das sämtliche Orchester zeigte mir durch einen wiederholten und anhaltenden Applaus, dass es nicht unzufrieden war. […] Mein Dankgefühl, das mich gegen Sie, mein hochherziger Protector, beseelt, kennt keine Grenzen. Ich sehe kommen, dass ich Sie von Äonen zu Äonen mit Dankesstammeln verfolgen werde. Die Versicherung kann ich Ihnen geben, dass ich auch in der Hölle noch Dank stammeln werde. [ …] Ihr mit Herz und Blut ewig verpflichteter Untertan Richard Wagner‘.“
Meyerbeer konnte Wagner in dessen Pariser Hungerjahren zwar nicht zum erhofften großen Opernerfolg verhelfen, aber immer wieder wenigstens zu Brotarbeiten. Dass dank auch der Fürsprache Meyerbeers „Rienzi“ in Dresden uraufgeführt und der „Fliegende Holländer“ in Berlin gespielt wurden, hat Wagner ihm später nicht mehr gedankt. Im Gegenteil: Seine erstmals 1850 veröffentlichte und 1869 in Broschürenform wiederaufgelegte Hetzschrift Das Judentum in der Musik ist erkennbar besonders auf Meyerbeer gemünzt, den er namentlich nicht einmal erwähnt.
„Dieser täuschende Komponist“, heißt es da unter anderem, „geht sogar so weit, dass er sich selbst täuscht, und dieses vielleicht ebenso absichtlich, als er seine Gelangweilten [=Zuhörerschaft] täuscht. Wir glauben wirklich, dass er Kunstwerke schaffen möchte, und zugleich weiß, dass er sie nicht schaffen kann: um sich aus diesem peinlichen Konflikte zwischen Wollen und Können zu ziehen, schreibt er für Paris Opern, und lässt diese dann leicht in der übrigen Welt aufführen, – heut‘ zu Tage das sicherste Mittel, ohne Künstler zu sein, doch Kunstruhm sich zu verschaffen. Unter dem Drucke dieser Selbsttäuschung, welche nicht so mühelos sein mag, als man denken könnte, erscheint er uns fast gleichfalls in einem tragischen Lichte: das rein Persönliche in dem gekränkten Interesse macht die Erscheinung aber zu einer tragikomischen, wie überhaupt das Kaltlassende, wirklich Lächerliche, das Bezeichnende des Judenthumes für diejenige Kundgebung desselben ist, in welcher der berühmte Komponist sich uns in Bezug auf die Musik zeigt.“
Seinem Kollegen, Freund und Gönner Franz Liszt gegenüber rechtfertigte sich Wagner am 18. April 1851 in einem Brief wie folgt: „Mit Meyerbeer hat es nun bei mir eine eigene bewandnis: ich hasse ihn nicht, aber er ist mir gränzenlos zuwider. Dieser ewig liebenswürdige, gefällige mensch erinnert mich, da er sich noch den anschein gab mich zu protegiren, an die unklarste, fast möchte ich sagen lasterhafteste periode meines lebens; das war die periode der konnexionen und hintertreppen, in der wir von den protektoren zum narren gehalten werden, denen wir innerlich durchaus unzugethan sind. Das ist ein verhältnis der vollkommensten unehrlichkeit: keiner meint es aufrichtig mit dem Andern; der eine wie der andere giebt sich den an schein der zugethanheit, und beide benützen sich nur so lange als es ihnen vortheil bringt. Aus der absichtlichen ohnmacht seiner gefalligkeit gegen mich mache ich Meierbeer nicht den mindesten vorwurf, – im gegentheil bin ich froh nicht so tief sein schuldner zu sein als z.b. Berlioz. Aber Zeit war es, dass ich mich vollkommen aus dem unredlichen verhältnisse zu ihm losmachte. […] Ich kann als Künstler vor mir und meinen freunden nicht existiren, nicht denken und fühlen, ohne meinen vollkommenen Gegensatz in Meyerbeer zu empfinden und laut zu bekennen, und hierzu werde ich mit einer wahren verzweiflung getrieben, wenn ich auf die irrthümliche Ansicht selbst vieler meiner freunde stoße, als habe ich mit Meyerbeer irgend etwas gemein.“
Dabei sind laut einschlägigen Experten zwischen den großen Opern Meyerbeers und den Wagneropern von „Rienzi“ bis „Lohengrin“ die konzeptionellen und dramaturgischen Unterschiede gar nicht so groß – ganz abgesehen davon, dass Wagner hin und wieder musikalisch unter anderem Anleihen bei ihm genommen hat. Nichtsdestotrotz spricht er sich auch in der 1852 erstmals erschienenen Schrift „Oper und Drama“ stellenweise schmählich gegen Meyerbeer aus. Und er schämt sich nicht, in seiner Autobiographie „Mein Leben“ eine geschmacklose Bemerkung Wendelin Weißheimers zu zitieren. Zum 3. Mai 1864, jenen legendären Tag, an dem ihm König Ludwigs KabinettssekretärFranz Seraph von Pfistermeister in Stuttgart die Berufung nach München verkündete, schreibt Wagner: „Meine Freunde, zu denen sich auch jener junge Weißheimer aus Osthofen gesellt hatte, gerieten durch die von mir ihnen überbrachte Nachricht in das sehr begreiflich freudevollste Erstaunen. Über Tisch ward an Eckert telegraphisch der soeben in Paris erfolgte Tod Meyerbeers gemeldet: Weißheimer fuhr mit bäurischem Lachen auf über diesen wunderbaren Zufall, dass der mir so schädlich gewordene Opernmeister gerade diesen Tag nicht mehr hatte erleben sollen.“
Giacomo Meyerbeer wurde als Jakob Liebmann Meyer Beer am 5. September 1791 bei Berlin geboren. Der zunächst dort, dann in Darmstadt ausgebildete Musiker machte als Opernkomponist zunächst in Italien auf sich aufmerksam – noch im Stil der italienischen Opera seria oder Opera buffa. Nach einer schöpferischen Pause gelang ihm der Durchbruch 1831 in Paris mit der Oper „Robert le diable“ (Robert der Teufel), in der er erstmals zu seinem eigenen französischen Stil fand. Nach einer Zwischenstation als Generalmusikdirektor in Berlin, wo er unter anderem 1844 die Uraufführung seiner Oper Ein Feldlager in Schlesien dirigierte, kehrte er nach Paris zurück. Opulente Theatereffekte, Balletteinlagen, Massenszenen und glanzvolle Gesangspartien und Chornummern machten vor allem seine historischen Opern „Les Huguenots“ (Die Hugenotten) und „Le Prophète“ (Der Prophet) zu Glanzstücken der Grand opéra. Er starb am 2. Mai 1864, auf dem Gipfel seines Ruhms, während der Vorbereitung zur Uraufführung seiner vierten großen Oper „L’Africaine“ (Die Afrikanerin), die erst jüngst wieder etliche Neuinszenierungen verzeichnete.
P.S. Wer mehr zu Wagners Antisemitismus erfahren will, sei verwiesen auf Frank Pionteks Abhandlung „Richard Wagners ‚Das Judentum in der Musik‘ “, Band 6 der Reihe Leipziger Beiträge zur Wagner-Forschung von 2017, sowie zwei einschlägige Buchtitel von Jens Malte Fischer: auf die ausführliche kritische Dokumentation „Richard Wagners ‚Das Judentum in der Musik‘ “, die im Jahr 2000 im Fischer Taschenbuch Verlag erschienen ist und wieder aufgelegt wurde, sowie auf die Neuerscheinung „Richard Wagner und seine Wirkung“ aus dem Paul Zsolnay Verlag von 2013.
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