Donners Rache

Das Thea­ter Re­gens­burg hat aus Wag­ners „Rhein­gold“ ein bru­tal ge­kürz­tes Open-Air-Event ge­macht, bei dem nur die mit Pro­jek­tio­nen be­spiel­te Ha­fen-Lo­ca­ti­on überzeugte.

Spek­ta­ku­lä­re „Rheingold“-Location mit Feu­er­werk: das Stadt­la­ger­haus im Re­gens­bur­ger  West­ha­fen – Alle Sze­nen­fo­tos: Jo­chen Quast

Wenn ein „Rheingold“-Mime nur sein „Nehmt euch in acht! Al­be­rich naht“ sin­gen darf, wenn Don­ner und Froh ge­stri­chen, die Ni­be­lun­gen mit ei­nem ein­zi­gen Schrei vom Band prä­sent und alle Sze­nen so dras­tisch ge­kürzt sind, dass dra­ma­tur­gisch und mu­si­ka­lisch nur mehr teils ab­rupt auf­ein­an­der fol­gen­de Kern­stü­cke üb­rig blei­ben, dann muss in den Tie­fen des Rheins, den Klüf­ten Ni­bel­heims und den frei­en Ber­ges­hö­hen wohl et­was ober­faul sein. Dar­über kann selbst eine spek­ta­ku­lä­re Ku­lis­se wie das aus der Grün­der­zeit stam­men­de denk­mal­ge­schütz­te Stadt­la­ger­haus im Re­gens­bur­ger West­ha­fen mit­samt mo­der­nen Krä­nen, das mit ein­drucks­vol­len Groß­pro­jek­tio­nen und ei­nem Schluss-Feu­er­werk be­spielt wird, nicht hinwegtäuschen.

Nein, na­tür­lich hat­te auch In­ten­dant Jens Neun­dorff von Enz­berg, der ak­tu­ell als neu­er Chef nach Mei­nin­gen und Ei­sen­ach wech­selt, in sei­ner letz­ten Sai­son in Re­gens­burg kei­nen leich­ten Job. Als an baye­ri­schen Staats- und Stadt­thea­tern end­lich wie­der ge­spielt wer­den durf­te, wa­ren die Co­ro­na-Vor­ga­ben selbst für Frei­licht­ver­an­stal­tun­gen nicht von Pap­pe. So wur­de aus der für das Stamm­haus am Bis­marck­platz ge­plan­ten Neu­in­sze­nie­rung von Ri­chard Wag­ners „Rhein­gold“ we­nigs­tens noch ein Open-Air-Event ge­strickt – durch­aus mit Vor­lauf und trotz­dem mit sehr hei­ßer Na­del, denn der Spiel­ort war und ist zum Teil ein In­dus­trie­ha­fen mit lau­fen­dem Be­trieb. Ei­ni­ge Jah­re zu­vor hat­te es an der Ha­fen­kai-Lo­ca­ti­on schon ei­nen „Flie­gen­den Hol­län­der“ und eine „Tos­ca“  mit gro­ßem Pu­bli­kums­zu­spruch ge­ge­ben, dies­mal durf­te das pau­sen­lo­se Event von vorn­her­ein nicht län­ger als neun­zig Mi­nu­ten dau­ern. War­um es trotz­dem der Vor­abend von Wag­ners „Ring“-Tetralogie sein soll­te, weiß ver­mut­lich nicht mal Ur­wa­la Erda.

Oli­ver Wei­din­ger (links) als Al­be­rich und Brent L. Dam­kier als Loge wa­ren so nur mit ei­nem gu­ten Fern­glas zu sehen. 

Je­den­falls dampf­ten Re­gis­seur An­dre­as Baes­ler und Di­ri­gent Chin-Chao Lin die in der Be­ar­bei­tung von Eber­hard Klo­ke nor­ma­ler­wei­se etwa 140 Mi­nu­ten dau­ern­de Oper auf ein­ein­halb Stun­den ein. Selbst Al­be­richs Fluch, die von Oli­ver Wei­din­ger prä­gnant vor­ge­tra­ge­ne  „Rheingold“-Schlüsselszene, war nur halb so lang wie im Ori­gi­nal. Die zahl­lo­sen Stri­che mach­ten die Plau­si­bi­li­tät der Hand­lung und die Struk­tur der Mu­sik zu­nich­te – ganz zu schwei­gen von Wag­ners Kunst der flie­ßen­den Übergänge!

Dass über der Pro­duk­ti­on kein gu­ter Stern stand, hat­te sich schon zu­vor ge­zeigt. Ein Mu­si­ker wur­de, wie sich zei­gen soll­te, fälsch­li­cher­wei­se po­si­tiv ge­tes­tet, die Ge­ne­ral­pro­be fand ohne das Or­ches­ter, nur mit Kla­vier­be­glei­tung statt. Zur Pre­mie­re des ver­hack­stück­ten Wag­ner-Werks am 3. Juli konn­ten die 55 In­stru­men­ta­lis­ten un­ter Ge­ne­ral­mu­sik­di­rek­tor Lin aber wie ge­plant in ih­rem Par­ty­zelt ne­ben dem Spei­cher­haus auf­spie­len. Wäh­rend die Über­tra­gung der mi­kro­fo­nier­ten So­lis­ten gut klapp­te, kam der Or­ches­ter­klang bei mir zu ein­sei­tig von links.

Die Rhein­töch­ter auf der Yacht wa­ren na­tür­lich Doubles. 

Im­mer­hin wur­den an­stel­le von nur 500 kurz­fris­tig 1290 Zu­schau­er zu­ge­las­sen, die mit Ab­stand in je sie­ben Stuhl­rei­hen und zehn Zu­schau­er­blö­cken am Nord­kai Platz nah­men – bis an die hun­dert Me­ter ge­gen­über vom Stadt­la­ger­haus, da­zwi­schen das sech­zig Me­ter brei­te Ha­fen­be­cken, in dem die drei Rhein­töch­ter-Dou­bles, par­don: Do­nau­ni­xen (Kos­tü­me: Tan­ja Hof­mann) auf ei­ner klei­nen Yacht ein­tru­del­ten und wo Wo­tans rie­si­ges ro­tes und hüpf­burg­ar­ti­ges Sofa (Büh­ne: Ha­rald Thor) auf ei­nem Schub­boot prang­te. Gut an­zu­se­hen wa­ren die im­po­san­ten Pro­jek­tio­nen (Vi­deo­de­sign und Map­ping: Cle­mens Ru­dolph), ein Set­ting, in dem die rea­len, stän­dig hin und her­lau­fen­den und von ei­ner Live­ka­me­ra be­glei­te­ten So­lis­ten auch ohne Was­ser­kon­takt mehr oder we­ni­ger un­ter­gin­gen. Kein Wun­der, dass der ge­stri­che­ne Don­ner zur zwei­ten und letz­ten Vor­stel­lung of­fen­bar doch sei­nes Am­tes wal­te­te und ein Ge­wit­ter her­vor­rief, so dass trotz des lo­gis­ti­schen Rie­sen­auf­wands für die Auf­füh­rung und das Ca­te­ring mehr als 1100 Be­su­cher heim­ge­schickt wer­den mussten.

Der à la Her­mann Gö­ring in eine al­ler­dings sehr blaue Mar­schall-Uni­form ge­klei­de­te Wo­tan (Adam Kru­zel) ver­lor sich auf sei­ner Hüpfburg.

Die Ver­ant­wort­li­chen kön­nen froh sein, dass Ri­chard Wag­ner ver­mut­lich nur ein biss­chen in sei­nem Grab im Wahn­fried-Gar­ten ru­mort hat. Schließ­lich ge­hört es zur Ent­ste­hungs­ge­schich­te, dass er, als die vom Kö­nig an­ge­ord­ne­te „Rheingold“-Uraufführung ge­gen sei­nen Wil­len in Mün­chen be­vor­stand, wört­lich be­fürch­te­te, dass sein Werks „ver­hunzt“ wür­de. Er schrieb, mit An­spie­lun­gen an den da­ma­li­gen Hof­thea­ter­in­ten­dan­ten Karl Au­gust von Per­fall, im Sep­tem­ber 1869 ei­nen ge­har­nisch­ten Brief an den Di­ri­gen­ten Franz Wüll­ner, und zwar wie folgt:

„Hand weg von mei­ner Par­ti­tur! Das rath‘ ich Ih­nen, Herr; sonst soll Sie der Teu­fel ho­len! – Tak­ti­ren Sie in Lie­der­ta­feln und Sin­ge­ver­ei­nen, oder wenn Sie durch­aus Opern­par­ti­tu­ren hand­ha­ben wol­len, so su­chen Sie die von Ih­rem Freun­de Per­fall aus! Die­sem schö­nen Her­ren sa­gen Sie auch, [dass,] wenn er dem Kö­ni­ge nicht of­fen sei­ne per­sön­li­che Un­fä­hig­keit mein Werk zu ge­ben be­ken­ne, ich ihm ein Licht an­zün­den wol­le, das ihm alle sei­ne, vom Ab­fall der Rhein­gold­kos­ten be­zahl­ten Win­kel­blatt­scri­ben­ten nicht aus­bla­sen kön­nen sol­len. Ihr bei­den Her­ren habt bei ei­nem Man­ne, wie ich, erst lan­ge in die Schu­le zu ge­hen, ehe Ihr lernt, dass Ihr nichts versteht.“

P.S. Auch ohne Opern­be­such lohnt der­zeit eine Fahrt nach Re­gens­burg. Das Haus der Baye­ri­schen Ge­schich­te zeigt bis 16. Ja­nu­ar 2022 die Lan­des­aus­stel­lung „Göt­ter­däm­me­rung II – Die letz­ten Mon­ar­chen“, eine se­hens­wer­te Schau, die auch mu­si­ka­lisch über­aus ge­konnt un­ter­malt wird. Die Kom­po­si­ti­on aus Ele­men­ten von Mu­sik Ri­chard Wag­ners und Ar­nold Schön­bergs so­wie dem ori­gi­na­len Glo­cken­ge­läut der Münch­ner Lud­wigs­kir­che und des Doms im letz­ten Raum stammt von Arno Kraehahn aus Ber­lin, wur­de ei­gens für die Lan­des­aus­stel­lung ent­wi­ckelt und letzt­lich vor Ort noch ein­ge­passt. Beim Aus­stel­lungs­be­such vor dem „Rheingold“-Event emp­fand ich die­se Mu­sik noch als eine per­fek­te Ein­stim­mung für den Opern­abend, hin­ter­her blieb mir nur die Ein­sicht, dass die sehr ge­lun­ge­ne Aus­stel­lungs­un­ter­ma­lung in je­dem Fall ge­konn­ter und krea­ti­ver mit Wag­ner um­ge­gan­gen ist als das Thea­ter Re­gens­burg mit dem ver­stüm­mel­ten „Rhein­gold“.

Trau­er­zug für Kö­nig Lud­wig II. in der neu­en Lan­des­aus­stel­lung – Foto: © Haus der Baye­ri­schen Geschichte