Mords was los im „Ring“-Museum

Das Main­fran­ken Thea­ter Würz­burg bringt suk­zes­si­ve Ri­chard Wag­ners „Ring des Ni­be­lun­gen“ her­aus: Das am­bi­tio­nier­te Pro­jekt star­te­te am Sonn­tag mit der „Göt­ter­däm­me­rung“ in der Re­gie von Tomo Su­gao in ei­ner neu­en re­du­zier­ten Fas­sung un­ter Ge­ne­ral­mu­sik­di­rek­tor En­ri­co Calesso.

Die be­brill­ten Nor­nen (von links) Sil­ke Evers, Mar­zia Mar­zo und Bar­ba­ra Schöl­ler so­wie der Kin­der­sta­tist Emil Har­bas als klei­ner Ha­gen Foto: Nik Schölzel/​Mainfranken Theater

„War­um Frau Grim­hild Al­be­rich au­ßer­ehe­lich Gunst ge­währ­te“ heißt ein lau­ni­ger Es­say von Eck­hard Hen­scheid, der 1995 erst­mals im Druck er­schien. Fünf Jah­re spä­ter tauch­te in Jür­gen Flimms „Ring“-Inszenierung zum ers­ten Mal in Bay­reuth Ha­gen als Kind auf, was auf den Büh­nen land­auf land­ab bald in­fla­tio­när auf­ge­grif­fen wur­de. Und jetzt – end­lich? – darf man auch in Würz­burg Zeu­ge sei­ner Zeu­gung werden.

Es han­delt sich da­bei – ohne #Me­Too-Ab­gleich geht in der Oper nichts mehr! – sicht­lich nicht um Grim­hilds Gunst, son­dern um eine Ver­ge­wal­ti­gung. Dass das Op­fer die Mut­ter von Ha­gen, Gun­ther und Gut­ru­ne ist, teilt sich al­len, die we­der Wag­ners Wer­ke haar­klein ken­nen noch ins Pro­gramm­heft ge­guckt ha­ben, bes­ten­falls ge­gen Ende mit, wenn im fi­na­len Wirr­warr Ha­gen just auf Grim­hild trifft, ge­rührt vor ihr in die Knie ge­hen und sei­nen Kopf an ih­ren Schoß schmie­gen darf.

Gui­do Jent­jens als sän­ger­dar­stel­le­risch prä­gnan­ter Ha­gen, der im 2. Akt „Göt­ter­däm­me­rung“ von sei­nem Va­ter Al­be­rich (Igor Tsa­r­kov) be­drängt wird. Foto: © Nik Schölzel/​Mainfranken Thea­ter Würzburg

Das ist sze­nisch dann al­ler­dings schon das Höchs­te der Ge­füh­le. Denn in sei­ner Fo­kus­sie­rung auf den  Bö­se­wicht vom Dienst und des­sen über­reich be­bil­der­tes Kind­heits­trau­ma hat Re­gis­seur Tomo Su­gao lei­der über­se­hen, dass die Haupt­fi­gu­ren der „Göt­ter­däm­me­rung“ Brünn­hil­de und Sieg­fried sind. Sie ge­hen in sei­nem Kon­zept zwar nicht sang- und klang­los, aber den­noch un­ter, weil sie stets nur Kunst­fi­gu­ren sind und beim Be­trach­ter mit­nich­ten Em­pa­thie auslösen.

Brünn­hil­de (Ele­na Ba­tou­ko­va-Kerl) könn­te vom Kos­tüm her auch als Aida durch­ge­hen und Sieg­fried (Paul McNa­ma­ra) als lie­bens­wert tap­si­ger Bär. Foto: © Nik Schölzel/​Mainfranken Thea­ter Würzburg

Ge­zeigt wird eine heu­ti­ge, grell über­dreh­te Gi­bi­chun­gen­welt, in der der dop­pel­te Ha­gen – er ist als Er­wach­se­ner und als im­mer wie­der von Al­be­rich mal­trä­tier­tes Kind beim Mu­se­ums­be­such vor­han­den – der ein­zi­ge Nor­ma­lo zu sein scheint. Alle Nicht-Gi­bi­chun­gen sind im Wort­sinn mu­se­al und stam­men aus ei­ner Art gräm­lich-grau­em Wag­ner-Wachs­fi­gu­ren­ka­bi­nett, in dem es ganz schön hoch her­ge­hen kann.

Sieg­fried (Paul McNa­ma­ra, links) und Gun­ther (Kos­ma Ra­nuer, rechts) schlie­ßen Bluts­brü­der­schaft, Ha­gen (Gui­do Jent­jens, Mit­te) grinst dazu. Foto: Nik Schölzel/​Mainfranken Theater

Nicht nur die vom Kom­po­nis­ten vor­ge­se­he­nen Prot­ago­nis­ten und zen­tra­le Re­qui­si­ten wer­den aus­ge­stellt, son­dern fast alle Fi­gu­ren, die im „Ring“-Vierteiler vor­kom­men: Teils sieht man sie als  Ex­po­na­te auf der Dreh­büh­ne ro­tie­ren, teils stei­gen sie aus den Vi­tri­nen und mi­schen mit: Wo­tan ist da, so­gar die Welt­esche, die Rhein­töch­ter samt Gold­bar­ren, Faf­ner, Sieg­fried mit Not­hung und Brünn­hil­de, de­ren Fels­po­dest von dem ge­stürz­ten Pferd Gra­ne do­mi­niert wird.

Wenn die wehr­haf­te Wal­kü­re Brünn­hil­de (Ele­na Ba­tou­ko­va-Kerl) zu­langt, kom­men selbst ge­stan­de­ne Män­ner schnell aus dem Gleich­ge­wicht. Foto: Nik Schölzel/​Mainfranken Theater

Dank nam­haf­ter Fi­nanz­sprit­zen durch die Her­bert Hill­mann und Mar­got Mül­ler Stif­tung und den Ri­chard-Wag­ner-Ver­band Würz­burg konn­ten die Aus­stat­ter Paul Zol­ler (Büh­ne) und Ca­ro­la Vol­les (Kos­tü­me) aus dem Vol­len schöp­fen: Selbst der Büh­nen­vor­hang spielt mit und wird lei­der viel zu oft von den drei Nor­nen auf- und zu­ge­zo­gen, wäh­rend das Vor­hang­halb­rund des Gi­bi­chun­gen-Her­ren­zim­mers wie­der­um  zu oft, aber ohne sicht­ba­res Hilfs­per­so­nal rauf und run­ter geht.

Die Bil­der­flut nutzt sich ab und kul­mi­niert vor­her­seh­bar im 3. Akt, wenn Klein-Sieg­fried her­um­geis­ternd hin­zu­kommt. Da­mit ja kein Ge­ne­ra­tio­nen­kon­flikt aus­ge­las­sen wird, wol­len zur Trau­er­mu­sik im Schnell­durch­gang auch noch Sieg­frieds Le­bens­welt samt El­tern und Vor­ge­schich­te vor­ge­führt sein. Ja, es ist mords was los, nur lei­der lässt es ei­nen ziem­lich kalt! Die ein­zi­ge Rüh­rung hat bei mir der Brünn­hil­den-Schluss­ge­sang von Ele­na Ba­tou­ko­va-Kerl aus­ge­löst, die sich durch ihre sän­ge­ri­sche Aus­drucks­kraft vom ge­ge­be­nen, all­zu wehr­haf­ten Wal­kü­ren-Kli­schee eman­zi­pie­ren konnte.

Paul McNa­ma­ra als Sieg­fried hat zwar eine schö­ne und si­che­re Te­nor­stim­me, aber es ist dem Re­gis­seur nicht ge­lun­gen, ihm auch dar­stel­le­risch eine hel­di­sche Sta­tur zu ge­ben. Oder woll­te er aus­ge­rech­net über die­se Fi­gur be­to­nen, dass al­les nur Be­haup­tung ist? Sän­ger­dar­stel­le­risch rund­her­um über­zeu­gend ist Gui­do Jent­jens als Ha­gen mit ma­gi­scher Ges­te in der Al­be­rich-Sze­ne, auch die wei­te­ren So­lis­ten – al­les Rol­len­de­bü­tan­ten – und der von An­ton Trem­mel ein­stu­dier­te Chor ma­chen ihre Sa­che gut.

Ent­ge­gen der Te­tra­lo­gie-Lo­gik hat der neue „Ring“ im Main­fran­ken Thea­ter nicht mit dem Vor­abend, son­dern mit dem letz­ten Teil be­gon­nen. Und noch eine Be­son­der­heit: Auf­ge­führt wird nicht die für klei­ne­re Häu­ser gän­gi­ge Co­bur­ger Fas­sung, son­dern die Be­ar­bei­tung für Soli, Chor und mit­tel­gro­ßes Or­ches­ter von Eber­hard Klo­ke, der in den neun­zi­ger Jah­ren Ge­ne­ral­mu­sik­di­rek­tor in Nürn­berg war.

Sei­ne Ver­si­on spart ein Vier­tel der Blä­ser und die Hälf­te der Strei­cher ein, be­hält aber die für be­son­de­re Klang­far­ben not­wen­di­gen In­stru­men­te wie Wag­ner­tu­ba, Bass­trom­pe­te, Kon­tra­bass­po­sau­ne und Stier­horn bei. Hin­zu­kom­men In­stru­men­te, die Wag­ner noch nicht nutz­te oder nut­zen konn­te – wie Alt­flö­te, Ce­les­ta, He­ckel­phon, Kon­tra­bass­kla­ri­net­te, Kon­tra­fa­gott und Cimbasso.

Das Klang­bild wird da­durch ge­schärft und wirkt dunk­ler, bass­las­ti­ger, schrä­ger, das in­stru­men­ta­le Gleich­ge­wicht wird von den Strei­chern hör­bar zu­guns­ten der Blä­ser ver­scho­ben, was für mei­nen Ge­schmack lei­der zu sehr die wag­ne­ri­sche Hea­vy Me­tal-Schub­la­de be­dient. Bei der Pre­mie­re am Sonn­tag wa­ren die stark ge­for­der­ten Mu­si­ker des Phil­har­mo­ni­schen Or­ches­ters Würz­burg un­ter En­ri­co Cales­so viel­leicht noch zu ner­vös, um die  Vor­stel­lung sou­ve­rän zu meis­tern. Trotz­dem gro­ßer Bei­fall und nur we­ni­ge Buh­ru­fe für das Regieteam.

Be­such­te Pre­mie­re am 26. Mai, Erst­druck im Feuil­le­ton des Frän­ki­schen Tags. Wei­te­re Vor­stel­lun­gen am 30. Mai, am 9., 16., 20. und 30. Juni so­wie am 14 und 20. Juli. Ti­ckets un­ter Te­le­fon 00931/3908-124, zu­sätz­li­che In­fos auf der Home­page des Theaters

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