„Ach! Unsre Liebe…“: Cosima in ihrem Tribschener Seelenheim bekommt von R. einen langen Brief aus München und ist selig.
Dienstag 12ten [Dezember 1871] Brief des Reichenhaller Magistrat, sie wollen erfahren haben, daß man sich mit Bayreuth nicht verständigte, und bieten ihr Nest an, schicken eine Photographie, wo mit einer kleinen deutschen Fahne das Terrain angegeben ist, das sie schenken wollen![1] – Nachmittag Weihnachtsbesorgungen zu machen; mir zuerst meinen Brief[2] erobert! Himmlischer Brief!! R. ist mit Düffl. zufrieden und sitzt für Lenbach. Stolz, Glück, Sehnsucht und Demut im Herzen wandle ich dahin, ach! unsre Liebe! …
[1] Netter Versuch! Kommt aber immerhin nicht aus dem Nichts, waren doch Cosima von Bülow, deren Schwester Blandine Ollivier samt Gatten und Richard Wagner anno 1861 ebendort.
[2] Das ist jetzt Wagners erster langer Brief aus München, den er Cosima noch am Sonntag Abend geschrieben hat, im Bayerischen Hof. Hier einige Auszüge:
O Liebe, Selige! Bist du so ernst und still, wie ich Dich immer vor mir sehe? Schweigend, wehmuthvoll und arbeitsam? – Als ich heute aus dem Gasthof auf den „Promenadeplatze“ herauskam, ich diese Häuser und Menschen erblickte, – schrie ich laut auf: „Ach! und hier hat sie es aushalten müssen!!“ […]
Heute früh kam mir Dein vorsorglicher Gruss, Du Liebe, Allgegenwärtige! – Ich hatte gut geschlafen, wozu vermuthlich die ausgestandene Kälte viel beitrug. Franz [Mrazek] kam erst lange nachdem ich mich in’s Bette gelegt: er hatte mich immer noch an der Eisenbahn erwartet […]. Zu allererst kam aber an mein Bett noch – Lenbach (!!!) Ich sehe nun ein, dass ich meine List nicht länger mehr durchführen kann: Du trauest mir Armen so wenig zu, dass Du mir jedes gut Geheimniss zu nicht machst! –
Worum geht es? Um das Prinzip Geburtstagsüberraschung. Die Münchenreise dient in erster Linie dazu, dass Wagner Porträtsitzungen bei Lenbach absolviert, um am 25. Dezember Cosima ein neues Bild bescheren zu können. Bei der Sitzung am 10. Dezember (und auch tags darauf) sind sogar drei Künstler am Werk: neben Hausherrn Lenbach auch Arnold Böcklin und der junge Bildhauer Lorenz Gedon (letzterer wird zehn Jahre später an einer Büste arbeiten, die er erst nach Wagners Tod vollendet, während von Böcklin keine Wagner-Bildnisse überliefert sind):
Nun ging 2 Stunden lang die Jagd mit mir los, wurde bald da, bald dorthin, bald so bald anders gesetzt. […] da ging nun das Stellung-Rasen los; ich wurde völlig zerfleischt […]. Unter wahren Schreien der Verzückung brachten diese endlich die „allergöttlichste“ Stellung zurecht, und schwuren sich unter einander, dass diess das merkwürdigste Porträt auf der ganzen Welt würde.
Abends trifft Wagner Lorenz von Düfflipp, den königlich bayerischen Hofsekretär, um zu erfahren, ob König Ludwig II. die Bayreuth-Pläne unterstützt und wie es seiner Hoheit geht:
Uebrigens waren die Mittheilungen namentlich beruhigend über Gesundheit und Moralität, oft recht zart und innig. Sonderbar! Vielleicht – noch zu hoffen. – Ich bin recht ernstlich erheitert, da nun spät D. mich verlassen, und ich mich zum Briefe an Dich hinsetzte. – […] Jetzt will ich mich noch zu Dir träumen. Wo bist Du am Abend, wenn die Kinder zu Bett sind? Bleibst Du unten? Wohl nicht. Geh’, ich bitte, in das Orange Gemach! – Sei gut mir, und verzeihe mir in einem fort! – Sind die Kinder artig? Hat Fidi wieder nass gemacht? Du weisst doch, wir haben einen Sohn? Einen „Sohn“? Und gute, gute Töchter, von denen die eine endlich, endlich auch der Mutter ähnlich sieht! – Küsse sie alle, alle von mir, sie, die in Deinem theuren Mutterschoosse genährt sind! – Ich liebe Dich, wie gewiss noch keine geliebt wurde. Gesegnete, Geliebte, Wunderbare! – Leb wohl, schlaf’ wohl, sei ruhig göttlich, wie immer, wenn Du ganz in Deinem Seelenheim bist! – Sei gegrüsst! Sei geküsst und angebetet! Dein R.
Quellen: Cosima Wagner: Die Tagebücher: Band I, S. 1572. Digitale Bibliothek Band 107: Richard Wagner: Werke, Schriften und Briefe, S. 34733 (vgl. Cosima-Tagebücher 1, S. 467); Richard Wagner: Sämtliche Briefe, Band 23 (hg. v. Andreas Mielke).
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