Cosima ist etwas unwohl, freut sich aber über eine Depesche und eine weitere ausführliche Schilderung von den Porträtsitzungen R.’s bei Lenbach.
Mittwoch 13ten [Dezember 1871] Etwas unwohl, doch immer rüstig genug, um mit den Kindern zu arbeiten. Gegen Mittag Depesche von R., daß alles bewilligt und daß er sehr befriedigt nach Bayreuth heute abend verreist.[1] Ich telegraphiere einen Dank noch nach München. Einige Stunden später Brief R.’s vom Montag, der noch nichts von mir erhalten und mir viel von seinen Sitzungen im Lenbach’schen Atelier erzählt.
Hier der am 11. Dezember 1871 verfasste Brief Richard Wagners an Cosima in Auszügen:
Liebes Weib! Ich bin nicht froh: ich hätte heute einen Brief von Dir bekommen sollen: zweimal war ich selbst in dem Kramladen am Wittelsbacher Platz[2]: aber kein gutes Kosel grüsste mich. Dagegen tröstet mich Porges[3] – der sich en passant wieder zum Eudämon aufgeworfen hat: Briefe von Luzern kämen immer erst am dritten Tag an. Gut! Aber heute ist schon der dritte Tag dass ich von Dir fort bin. Oh! Die alte Noth! Die hätte doch nicht wiederkommen sollen, – besonders da es mit der „Ueberraschung“ nun doch aus ist! – […] Heute stand ich erst sehr spät auf; bald kam Lenbach[4] um meine schwarze Samtjacke zu examiniren. Um 11 Uhr ging der Atelier-Wahnsinn wieder los. Da hättest Du nun allerdings dazugehört! In einer Ecke ich als Modell: links vor mir in erster Linie Lenbach, hinter ihm Böcklin[5], genau in gleicher Ordnung, jeder vor seiner Staffelei; denn beide malen mich zugleich: rechts Gedon[6] (das neue plastische Genie) vor einem grossen Haut-relief-Medaillon (ich glaube so heisst es wohl) wo ich modellirt werde, wie aus einem „Ogive“[7] herausguckend. Diese dreie, nachdem sie mir insgesammt sich als die drei ersten Künstler der Zeit anempfohlen haben, beständig schreiend und schwörend, dass sie ihre besten Arbeiten mit meinem Porträt schaffen würden. Lenbach immer: „ausgezeichnet!“ – worauf ich unsre Anecdote mittheilte. Ewige Lobsprüche auf meine Ausdauer und ruhige Haltung. – Um ½ 2 Uhr mit Lenbach zum Restaurant. Auf Deine Gesundheit angestossen. Ein wenig bei mir ausgeruht: dann um 4 Uhr wieder zur Sitzung bei Licht: alle drei wüthend geschmiert und geklebt. Bis 6 Uhr. – Dann zu Schanzenbach[8]; angetroffen, gut empfangen, sehr warm und ernst Deiner gedacht, die ergebensten Grüsse an Dich zu berichten. Baireuth unbezweifelt, seit ich ihn belehrt dass es 17,000 Einwohner hat, nicht 7000, wie er glaubte (!). – Um 7 Uhr über Mrazek’s Magazin wieder nach Hause, ausgekleidet und correspondirt mit Fritzsch[9]. Telegraphirt an Heckel[10] (wegen Programm) an Neumann[11] und Brandt[12] wegen Feststellung der Zusammenkunft in Baireuth[13]. – Dann – an mein theures Weib geschrieben, auf „Elfenbeinpapier“, wovon ich Dir mitbringe. […] Dann habe ich Dir noch zu sagen, dass ich stets sehr vorsichtig auf gefährlichen Stellen, z. B. schon beim Hinabsteigen in das Dampfschiff[14] bin, weil ich immer an Dich denke, und dass ich für Dich recht vorsichtig sein müsste. Auch heute wieder beim Glatteis. – […] Und nun, tausend Grüsse und Küsse! Liebe, Liebe! Wenn ich nur erst Deinen Brief hätte! Du hast nun von mir schon so viele Lebenszeichen! – Sei innig an mein Herz gedrückt; küsse unsre theuren Lieben, Guten, Herrlichen von ihrem „Richard“!!
Sei gesegnet und über alles Denkbare geliebt!
[1] Telegramm vom 13.12.1871, aufgegeben um 11.15 Uhr, zugestellt um 11.55 Uhr: Alles genehmigt. Reise heute Abend halb sieben nach Baireuth. Feustel hier anwesend, begleitet mich. Tags über noch Sitzungen. Bin wohl und sehr befriedigt. Gruß und Segen den Kindern. Erwarte möglichst noch baierischer Hof Telegramm. Richard.
[2] Wagner benutzte als seine Münchner Postadresse die von Franz Mrazek, seinem früheren Hausdiener.
[3] Heinrich Porges (1837–1900), Chordirigent und Musikschriftsteller, ab 1863 Redakteur in München, später Chronist der Bühnenproben 1876 in Bayreuth, danach langjähriger musikalischer Assistent bei den Festspielen.
[4] Franz von Lenbach (1836–1904), Maler.
[5] Arnold Böcklin (1827–1901), Maler.
[6] Lorenz Gedon (1843–1883), Architekt und Bildhauer.
[7] Ogive = Spitzbogen (frz.).
[8] Oscar Schanzenbach (1820–1827), Arzt in München.
[9] Ernst Wilhelm Fritzsch (1840–1902), Musikalienhändler und Verleger in Leizpzig, bei dem Wagner einige seiner Broschüren herausgab.
[10] Emil Heckel, (1831–1903), Instrumenten- und Musikalienhändler und Verleger in Mannheim, Gründer des ersten Wagnervereins.
[11] Wilhelm Neumann, ab 1878 durch Adoption von Moerner (1826–1907), Architekt und königlicher Baudirektor in Berlin.
[12] Carl Brandt (1828–1881), Bühnentechniker in Darmstadt.
[13] Bayreuth-Aufenthalt von 14. bis 16. Dezember 1871 zu Besprechungen über den Bauplatz des Festspielhauses.
[14] Auf der Reise von Luzern nach München am 9. Dezember nahm Wagner zwischen Rorschach und Lindau das Dampfschiff.
Quellen: Cosima Wagner: Die Tagebücher: Band I, S. 1573. Digitale Bibliothek Band 107: Richard Wagner: Werke, Schriften und Briefe, S. 34734 (vgl. Cosima-Tagebücher 1, S. 467); Richard Wagner: Sämtliche Briefe, Band 23 (hg. v. Andreas Mielke).
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