Aus gegebenem Anlass ein paar Anmerkungen zur Bestuhlung des Festspielhauses, denn Sitz Nr. 21 aus einer der 30 Original-Parkettreihen von 1876 wurde gerade von Bamberg nach Berlin gebracht, zur Wagner-Ausstellung des Deutschen Historischen Museums.
Die Fachliteratur zur Bestuhlung des Festspielhauses ist überschaubar: Es gibt Heinrich Habels dicken Wälzer „Festspielhaus und Wahnfried“ zu geplanten und ausgeführten Bauten Richard Wagners aus dem Jahr 1985 und den von Markus Kiesel 2007 herausgegebenen Text-/Bildband „Das Richard Wagner Festspielhaus Bayreuth“, dazu eine nicht enden wollende, mündlich und schriftlich überlieferte Fülle von Zuschauerklagen, was die Enge, Härte und die für nicht wenige weibliche Rücken bescheuerte Rückenlehne der Stühle (auf Höhe der BH-Verschlüsse) betrifft.
Seit bald 150 Jahren ist auch die amphittheatralische Anordnung der Parkettsitzreihen nicht jedermanns Sache, weil sie Klaustrophobie auslösen kann. Kiesel nennt mit Theodor Fontane ein prominentes Beispiel. Der Schriftsteller war 1889 in Bayreuth, geriet vor der Aufführung in einen Wolkenbruch und erreichte den Zuschauerraum fast zu spät und mit hochgekrempelten Hosen. In einem Brief schilderte er das so:
Fünfzehnhundert Menschen drin, jeder Platz besetzt. Mir wird so sonderbar. Alle Türen geschlossen. In diesem Augenblicke wird es stockduster. […] Und nun geht ein Tubablasen los, als wären es die Posaunen des Letzten Gerichts. Mir wird immer sonderbarer, und als die Ouvertüre zu Ende geht, fühle ich deutlich: „Noch drei Minuten, und du fällst ohnmächtig oder tot vom Sitz.“ Also wieder raus. Ich war der letzte gewesen, der sich an vierzig Personen vorbei bis auf seinen Platz […] durchgedrängt hatte […] Und nun wieder ebenso zurück. Ich war halb ohnmächtig; […] die Sache genierte mich aufs äußerste.
Heinrich Habel gibt in seinem in der Reihe „100 Jahre Bayreuther Festspiele“ bei Prestel erschienenen Band genauere Auskunft über die Bestuhlung des Festspielhauses:
Alte Sitzpläne geben die Zahl der Sitzplätze in den 30 Reihen des Amphittheaters mit 1345 an; dazu kommt noch die zahlenmäßig nicht definierbare Kapazität der mobil zu bestuhlenden Fürstengalerie, die in neun Logen geteilt war; die darüberliegende Galerie habe etwa 200 Personen aufnehmen können. Die heutige Platzzahl beträgt einschließlich der Logen 1925, davon 1460 Plätze im Parkett. […] Das Gestühl von 1876 (gefertigt von der Möbelfabrik J. A. Eyßer, Bayreuth) hatte relativ breite Sitzflächen mit (in den Jahren vor der Erneuerung schon vielfach durchgesessenem) Rohrgeflecht und durchbrochene, aus Rahmen mit mittlerer Quersprosse gebildete Rückenlehnen. 1968 wurde es durch neue, leichte Klappstühle aus Eisen mit hölzernen Sitzen und Lehnen ersetzt.
Das heutige Holzgestühl mit schlichter Stoffbespannung wurde, wie Markus Kiesel schreibt, Ende der 1970er Jahre eingebaut. Da es auch jetzt im Parkett nur 30 Reihen gibt, kann jeder nachrechnen, dass Wolfgang Wagner, um mehr Karten verkaufen zu können, 115 zusätzliche Sitze ins Parkett gebracht hat, was leider bedeutet, dass nicht nur alle Stühle deutlich schmaler sind als die ursprünglichen, sondern an vielen Stellen immer wieder die Sichtlinien empfindlich gestört werden. Selbst auf Parkettplätzen der 1. Kategorie kann dann aus meiner Erfahrung, wenn Vordermann oder -frau besonders groß gewachsen sind, die Vorstellung schnell zur Qual werden. Ständig hin- und herrückende Besucher haben durchaus nicht immer ein Zappelphilipp-Syndrom, sondern sehen sonst einfach vom Geschehen auf der Bühne so gut wie gar nichts – trotz der teuren Karte.
Ob es Abhilfe gäbe, wenn die jetzigen Sitze tatsächlich ausgedient haben? Vermutlich auch nur partiell. Außerdem könnte das noch dauern, denn dann müsste definitiv die Anzahl der Stühle reduziert werden. Markus Kiesel stellte 2007 fest: „Nach neuester Versammlungsstättenverordnung müssen neue Stühle wesentlich breiter ausfallen und jedem Gast Armlehnen gewähren, was wiederum weniger Plätze bedeuten würde und die begehrten Karten noch begehrter machte.“
Und was sagt Richard Wagner dazu? Am besten, man schaut nach in den Tagebüchern von seiner zweiten Frau Cosima, die am 23. Juli 1878, zwei Jahre nach den ersten und vier Jahre vor den nächsten Festspielen, Folgendes festgehalten hat:
[…] wir fahren mit den Kindern nach Bürgerreuth, besuchen zuerst das Theater, große Freude daran, heitere Beachtung des Mobiliars seitens R. „Gott, diese Stühle, diese Spiegel! Und keiner ist eigentlich Besitzer.“ Ich: „Ja! Es ist wohl der einzige Besitz ohne Besitzer.“ Dann aber trauriger Rückblick auf die Aufführung, mit heftigem Akzent ruft er aus: „Ich möchte das nicht wieder durchmachen! Es war alles falsch! … Eine große Tätigkeit hat mich aufrechterhalten und während der Zeit alles Schlimme unbeachten [lassen], aber ich möchte es nicht wieder durchmachen.“ Doch wir freuen uns, daß das Haus da steht, wie ein ewiger Sonnenuntergang sieht es unter den Bäumen aus; seine schlichte Polychromie machte uns Freude. –
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