Der vierte und letzte Teil der architektonischen Bild-/Textbände zu Wagner von Markus Kiesel, Joachim Mildner und Dietmar Schuth ist famos gelungen.
Wer als Musikfreund lieber einen Bogen um Coffee Table Books macht, weil sie in dem Ruch stehen, eher ein dekoratives Wohnaccessoire als ein ernst zu nehmendes Buch zu sein, darf sich gerne mal vom Gegenteil überzeugen lassen: Mit „Prachtgemäuer“ ist dem Herausgeberteam um Markus Kiesel, Joachim Mildner und Dietmar Schuth ein Meisterwerk gelungen – bestimmt nicht nur, weil es den schweizerischen und venezianischen Wohnorten und Örtlichkeiten des sogenannten „Meisters“ gewidmet ist. Sondern weil dieser Text-/Bildband sich mit drei vorangegangenen Publikationen zu einem genuinen Vierteiler rundet, der Leben und Werk von Richard Wagner aus einem architektonischen Blickwinkel heraus faszinierend beleuchtet.
Begonnen wurde die laut Vorwort „bescheidene Tetralogie nachgeborener Enthusiasten“ 2007 mit dem inzwischen vergriffenen großformatigen Band „Das Richard Wagner Festspielhaus Bayreuth“, die logische Fortsetzung folgte 2016 mit „Wahnfried“, dem Wohnhaus Wagners in der Festspielstadt. Anschließend schwärmten die Autoren europaweit aus, um 2019 in „Wandrer heißt mich die Welt“ fast jede noch so kleine Unterkunft des gezwungenermaßen vielreisenden Dichterkomponisten aufzuspüren und zu dokumentieren. Zum Abschluss stehen jetzt in Wort und Bild chronologisch die zentralen Wagner-Orte Zürich, Luzern, Tribschen und Venedig im Fokus, unterstützt von Experten aus der Schweiz und Italien sowie von drei waschechten Wagnernachkommen (wobei das Waschechte, wie der Beitrag von Dagny Beidler spiegelt, in der Familie ein Problembär ist).
Auch wenn man das titelgebende Prachtgemäuer eigentlich nur für die venezianischen Palazzi gelten lassen wollte, die Wagner bei seinen Aufenthalten in der Lagunenstadt bewohnte, hat das aus diesem Wort sich schälende „Rheingold“-Zitat durchaus seine Richtigkeit: Wie seine Figur des Halbgotts Loge prüfte Wagner möglichst selbst, ob die jeweilige Götterburg, pardon: Wohnstatt, seinen hohen Ansprüchen genügen würde und betrieb stets aufs Neue großen ausstatterischen Aufwand, ohne das dafür notwendige Geld zu haben.
Selbst Wagnerianer, die die gängigen Quellen kennen, lesen sich immer wieder fest, weil die Fülle an unterhaltsamen Details und die großartige Qualität des vergleichenden, d.h. historischen und heutigen Bildmaterials einen schlichtweg in Bann schlägt. Die Fotos von Landschaften und Städten, Straßenzügen, Häusern, Gärten, Zimmern und Interieurs, Briefen, Plänen, Verträgen und Rechnungen, die Porträts, Gemälde und hervorgehobenen Zitate der Beteiligten schaffen bei den Lesern immer wieder die Illusion, fast ein Zeitzeuge und dabei gewesen zu sein.
Das gelingt sogar dort, wo die realen Lebensräume nicht mehr vorhanden sind. Zudem haben sich für dieses Buch auch Türen geöffnet, die sonst verschlossen sind. Wagners Tod in Venedig ist nicht das letzte Kapitel, denn er starb ohne Testament. Markus Kiesel präsentiert die Nachlassakten und dokumentiert, was im Laufe der Zeit aus dem Erbe, aus der Familie und dem Familienbetrieb Festspiele geworden ist. Ein Ende ist jedenfalls nicht abzusehen, auch wenn Loge das schon am „Rheingold“-Ende prophezeit.
Christian Bührle/Markus Kiesel/Joachim Mildner: Prachtgemäuer. Wagner-Orte in Zürich, Luzern, Tribschen und Venedig, ConBrio, Regensburg 2020, 288 S., über 500 meist farbige Abbildungen, 58,– Euro
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