Richard Wagner an Minna Planer, geschrieben am 5. November 1835 in Magdeburg, gesendet nach Berlin, wo sich Minna zeitweilig aufhielt.
Nein, Minna, es kann nicht sein, ich kann es nicht glauben, daß Du von mir gegangen wärest, um nicht wiederzukehren! – O dieser gestrige Tag! Schon um des Jammer’s dieses Tages willen, müßtest Du wissen, was Du zu thun hättest! – Wie mein Schatten wankte ich hier herum; – nichts hat mehr Bezug, nichts mehr Interesse für mich. Mein Streben, – die Oper – meine Geschäfte, – existiren für mich nicht mehr, wenn Du mich verläßt; denn Du warst ja der Brennpunkt –, in dem sich mein ganzes Streben u. Wirken dahier konzentrirten; – denn nur um Dich zu besitzen, übernahm ich es ja. Mein Kind, noch eine Woche wie diesen Tag, und ich habe mich verzehrt vor Gram u. Kummer; selbst auf der Straße konnte ich meinen Thränen nicht wehren; ach, und Deine Wohnung, – wenn ich sie betrete, zerknirscht mich der Schmerz. O Minna, Du machst mich elend, u. bedauerst mich nicht einmal! Mein Herz ist mir gebrochen, Alles liegt farblos u. freudenleer vor mir; – u. diese Zukunft; was soll ich noch hier? Was? – Kehrst Du mir nicht zurück, u. erfahre ich, daß Du Dich fest in Berlin gebunden hast, so muß ich das als den Treubruch unserer Liebe ansehen; u. dann hält mich auch kein Gott mehr hier; - ich bin dann fest entschlossen, einen Verzweiflungsstreich zu begehen; – wohin? – mir gleich viel, ich stürze mich dann mit Willen in meinen Untergang, – denn es ist unmöglich, daß Du mich noch lieben solltest, nachdem Du diese Thränen u. diese Bitten kalt von Dir gewiesen. – Ich werfe mich dann in ein ganz neues Leben, u. will darin untergehen – – O Minna, – Mädchen, – mit aller Inbrunst, deren die auf den höchsten Punkt gesteigerten Liebe fähig ist, sieh mich Deine Knie umfassen, u. wie ein Verzweifelnder von Todesangst Dich anflehen: – kehre zu mir zurück; – komm wieder! So lacht uns bald eine glückliche schöne Zukunft, – – kommst Du nicht, so ist mein Verderben gewiß! – O komm! Komm! – Höre diesmal nicht auf die Stimmen der Eitelkeit, – mögen sie von Deiner Mutter[1], oder wem sonst kommen; – höre die Stimme der Liebe! – – Und, warum muß ich denn darum anflehen? Könnte ich denn nicht in einem ganz anderen Tone sprechen? Könnte ich denn nicht auf das Recht der Liebe hin sagen: – Minna komm zurück, ich biete Dir hiermit förmlich u. nach dem Gebrauch meine Hand u. den Ring u. Du gehörst mir. Und, bei Gott, so will ich jetzt sprechen, u. mit Deiner Mutter ebenfalls so. Und jetzt höre: – Bethmann[2] war außer sich, u. wollte den Contrakt als gebrochen ansehen, – doch habe ich ihn schon insoweit umgestimmt, daß er Dir diesen widerrechtlichen Streich vergeben wird. Er hat mir bewiesen, daß Romeo u. Julia[3] noch nicht von ihm, sondern von Grabowsky[4] auf seine eigene Hand ausgetheilt sei; – u. wenn er auch selbst die Julia, die er nicht ganz für Dich geeignet hielt, an die Grabowsky[5] austheilen würde, so solltest Du doch jedenfalls das Gretchen[6] u. die Luzia[7] haben; – das sei gewiß. Im übrigen solle der Glöckner[8] wieder daran kommen, damit Du immer in Deinem vollen Rechte bliebest. Das sind seine eigenen Worte, u. er sprach sie in der Absicht, daß ich sie Dir mittheilen solle. – Und Minna, gesetzt auch, Du könntest Dich selbst mit hier nicht wieder einigen, – nun, gehörst Du denn mehr dem Theater als mir? Wir verloben uns, Du bleibst bei mir, u. der Rest dessen, was mir noch zu Gebote steht, soll uns so lange durchhelfen, bis uns eine sichere Stellung ganz vereinigt. – Minna, – – – mehr kann ich Dir nicht bieten, verschmähst Du dieß Alles, u. verläßt Du mich dennoch, so wirst Du wohl begreifen, daß ich dann nicht mehr an Deine Liebe glauben kann. – Gott sei mit Dir! Amen! –
Und damit bin ich zu Ende; – ich kann nichts mehr hervorbringen; – ich habe jetzt als Liebender u. als Mann gesprochen u. Alles wohl überlegt. Thue Du dieß auch u. sprich als Weib.
Dein
Bräutigam,
Richard Wagner.
[1] Planer, Johanna Christiana (1780–1856), geb. Meyer, verheiratet mit Gotthelf Planer, Mutter von Minna, Amalia, weiteren Töchtern und Söhnen sowie Ziehmutter von Minnas Tochter Natalie.
[2] Bethmann, Eduard Heinrich (1774–1857), Mitbegründer des Königstädtischen Theaters Berlin, 1834/36 Theaterdirektor in Magdeburg.
[3] „Romeo und Julia“, Tragödie von William Shakespeare.
[4] Grabowsky, Carl (1805–1883), Schauspieler, ab 1835/36 Oberregisseur am Magdeburger Theater, ab 1873 Intendant in Meiningen.
[5] Grabowsky, Louise Marianne (1816–1850), geb. Bessel, Schauspielerin und Ehefrau von Carl Grabowsky, 1835/36 am Magdeburger Theater im Rollenfach Liebhaberin und Soubrette, später in Berlin und Petersburg.
[6] vermutlich Rolle in Goethes „Faust“.
[7] Rolle konnte nicht ermittelt werden.
[8] Drama „Der Glöckner von Notre Dame“ frei nach Victor Hugo von Charlotte Birch-Pfeiffer.
Quellen: Digitale Bibliothek Band 107: Richard Wagner: Werke, Schriften und Briefe; Richard Wagner: Sämtliche Briefe, Bd. 1, Astrid Eberlein/Wolf Hobohm: Wie wird man ein Genie? Richard Wagner und Magdeburg, 2010; 1967; Eva Rieger: Minna und Richard Wagner. Stationen einer Liebe, 2003.
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