Martin Köhl berichtete für den Fränkischen Tag über den Vortrag von Kai Hinrich Müller am 19.11.2024 im KUFA-Saal und hat uns als Mitglied seinen Bericht für die Homepage zur Verfügung gestellt.
Die Vorträge des Richard-Wagner-Verbandes haben sich in Bamberg zu einer der exquisitesten Veranstaltungsreihen entwickelt. Das bestätigte sich jetzt erneut beim Besuch des Kölner Musikologen Kai Hinrich Müller, der über die Bemühungen um eine originalere Interpretationsweise der Werke Richard Wagners sprach. Der Referent war wissenschaftlicher Leiter des von Kent Nagano initiierten Projektes Wagner-Lesarten und ist die treibende Kraft hinter dem Projekt The Wagner Cycles der Dresdner Musikfestspiele, das unter der Leitung von Kent Nagano die historisch informierte Aufführung von Wagners Tetralogie in Prag, Amsterdam, Köln, Hamburg und Dresden realisiert.
Wenn man über Aufführungspraxis redet, dann denkt man eher an die Alte Musik, um deren adäquatere Darstellung seit Jahrzehnten gerungen wird. Doch längst kümmert sich die historisch-kritische Herangehensweise ebenso um die Musik des 19. Jahrhunderts, also auch um Richard Wagner. Und da geht es beileibe nicht nur um die Musik sondern ganz wesentlich auch um die Frage der korrekten Aussprache des Deutschen auf der Bühne, zu der Richard Wagner wesentliche Positionen vertreten hat. Was die Musik betrifft, so hat man erst kürzlich in Bamberg in einem Konzert der hiesigen Symphoniker erleben können, welchen Unterschied es schon macht, wenn man in einer Beethoven-Symphonie z.B. die modernen Pauken und Trompeten durch „historische“ ersetzt. Kai Hinrich Müller wies in seinen musikspezifischen Ausführungen darauf hin, dass allein durch die Verwendung von Darmsaiten bei den Streichern und von Querflöten aus Holz ein anderes Klangbild entsteht, das an Wärme und Breite gewinnt, dafür aber an Schärfe verliert.
Der Fokus des Referats lag jedoch auf Sprache und Gesang. Die Nennung in dieser Reihenfolge ist wichtig, denn für Wagner stand – ganz im Gegensatz zum italienischen Prinzip des „prima la musica, poi le parole“ – die Orientierung am Sprachduktus und an der richtigen Aussprache des Deutschen an oberster Stelle. Kai Hinrich Müller demonstrierte u.a. am Beispiel der Aussprache des ‚r‘ die seitherigen Wandlungen in der Artikulation. Dass dieser Buchstabe in der Bühnensprache grundsätzlich gerollt artikuliert wurde, mag Menschen aus fränkischen Gefilden freuen, doch die Intensität des gerollten ‚r‘ am Wortende, mittels einer historischen Rezitation des „Erlkönig“ zu Gehör gebracht, erstaunte doch sehr.
Wer aus dem Opernpublikum sich schon lange über scharfe Stimmtimbres und scheppernde Vibrati im Wagner-Fach ärgert, wird sich über die definitive Feststellung des Referenten freuen, dass für Wagner jegliches Vibrato tabu war. Ähnliches gilt für das Streicher-Vibrato. Den Praxistest haben diese neuen Wagner-Lesarten bereits 2023 mit dem „Rheingold“ in Dresden und mit der „Walküre“ in Prag Anfang 2024 bestanden. Der Vortrag des RWV gab viele Impulse dafür, sich auf neue Hörerfahrungen bei und mit Richard Wagner einzulassen.
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