Sehnen! Sehnen –

Nick-Mar­tin Ster­nitz­ke such­te und fand für sei­nen Vor­trag „Glotzt nicht so ro­man­tisch“ in der ci­ne­as­ti­schen Pop­kul­tur und dar­über hin­aus jede Men­ge Wagner.

Ja, die Be­zie­hungs­kis­ten bei den Fi­gu­ren Ri­chard Wag­ners! Das sind auf­fal­lend lan­ge und kom­pli­zier­te Ge­schich­ten von und mit min­des­tens zwei sei­ner Prot­ago­nis­ten, die in der Re­gel tra­gisch aus­ge­hen und – was nur Nicht-Opern­ken­ner über­ra­schen mag – bis in die Ge­gen­wart nach­wir­ken. In­wie­weit sich das auch in der so­ge­nann­ten Pop­kul­tur und spe­zi­ell in Ki­no­fil­men spie­gelt, hat uns Nick-Mar­tin Ster­nitz­ke bei sei­nem span­nen­den Mul­ti­me­dia­vor­trag im Kufa-Saal nähergebracht.

Dass er da­bei Ber­tolt Brechts „Glotzt nicht so ro­man­tisch“ zi­tier­te, kam nicht von un­ge­fähr. Gleich sein Auf­takt sorg­te für un­er­war­te­tes Ge­läch­ter. Denn die hier­zu­lan­de un­be­kann­te Screw­ball-Ko­mö­die „Hi Didd­le Didd­le“ aus dem Jahr 1943 mit Pola Ne­gri als Wag­ner­sän­ge­rin prä­sen­tiert nicht nur eine Hoch­zeit mit vie­len Hin­der­nis­sen und Ho­jo­to­hos: Das Gan­ze en­det mit dem „Tannhäuser“-Pilgerchor, den die Hoch­zeits­gäs­te der­art schreck­lich sin­gen, dass der auf der Ta­pe­te beim Pick­nick ver­ewig­te Wag­ner samt Fa­mi­lie und jau­len­den Hun­den pa­nisch flüchtet.

Wag­ner­ta­pe­te aus „Hi Didd­le Didd­le“ mit Adol­phe Men­jou – Screen­shot: Beer

Als Ster­nitz­ke an­merk­te, man kön­ne sich eine sol­che „Fledermaus“-Verbrüderungsorgie ohne wei­te­res bei  ei­nem Wag­ner­ver­bands-Tref­fen vor­stel­len, lös­te das zu­sätz­li­che Hei­ter­keit aus. Schließ­lich er­in­ner­ten sich ei­ni­ge im Pu­bli­kum an die RWV-Weih­nachts­fei­er 2023, bei der Spiel­uh­ren­vir­tuo­se Franz Trö­ger mit al­len Be­su­chern zwar kei­nen Wag­ner-Hit, aber das für die Wag­ners Kin­der kom­po­nier­te Weih­nachts­lied „Will­kom­men in Wahn­fried, du heil’ger Christ“ man darf sa­gen er­folg­reich einstudierte.

Nick-Mar­tin Ster­nitz­ke im Ku­fa­saal – Foto: Beer

Zu­rück zum Vor­trag, bei dem der Re­fe­rent wohl­tu­end auf er­wart­ba­re, mit Wag­ner­mu­sik bzw. Wag­ner­in­hal­ten ar­bei­ten­de Strei­fen wie „Apo­ka­lyp­se Now“ und „Me­lan­cho­lia“ ver­zich­te­te, es erst­mal vor lau­ter pop­kul­tu­rel­len Sieg­frie­den und Brünn­hil­den nur so wim­meln ließ und  aus­führ­lich am Bei­spiel von Quen­tin Ta­ran­ti­nos „Djan­go Un­chai­ned“ von 2013 durch­de­kli­nier­te. „In­ter­es­sant ist da­bei“, so Ster­nitz­ke, „dass und wie der Re­gis­seur in sei­ne sehr ame­ri­ka­ni­sche Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung ziem­lich deut­sche Mo­ti­ve einstreut.“

Wag­ners Grund­idee im „Ring“, die­ses „Ab­wra­cken“ be­stehen­der Ver­hält­nis­se, habe Ta­ran­ti­no in ei­nem Set­ting ver­wirk­licht, das denk­bar weit weg vom Sieg­fried-My­thos und des­sen iko­no­gra­fi­scher Welt ist. So fi­gu­rie­re der von Chris­toph Waltz dar­ge­stell­te Kopf­geld­jä­ger Dr. Schultz als eine Ver­si­on des Wan­de­rers, der sich sei­nen Die­ner Djan­go zum Hel­den (=Sieg­fried) her­an­zieht, des­sen Ques­te dar­in be­steht, sei­ne Frau Broom­hil­da (=Brünn­hil­de) aus der Skla­ve­rei des Plan­ta­gen­be­sit­zers (=Faf­ner, ali­as Leo­nar­do Di­Ca­prio!) zu be­frei­en, mit dem in die Luft ge­jag­ten Her­ren­haus als „Göt­ter­däm­me­rung“. An­ders als bei Wag­ner gibt es al­ler­dings ein Hap­py­end für das Paar.

Na­tür­lich wur­de und wer­de Wag­ner nicht nur in Be­zug auf die Fi­gu­ren und ihre Hand­lungs­mo­ti­ve ge­plün­dert, son­dern auch kon­kret im mu­si­ka­li­schen Sin­ne. Als mar­kan­tes Bei­spiel dien­te das Mu­si­cal „West Side Sto­ry“. Für den be­rühm­ten „Somewhere“-Song habe Kom­po­nist Leo­nard Bern­stein sich bei Wer­ken von Beet­ho­ven, Strauss und Tschai­kow­sky be­dient. Und in den Schluss sei­nes Mu­si­cals habe er mit dem „O hehrs­tes Wunder!“-Motiv von Sieg­lin­de so­gar das Ende der „Göt­ter­däm­me­rung“ ein­ge­baut: „Bern­stein lässt Wag­ners Hoff­nung“, so Ster­nitz­ke, „also auch auf die Ein­wan­de­rer­vier­tel New Yorks reg­nen – wie Hoff­nung für eine neue und bes­se­re Zukunft.“

Als wei­te­re Be­le­ge da­für, dass die Pop­kul­tur den Wag­ner-Kos­mos „als klin­gen­des Mau­so­le­um der tra­gisch Lie­ben­den“ ger­ne plün­dert, prä­sen­tier­te der noch jun­ge Mu­sik­jour­na­list, Mo­de­ra­tor und Il­lus­tra­tor un­ter an­de­rem Sze­nen aus Al­fred Hitch­cocks Psy­cho­thril­ler „Ver­ti­go“ (1958) und aus der quee­ren Lie­bes­ge­schich­te „Call Me by Your Name“ von Luca Gua­d­a­gni­no (2017).

Die am meis­ten tra­gi­schen „Tristan“-Bezüge zeig­ten sich in den Aus­schnit­ten aus Yu­kio Mishi­mas Kurz­film „Pa­trio­tism: The Rite of Love and De­ath“ aus dem Jahr 1966. Der auf ei­ner Kurz­ge­schich­te ba­sie­ren­de, von und mit dem Au­tor ver­film­te Schwarz­weiß­film dau­ert 28 Mi­nu­ten, ist mu­si­ka­lisch un­ter­legt mit Leo­pold Sto­kow­skis sym­pho­ni­scher Syn­the­se von Wag­ners „Tris­tan und Isol­de“ und kul­mi­niert in ei­nem aus na­tio­na­lis­ti­schen Grün­den ver­üb­ten ri­tua­li­sier­ten Doppelselbstmord.

Ent­spre­chend ernst der Epi­log des Vor­trags. Nick-Mar­tin Ster­nitz­ke be­kann­te: „In ei­ner Zeit, in der wir uns in der Wirk­lich­keit das in­ten­si­ve Lie­bes­ge­fühl ver­weh­ren, in der wir uns schnel­ler entlie­ben als verlie­ben, scheint die Sehn­sucht nach ro­man­ti­schen Lie­bes­kon­zep­ten enorm groß. In der Fik­ti­on – auf der Büh­ne und der Ki­no­lein­wand – fin­den wir die letz­ten ro­man­ti­schen Orte der Ge­gen­wart, in de­nen die­se Art der kom­pro­miss­lo­sen, auf­op­fern­den Lie­be noch lebt.“

Es gab viel Bei­fall im Ku­fa­saal, ge­mischt mit dem Be­dau­ern, dass der in­for­ma­ti­ve Vor­trag doch so schnell vor­bei war. Hans-Ge­org Wohn vom RWV-Vor­stand dank­te dem Re­fe­ren­ten mit ei­ner Fla­sche Wag­ner­wein. – Alle Fo­tos: Mo­ni­ka Beer