Die jüngste Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Land zur Generalsanierung des Festspielhauses bedeutet, dass die Bayreuther Festspiele endgültig Staatstheater werden – Ein Gast-Kommentar von Thomas Erbe
Eher still als laut, dafür endgültig, ist über die Bühne gegangen, was deutlich mehr ist als nur eine Zäsur bei den Bayreuther Festspielen: 150 Jahre nach dem Einzug der Familie Wagner in Wahnfried ist der in der Satzung festgelegte Stifterwille der Erben Richard Wagners bei der Richard-Wagner-Stiftung nahezu bedeutungslos. Die Stiftung, der es nach ihrer Satzung obliegt, den oder die Festspielleiter/in für die Festspiele zu bestellen bzw. ihm/ihr das Festspielhaus zu vermieten, ist 51 Jahre nach ihrer Gründung in Bezug auf die Festspiele nur noch eine leblose Hülle.
Herren im und über das Festspielhaus sind nun Bund und Land. Beide halten künftig zusammen 72 Prozent der Anteile an der Festspiel GmbH, die ihre Geschäftsführung selbst bestimmt. Der Stiftung und den Stifterfamilien Wagner, die Wahnfried wie auch das Festspielhaus in die Stiftung eingebracht haben, bleiben die Plätze am Zaun. Einzig Katharina Wagner darf dann noch im zweiten Glied künstlerische Verantwortung tragen, Geschäftsführerin ist sie ab 2025 nicht mehr. Dass sie selbst mit ihrer reduzierten Rolle zufrieden und erleichtert zu sein scheint, ändert an der Sache nichts.
Die Vorgeschichte zu dieser Entwicklung reicht lange zurück. Es war im Jahr 2000, als die Politik versuchte, den mit einem Vertrag auf Lebenszeit ausgestatteten Wolfgang Wagner vom Amt des Festspielleiters abzulösen. Doch jener – seinerzeit bereits 81-jährig – weigerte sich. Er wusste: Sein Vertrag ist auf Lebenszeit und wenn überhaupt, dann hat einzig der Stiftungsrat das Recht über die Festspielleitung und die Vermietung des Festspielhauses zu beschließen.
Für die Politik bringt die Haltung Wolfgang Wagners eine Niederlage, die auch nicht dadurch geheilt wird, dass er nach langem Drängen und viel Druck im Jahr 2008 den Weg zu seiner Nachfolge für Katharina – zunächst gemeinsam mit ihrer Halbschwester Eva, später als alleinige Festspielchefin – freimacht. Bei dieser Entscheidung hat die Politik des Landes wie des Bundes hier mitreden dürfen, die Entscheidung selbst jedoch war einzig Aufgabe des Stiftungsrates, in dem Bund und Land zwar die entscheidende Rolle spielen, aber an die Satzung der Stiftung gebunden sind.
Sanierung als Anlass für langen Mietvertrag
Ein paar Jahre später ergibt sich für Landes- wie Bundespolitik eine Chance, um richtigen Zugriff auf die Bayreuther Festspiele zu bekommen. Das Festspielhaus, Eigentümerin ist die Richard-Wagner-Stiftung, ist scheinbar einsturzgefährdet, nur eine Investition von 30 Millionen Euro könne es retten. Aber wer 30 Millionen für ein Gebäude bezahlt, der will auch bestimmen, wer Mieter sein soll. Und so wird 2014 – sechs Jahre nach Wolfgang Wagners Bühnenabschied und vier Jahre nach seinem Tod – nach langen Diskussionen und erheblichen Kontroversen ein neuer Mietvertrag geschlossen, gültig bis zum Jahr 2040. Er war die Bedingung von Bund und Freistaat, ohne ihn gab es keine 30 Millionen Euro, ohne die 30 Millionen Euro aber – so die Argumentation – sei der Einsturz des Hauses nicht zu verhindern.
Die Bedrohlichkeit wird für jeden sichtbar dargestellt: Das Festspielhaus wird im Herbst 2012 kurz vor Beginn des Richard-Wagner-Jubiläumsjahr zum 200. Geburtstag im Jahr 2013 mit Schutzplanen verhüllt. Zugleich nimmt sich die Bayreuther Festspiel GmbH (BFG) mit den Gesellschaftern Bund, Land, Freunde von Bayreuth und Stadt Bayreuth das ihr zustehende Recht, alleine darüber zu bestimmen, wer die Festspielleitung übernimmt.
Dabei heißt es in der Stiftungsurkunde § 8, Absatz 2 unter anderem: „Das Festspielhaus ist grundsätzlich an ein Mitglied, ggf. auch an mehrere Mitglieder der Familie Wagner oder auch an einen anderen Unternehmer zu vermieten, wenn ein Mitglied, ggf. auch mehrere Mitglieder der Familie Wagner die Festspiele leiten. Dies gilt nur dann nicht, wenn andere, besser geeignete Bewerber auftreten…“ Das so genannte „Königsrecht“ der Richard-Wagner-Stiftung über Festspielleitung und Mieter des Festspielhauses zu bestimmen, geht mit der Unterzeichnung der Finanzierungsvereinbarung über 30 Millionen Euro im Jahr 2013 und der Unterzeichnung des neuen Mietvertrages 2014 „verloren“.
Ein „verloren“ gegangenes Recht findet womöglich jemand wieder. Doch nun werden rund 170 Millionen Euro für die weitere Sanierung des Festspielhauses aufgerufen. Bei einer solchen Summe sorgt sich ein jeder, woher all das Geld kommen soll. Der Boden für den endgültigen Abschied von der Stiftung wie der Familien Wagner aus der Entscheidung über die Festspielleitung und den Mietvertrag ist bereitet.
Die Bedeutung der Richard-Wagner-Stiftung für die Festspiele geht mit einer „Verwaltungs-vereinbarung über die Finanzierung des Bauvorhabens Sanierung des Bayreuther Festspielhauses“ in einer außerordentlichen Sitzung des Stiftungsrates am 17. April 2024 ebenso „unter“ wie auch der Stifterwille der Familien Wagner nun sein Leben ausgehaucht hat. In der Verwaltungsvereinbarung heißt es zum Mietvertrag: „Insbesondere wird die Stiftung der GmbH das Festspielhaus langfristig vermieten und den derzeit bestehenden Mietvertrag verlängern.“
In Bayreuth wird künftig keine Stiftung, keine Stiftungssatzung, kein Stifterwille und keiner der Nachkommen aus den Stifterfamilien den Geldgebern Bund und Land mehr auf die Nerven gehen oder diese gar daran hindern können, ihren Willen durchzusetzen. Damit auch alles in die passende Form gebracht werden kann, ist zudem (zum wiederholten Male) eine Arbeitsgruppe zur Stiftungssatzung einberufen worden. So sitzen in Nürnberg am 4. April 2024 am Tisch: ein Vertreter des Bundes, einer des Landes und Bayreuths ehemaliger Oberbürgermeister Michael Hohl als Vertreter des Stammes Wolfgang Wagner. Ein offizieller Vertreter für den Stamm Wieland Wagner wie auch ein solcher für die Familie Lafferentz-Wagner sind nicht zugelassen, die Stadt Bayreuth hat an der Sitzung – obwohl geladen – nicht teilgenommen.
Eine Arbeitsgruppe interpretiert den Stifterwillen
Die Arbeitsgruppe hat ein vorläufiges Ergebnis gefunden: „Die Richard-Wagner-Stiftung ist berechtigt, einen Vorschlag für die Besetzung der Festspielleitung zu unterbreiten, der in das Findungsverfahren eingeht und von der Findungskommission zu würdigen ist … Die Letztentscheidung obliegt den zuständigen Gremien der BFG im Rahmen ihrer Verbandssouveränität.“ Damit auch wirklich klar ist, was gemeint ist, heißt es einige Zeilen später: „Die Entscheidung, wer die Festspiele künstlerisch leitet, ist die wesentliche Grundlage für den künstlerischen und wirtschaftlichen Unternehmenserfolg und damit von den zuständigen Gremien der BFG, die die Festspiele allein betreibt und finanziert, zu treffen.“ Der hier gezeigte Umgang mit dem Stifterwillen dürfte – über den Einzelfall Bayreuth hinaus – erhebliche Bedeutung für viele Stiftungen haben.
Katharina Wagner erhält ein Budget und innerhalb dessen bleibt ihr mit dem neuen Vertrag die Verantwortung für den künstlerischen Bereich. Eine solche Position gibt es an Stadttheatern wie an Staatstheatern, ein sonderliches „Bohei“ wird dort jedoch aus dieser Funktion üblicherweise nicht gemacht. Geschäftsführer wird künftig ein „General Manager“ sein, der nicht Festspielleiter oder Intendant heißen darf. Er ist es, „der die Festspiele organisatorisch und wirtschaftlich verantwortet“, (so die gemeinsame Pressemitteilung von Bund und Freistaat vom 13. Mai 2024). Er dürfte damit – auch wenn dies derzeit niemand formuliert – am Ende auch derjenige sein, der Katharina Wagner oder ihren Nachfolgern das Budget vorgibt.
Die Bayreuther Festspiele sind mit den vollzogenen Schritten nunmehr Staatstheater. Den Spielbetrieb führt eine GmbH durch, bei der Bayern und der Bund – nachdem die Gesellschaft der Freunde von Bayreuth aus finanziellen Gründen Anteile abgeben musste – jeweils 36 Prozent, also zusammen 72 Prozent, der Anteile haben. Für den Fall, dass sich Bund und Land einmal nicht einig sind, steht als Mehrheitsbeschafferin die Gesellschaft der Freunde mit ihrem 15-Prozent-Anteil zur Verfügung. Der Gesellschafter Stadt spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle, mit seinem 13-Prozent-Anteil kann er keinem der anderen Gesellschafter zur Mehrheit verhelfen.
Thomas Erbe, Jahrgang 1956, Magister Germanistik, Politologie und Rechtswissenschaft, hat bis zum Jahr 2011 unter anderem in Bayern und Bayreuth als Journalist gearbeitet. Hierbei hat er immer wieder einen Blick auf Bayreuth und die Festspiele geworfen. Er enthüllte beispielsweise im Jahr 2010, dass der langjährige Pressesprecher der Bayreuther Festspiele, Peter Emmerich, als IM für die Stasi gearbeitet hat. Erbe ist seit 1989 mit Brigitte Merk-Erbe verheiratet, die in den Jahren 2012 bis 2020 als erste Frau in Bayreuth das Amt der Oberbürgermeisterin bekleidet hat. Der hier wiedergegebene Text wurde zuerst am 26. Juli 2024 in der Festspielbeilage des in Bayreuth erscheinenden Nordbayerischen Kurier veröffentlicht.
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