Die rund vierzig Zuhörer, die am 17. April 2018 zu uns ins Hotel Bamberger Hof kamen, wissen es schon: Die Frauenfiguren der zweiten Reihe in Richard Wagners „Ring“-Tetralogie – die drei Nornen, die drei mal drei Walküren und die drei Rheintöchter – sind zumindest in Teilen ein noch ungehobener Schatz, auf den unsere Referentin Sabine Zurmühl erhellende Einblicke eröffnete. Und nicht nur das. Die feministische Autorin, Journalistin und Mediatorin überraschte eben auch damit, dass sie beispielsweise durchaus Mitgefühl mit Alberich zeigte – dem Nibelungenzwerg, der das verhängnisvolle „Ring“-Geschehen ins Rollen bringt. In der ersten „Rheingold“-Szene, so Zurmühl, „wird die traditionelle Gleichung des Theaters aufgerufen, in der die moralische Güte mit Schönheit, die verwerfliche Schurkigkeit mit Häßlichkeit einherzugehen scheint. Beide Formen sind aber bei Wagner jeweils schon durchdrungen von ihrem Gegenteil. Die hellen Rheintöchter können gemein sein und so nuttig, wie es das 19. Jahrhundert sich vorstellte, der geile Zwerg ist auch ein armer Hund, der aus nachvollziehbarer Kränkung und Demütigung zu seinem bösen Tun, dem Raub des Goldes gelangt.“
Doch zunächst ging es um die Dreier-Konstellation als Frauen-Konstellation, um die „Heilige unheilige Drei“, denn normalerweise sei die Dreifaltigkeit in unserem christlichen Raum männlich besetzt mit Gottvater, Sohn und dem Heiligen Geist: Diese „Dreiheit in Einem, das Gesamte als Summe dreier Verschiedenheiten“ habe es in vorchristlicher Zeit auch in weiblicher Form gegeben, häufig in einer zyklischen Reihenfolge, mit Menstruation und Gebärfähigkeit als Zuordnung. Die weiblichen Figurengruppen im „Ring“ seien alle Varianten von nicht gebärenden Frauen: „jung – im ‚Davor‘? – die Rheintöchter; alt – im ‚Danach‘? – die Nornen; tätig im Männerhandwerk und Kampf und entschlossen zur Jungfräulichkeit die Walküren.“ Wobei diese Gruppen keine dreieinigen Frauengestalten seien, die alle drei Aspekte in sich vereinten, sondern jeweils drei Repräsentantinnen eines Aspektes: „Damit erscheinen sie wie ein Echo, ein Doppelschatten, die eine hat immer noch zwei um sich, die ist wie sie, ihre Verstärkung, Stärkung. Die Dreierkonstellation der Frauen ist eine unter Gleichen, eine egalitäre.“
Zurück zu den Rheintöchtern, den heiteren, geschwisterlich verbundenen, alterslosen Wasserwesen, die sich selbst genug sind und den Auftrag haben, das Gold zu hüten: „Im Charakter der Rheintöchter“, so Zurmühl, „geht mit dem Hinzutreten Alberichs eine Veränderung vor sich, es wird ein erotisches Spiel in Gang gesetzt, das mich im Zuschauen immer doppelt schmerzt. Sie mutieren zu koketten, erotisch gemeinen Frauen, die im Rudel einen tapsigen, arglosen, in seiner Zuneigung aufrichtigen Mann vor sich hertreiben.“ In den meisten Inszenierungen gebärdeten sie sich plötzlich als Verführerinnen: „Eine Bewegungschoreographie, die sich längst überlebt haben sollte und eher zu den Präsentationen in Bars und bei Stipteasedarstellungen zu gehören scheint. Altmodisch, sexistisch, überflüssig.“
Alberich werde von ihnen, damit das Drama seinen Lauf nehmen könne, hin- und hergescheucht, verwirrt, verhöhnt, bis er in seiner Not die Liebe verfluche. „Die drei Rheintöchter, obwohl kluge Kinder ihres klugen Vaters, haben sich vertan. Dies Verhöhnen des Mannes durch eine Gruppe von Frauen ist eine kulturell vertraute Konnotation, angesiedelt häufig im Prostituierten-Milieu“. Nicht umsonst wurde die Szene schon nach der Münchner Uraufführung 1869 in einer Kritik als „Huren-Aquarium“ bezeichnet, wogegen der Opernsänger Heinrich Vogl, Ehemann einer der Sängerinnen, wegen „Ehrenbeleidigung seiner Frau“ Klage erhob.
Das Gegenprogramm seien die drei mal drei Walküren, die in keines unserer heutigen Frauenbilder passten: „Wir haben keine Sensorien, sie einzuschätzen. Sie sind in gewisser Weise ‚Mannweiber‘, zwischen den Geschlechtern, schon Frauen, aber nicht von Schönheit und angenehmer Erscheinung, sondern gewissermaßen eine Totenpolizei.“ Auch in stimmlicher Hinsicht seien sie außergewöhnlich, „indem sie ‚wild jauchzen‘ und eigentlich als Einzelne nicht zu fassen sind. Die Choreopraphie zeigt ein Da und schon wieder fort, ein hier oben, da hinten, wie ein gemeinsamer Wirbelwind, eine Gesamtbewegung aus einzelnen Personenbewegungen, also eigentlich etwas Unerhörtes.“ Nahe liege die Assoziation zu den Amazonen, den griechischen Kämpferinnen, die der Sage nach ihre rechte Brust verstümmelten, um den Bogen besser spannen zu können.
„Gerade mit der großen Emphase des 19. Jahrhunderts, die auch Wagner teilte, erschienen die Männerfrauen faszinierend und in der vorgestellten fernen matriarchalen Vergangenheit auch am möglichen Platze.“ Ihre freudige Nähe zum Tod habe etwas Abstoßendes, erinnere an die Geier, die die Toten beseitigen. Gleichzeitig könne es etwas Mütterliches bedeuten, sich um Tote zu kümmern: „Ein mütterliches Element, das aber durch die freudige Eile und das eher geschäftigsmäßige Tun der Walküren keinen Raum erhält. Ihre Beweglichkeit und auch ‚jauchzende Freude‘ bietet ein Frauenbild an, das körperliche Kraft mit göttlichen Fähigkeiten verbindet. Die inneren Hürden für solch ein Frauenbild sind in unserer Kultur nach wie vor hoch, auch wenn wir doch endlich durch Regisseurinnen auch deren Blick kennenlernen dürfen und vielleicht ebenso im Zuge der Metoo-Debatte nicht mehr gesamtgesellschaftlich mit Ablehnung starker Frauenbilder rechnen müssen.“
Die Nornen seien, anders als die drei Rheintöchter und die Walküren, namenlos, drei alte Frauen, die sich das Seil des Weltschicksals zuwerfen: „Ihre Szene erweckt den Eindruck einer gewissen Entrücktheit, als seien alle drei in einer Art Trance. Sie agieren mit dem Seil, ihrer Verbindung untereinander, mit der sie sich verständigen. Und auch hier, wie so häufig im ‚Ring‘, wird noch einmal die Geschichte der Welt, ihrer Welt, Wotans Welt, erzählt.“ Während die Dynamik des „Ring“-Geschehens durch die Entwicklungsgeschichte der Männer entstehe, wirkten die Frauengruppen oft als diejenigen, die die Dynamik hemmten, anhielten, mahnten: „Auch die Nornen betrachten und werten, bestimmten früher über die Schicksale, immerhin, sind aber zur Zeit des ‚Rings‘ bereits entkräftet und orientierungslos. Sie konstatieren das Ende, lassen die frühere Kraft und Weisheit ahnen, die ihnen aber jetzt nicht mehr zur Verfügung stehen.“
Als Dankeschön für ihre erhellenden Ausführungen bekam Sabine Zurmühl, die nun schon zum dritten Mal einen Vortrag eigens für den Richard-Wagner-Verband Bamberg konzipiert hat und inzwischen auch Mitglied unseres Verbands ist, keinen „tortissima“-Wagnerkopf, sondern eine von Maria Theresia Worch neu geschaffene Cosima aus Schokolade. Und für die begeisterten Zuhörer gab es als Dreingabe mit „Leuchtende Liebe, lachender Tod“ das erste Wagner-Buch von Sabine Zurmühl, in dem sie sich intensiv mit Brünnhilde befasst und das 1984 im Frauenbuchverlag erschienen ist.
Ähnliche Beiträge
- Weibliche Trinität im „Ring“ 21. März 2018
- „Wie Wotan sitzen wir auf der Titanic“ 8. Januar 2019
- Zurmühl bei der Buch Wien 25. November 2022
- Ein Leben voller Widersprüche 22. Juni 2015
- Wer war Cosima Wagner? 6. August 2024