„Diskurs Bayreuth“ heißt seit 2017 eine neue Veranstaltungsreihe im Rahmenprogramm der Bayreuther Festspiele. Mit der Uraufführung einer Oper, dem hochkarätig besetzten Symposium und Konzerten bietet sie durchgängig und teils kostenlos hohes Niveau.
„Verbote (in) der Kunst“ lautet heuer das Thema von „Diskurs Bayreuth“, dem festspieleigenen Rahmenprogramm, das erstmals – wie berichtet – auch eine Uraufführung beinhaltete. Im offiziellen Grußwort zum dreitägigen Symposium am letzten Wochenende hätte normalerweise ein festspielleitender Wagner-Nachkomme betont, dass das Frageverbot gerade bei „Lohengrin“ werkimmanent sei. In der Festspielstadt ist aber nicht mehr alles normal: Am Rande des Hügels geschieht künstlerisch Überraschendes und gänzlich Unerwartetes.
Denn Holger von Berg, der geschäftsführende Direktor der Bayreuther Festspiele, der Festspielleiterin Katharina Wagner inzwischen auch im Festspielorganigramm gleichgestellt ist, hat zur Eröffnung des Symposiums eine kleine Rede gehalten, die dadurch auffällt, dass sie politisch ist und sich eben nicht nur im „Hier gilt’s der Kunst“-Bezirk verschanzt. Das hat es von Seiten der Festspielspitze seit fast siebzig Jahren nicht mehr gegeben.
Er spricht China an, „mit einer Riesenliste an Dissidenten“, Russland mit dem Regisseur Kirill Serebrennikov, und auch die Türkei. „Das ist nur die Spitze des Eisbergs der Unfreiheit“, sagt von Berg. „Wir müssen uns bewusst werden, wie gut es uns geht. Wir müssen unsere Errungenschaften mehr verteidigen als wir das tun. Nur gelebte Demokratie hat eine Zukunft.“ Und indem er daran erinnert, dass Richard Wagner, als dessen „Lohengrin“ uraufgeführt wurde, im Exil lebte und auf der Flucht auf ihm helfende Menschen angewiesen war, fordert er bei der Diskussion um Flüchtlinge Demut ein.
Die aktuell zuständigen Politiker waren nicht in Haus Wahnfried, in dessen Saal das dreitägige Symposium mit Statements, Gesprächen und Publikumsdiskussionen stattfand. Dafür renommierte und sinnig ausgewählte Vertreter aus Kunst, Kultur und Wissenschaft – und mit dem früheren Bundesinnenminister Gerhart Baum wenigstens einer, der als Politiker Verantwortung getragen hat und menschrechts- und kulturpolitisch nach wie vor aktiv ist.
Mit der Komponistin, Kuratorin und GEMA-Aufsichtsrätin Charlotte Seither als Gegenpart steckte Baum kritisch das Feld der Kunstfreiheit im Rahmen des Grundgesetzes und in Zeiten der Globalisierung ab. Schon zuvor hatten der Schriftsteller Feridun Zaimoglu, der das Libretto für die Diskurs-Uraufführung 2019 schreibt, und die Dramaturgin und Autorin Thea Dorn, deren dramatisiertes Buch „Die deutsche Seele“ im Herbst 2016 im E.T.A.-Hoffmann-Theater hinreißend uraufgeführt wurde, sich Gedanken über Nutzen und Nachteil von Provokation für die Kunst gemacht.
Dass dabei sowohl die Metoo-Debatte als auch der Echo-Skandal vorkamen, liegt auf der Hand. Und leitete zwanglos über zu dem inzwischen 93 Jahre jungen Lyriker Eugen Gomringer aus Rehau, dessen 1951 geschriebenes, nie als Provokation gedachtes Gedicht „Avenidas“ als Kunst im öffentlichen Raum plötzlich für Schlagzeilen sorgte – ein Vorgang, den der Kultur- und Sozialhistoriker Lucian Hölscher empfindsam auf politische Korrektheit hin abklopfte.
Über Denkverbote im Wagner-Kult des Nationalsozialismus sprach der Literaturwissenschaftler Hans Rudolf Vaget, dem zufolge die heutige Wagnerforschung noch immer das abarbeitet, was die 1938 gegründete Bayreuther Forschungsstätte neben ihren wahnhaften Vorhaben betrieb. Das Frageverbot in der modernen Gesellschaft untersuchte die Historikerin Ute Frevert, Einblicke in die Niederungen realer Verbote im deutschen und amerikanischen Musikleben gab der Musikjournalist, Autor und Operndirektor Bernd Feuchtner. Zum Ende folgte eine Auseinandersetzung mit der am 24. Juli im ehemaligen Reichshof-Kino uraufgeführten Oper „der verschwundene hochzeiter“ von Klaus Lang mit Verantwortlichen der Produktion und der Musikjournalistin Eleonore Büning.
Der von der Dramaturgin und Kuratorin Marie Luise Maintz klug konzipierte und kompetent organisierte „Diskurs Bayreuth“ schloss mit Konzerten, in denen Künstler verbotene Musik aus drei Jahrhunderten aufführten – im Saal jenen Hauses, das, wie Museumsdirektor Sven Friedrich betonte, ein ideologiegeschichtlich kontaminierter Ort sei. Wovon nicht zuletzt das Buch zum ersten Symposium der Diskurs-Reihe zeugt, das pünktlich zum Festspielbeginn mit dem Titel „Sündenfall der Künste? – Richard Wagner, der Nationalsozialismus und die Folgen“ im Bärenreiter Verlag erschienen ist, unter anderem mit einem Beitrag des früheren Symphoniker-Intendanten Wolfgang Fink (221 S., 38,95 €).
Bleibt noch anzumerken, dass die hochrangigen Diskurs-Veranstaltungen teils kostenlos, teils zu ausgesprochen moderaten Eintrittspreisen geboten werden. Das ist ein bemerkenswertes Angebot der Bayreuther Festspiele, versucht es doch endlich nicht nur wie in der Vergangenheit immer wieder mal punktuell, sondern auf Dauer angelegt, die kritische geistige Auseinandersetzung mit Wagners Werk und Wirkung.
Erstveröffentlichung (leicht gekürzt) im Feuilleton des Fränkischen Tags vom 8. August 2018
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