Wer den katalanischen Regisseur Calixto Bieito kennt – er hat hierzulande unter anderem schon mehrfach und überzeugend am Münchner Nationaltheater und einen mir unvergesslichen „Parsifal“ in Stuttgart inszeniert –, der weiß, dass man den Begriff „vom Feinsten“ aus der Überschrift nicht wörtlich nehmen darf. Bieito gilt als Regie-Berserker, der auf der Bühne mit Blut, Schweiß, Tränen und sonstigen Ausscheidungen nur so um sich wirft und kaum einen Gewaltexzess auslässt. Was bei Turandot garantiert nicht ganz daneben sein kann, denn die aus einem Märchen entlehnte Prinzessin lässt ihre Freier enthaupten, falls sie ihre Rätselfragen nicht lösen. In der Nürnberger Inszenierung ist Turandot (in jeder Hinsicht eine Wucht: Rachael Tovey) die Chefin einer Firma im heutigen China, in der Puppen für den Versand nach Europa verpackt werden. Calaf (mehr Revoluzzer, weniger Schmalz: Vincent Wolfsteiner) und die ihn liebende Liù (superb: Hrachuhì Bassénz) gehören zur Arbeiterschaft im Blaumann, die von Uniformierten gerne auch brutal in Schach gehalten werden, darunter Ping, Pang und Pong. Letztere werfen sich in ihrer Freizeit – man gönnt sich ja sonst nichts – in Frauenkleider (Kostüme: Ingo Krügler), um Frauen zu schänden. So karg das Bühnenbild von Rebecca Ringst auch wirkt, es trifft präzise und spielt traumwandlerisch sogar mit Asiatischem. Gespielt wird die Fragment-Version der letzten Puccini-Oper, der Chor ist nicht nur sängerisch ständig im Einsatz, der pausenlose, in jeder Sekunde bannende, weil tiefgehende Assoziationen weckende Abend endet mit Liùs Tod und letztlich mit einem Triumph der Liebe. Und die Musik? Sie profitiert davon, dass der Regisseur seine Finger in die Wunden der Figuren und ihrer ausbeuterischen Gesellschaft legt. „Turandot“ erstickt hier nicht in Ausstattungspomp und Orchesterkulinarik, sondern geht unter der Leitung von Peter Tilling musikalisch raffiniert ans Eingemachte. Was will man mehr? (Weitere Vorstellungen am 5., 10. und 23. November sowie am 11., 19. und 30. Dezember)
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