Opernwunder in Chemnitz II

Mit „Lo­hen­grin“ ge­lingt schon wie­der ein Wun­der in Chem­nitz. Die Neu­in­sze­nie­rung von Joan An­ton Rechi un­ter Guil­ler­mo Gar­cía Cal­vo ist  nach dem „Ring“ ein wei­te­rer Meilenstein.

Mir­ko Rosch­kow­ski als Lo­hen­grin und Cor­ne­lia Ptas­sek als Elsa – Alle Sze­nen­fo­tos: Nas­ser Hashemi

„Ant­wer­pen. Ers­te Hälf­te des 10. Jahr­hun­derts“: So be­schreibt Ri­chard Wag­ner den Schau­platz der „Lohengrin“-Handlung. Im Opern­haus Chem­nitz kann man ab so­fort er­le­ben, dass die vom Kom­po­nis­ten aus­drück­lich so be­zeich­ne­te ro­man­ti­sche Oper auch auf ei­nem post­apo­ka­lyp­ti­schen Rum­mel­platz bes­tens funk­tio­niert. Aus­ge­dacht hat sich das der aus An­dor­ra stam­men­de Re­gis­seur Joan An­ton Rechi. Dass er sein Me­tier vor al­lem bei sei­nem ka­ta­la­ni­schen Kol­le­gen Ca­lix­to Biei­to ge­lernt hat, ist nicht zu über­se­hen. Und es ist kein Zu­fall, dass im Pro­gramm­heft Cormack Mc­Car­thy zi­tiert wird, des­sen dys­to­pi­scher Ro­man „Die Stra­ße“ schon Bie­tos un­ver­gess­li­che Stutt­gar­ter „Parsifal“-Inszenierung in­spi­riert hat.

Tat­säch­lich ist die al­ler Vo­ka­le ver­lus­tig ge­gan­ge­ne und auch sonst her­un­ter­ge­kom­me­ne WN­DRLND-Ach­ter­bahn, die Se­bas­ti­an Ell­rich teils real auf die Dreh­büh­ne ge­stemmt, teils auf den Ho­ri­zont ge­malt hat, ein vor­züg­li­cher Spiel­raum, in dem das Schei­tern der „Lohengrin“-Figuren sich mit ein­dring­lich-trau­ri­ger Lo­gik und äs­the­tisch stim­mig (Licht: Hol­ger Rein­ke) voll­zieht – Müll­ei­mer, Sitz­bank, Peit­schen­lam­pe und  Well­blech­ver­hau in­klu­si­ve. Selbst der Schwan ist hier nicht fehl am Platz. Im Ge­gen­teil: Wo, wenn nicht als kit­schi­ger Wa­gen ei­nes Fahr­ge­schäfts, pass­te er sonst noch hin? Dass das Ge­sche­hen um den er­hoff­ten Heils­brin­ger in ei­ner ori­en­tie­rungs­los ge­wor­de­nen, ge­schlos­se­nen Ge­sell­schaft ab­läuft, spie­geln die auf­wän­di­gen Kos­tü­me von Mer­cè Pa­lo­ma: al­les Leu­te vom Rum­mel­platz, in All­tags- und his­to­ri­sie­ren­der Arbeitskleidung.

Kö­nig Hein­rich mit Blech­kro­ne schlägt ger­ne mit ei­nem Stahl­rohr zu, sei­ne Epau­let­ten und Or­den  glän­zen ge­nau­so falsch wie die Glit­zer­wes­ten der Kon­tra­hen­ten Lo­hen­grin und Tel­ra­mund. De­ren Kampf ge­lingt ohne Pein­lich­keit, weil die Büh­ne den ei­gent­li­chen Schau­platz ein­fach weg­dreht und man in ers­ter Li­nie das ge­bannt mit­ge­hen­de Schau­stel­ler­volk sieht. Auch die  Auf­trit­te der Ge­folgs­leu­te Tel­ra­munds wir­ken durch das wan­dern­de Drum­her­um end­lich ein­mal nicht auf­ge­setzt. Die Braut­bett­sze­ne im aus der Ver­sen­kung ge­fah­re­nen Schlaf­ge­mach mit den fast blind ge­wor­de­nen und zer­bors­te­nen Spie­geln ist schlicht­weg ein Coup. Wie das Gan­ze en­det, darf  nicht ver­ra­ten wer­den. Nur so viel: Man soll­te ge­nau hin­schau­en, wie Lo­hen­grin sich von Elsa verabschiedet.

Das al­les ist in sich schlüs­sig, auch wenn es – das Fra­ge­ver­bot gilt ja nur für Elsa! – durch­aus Fra­gen auf­wirft. Aber sind die nicht so­wie­so span­nen­der als ba­na­le Ant­wor­ten? Die Per­so­nen­füh­rung ist  prä­zi­se, viel­sa­gend und so­li­de durch­cho­reo­gra­phiert, gibt den So­lis­ten und Chö­ren an den pas­sen­den Stel­len die Mög­lich­keit, sich sän­ger­dar­stel­le­risch ins bes­te Licht zu rü­cken. Von der Pre­mie­ren-Be­set­zung ha­ben mich vor al­lem der Dort­mun­der Te­nor Mir­ko Rosch­kow­ski als in je­der Hin­sicht ein­neh­men­der Lo­hen­grin und Sté­pha­nie Müt­her als fu­rio­se Or­trud be­geis­tert. Cor­ne­lia Ptas­sek ist eine be­rüh­ren­de Elsa, Ma­gnus Piontek trumpft als Kö­nig Hein­rich, Mar­tin Bár­ta als Tel­ra­mund auf. Der sze­nisch auf­ge­wer­te­te Heer­ru­fer von An­dre­as Bein­hau­er ist eine Wucht, die Chö­re in Chem­nitz sind das ebenfalls.

Das liegt na­tür­lich auch an Ge­ne­ral­mu­sik­di­rek­tor Guil­ler­mo Gar­cía Cal­vo, der sich schon beim hoch­ge­lob­ten „Ring“ in Chem­nitz als die we­sent­li­che Kon­stan­te er­wie­sen hat und wei­ter er­weist. Er ist ein ganz un­eit­ler Wag­ner­di­ri­gent, der die Ro­bert-Schu­mann-Phil­har­mo­nie nicht nur in den Vor­spie­len zart oder dra­ma­tisch auf­blü­hen lässt, den Sän­gern aber mit gro­ßer Über­sicht, Klar­heit und Ein­füh­lung jene Si­cher­heit gibt, die Höchst­leis­tun­gen erst mög­lich macht. Für Wag­ner­freun­de ist Chem­nitz ein­mal mehr ein Muss!

Kür­ze­re Druck­ver­si­on im Feuil­le­ton des Frän­ki­schen Tags. Wei­te­re Vor­stel­lun­gen mit teils al­ter­nie­ren­den Be­set­zun­gen am 22. Fe­bru­ar, 15. März, 5. April und 10. Mai. Kar­ten-Te­le­fon 0371/4000-430, In­fos auf der Home­page des Thea­ters Chem­nitz. Der RWV-Bam­berg ver­an­stal­tet eine Ta­ges­fahrt zur Auf­füh­rung am 5. April 2020.

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