Künstler-Ehepaare von diesem Kaliber sind selten. Umso größer die Freude, dass Daphne Wagner, Schauspielerin und Wagner-Urenkelin, und ihr Mann Tilman Spengler, Schriftsteller, Sinologe, Rezitator und Redenschreiber, zu einer kulinarischen Lesung nach Bamberg kommen: Am 24. Oktober um 19.30 Uhr werden die beiden auf Einladung des Richard-Wagner-Verbands und der Volkshochschule Bamberg Stadt im großen VHS-Saal Geschichten aus ihrem längst vergriffenen Buch Zu Gast bei Wagner vortragen – und damit auch die natürlich im Raum stehende Frage klären, ob bei den Wagners in Wahnfried Met getrunken wurde und wenn ja, ob gar aus Hörnern. Der Eintritt ist frei.
Als der reich bebilderte Band über Kunst, Kultur und Kulinarisches in der Villa Wahnfried vor fünfzehn Jahren in der Collection Rolf Heyne erschien, gab es in Bayreuth, München, Salzburg und andernorts Buchpräsentationen der besonderen Art mit echten Kostproben, (was übrigens auch für die Bamberger Lesung jetzt zumindest angedacht war). Dass der mit dreiunddreißig Rezepten und stimmigen Fotos von Barbara Lutterbeck angereicherte Band ein Erfolg werden würde, lag schon bei der Buchpremiere auf der Hand: Peter Jonas, der damalige Münchner Staatsopernintendant, stellte nämlich fest, dass die beiden Autoren mit ihrem Werk »Wagner aus dem schweren Bett der Musikgeschichte« befreit hätten.
Die Leichtigkeit der Anekdoten um Lieblingsspeisen und Abneigungen, Trinksitten und Diätvorschriften bei den Wagners versteht sich von selbst. Denn Tilman Spengler hält sich zwar an das, was seine Wagnerfamilienfrau Daphne nach durchaus aufwändigen Recherchen eingebracht hat, würzt sie aber mit seinem ureigenen Hintergrundwissen und Erzählcharme, mit Erfindungslust und einer großen Prise Ironie. Mehr soll vorab nicht verraten werden. Nur so viel: Daphne Wagner und Tilman Spengler (Foto: Angelika Lehne-Döring) bringen einen kleinen Restbestand an Büchern mit, die sie nach der Lesung auch gerne zum Sonderpreis abgeben und mit Autogrammen versehen.
Daphne Wagner ist als jüngste Tochter von Wieland und Gertrud Wagner am 13. November 1946 in Bayreuth geboren und in Wahnfried aufgewachsen. Wie ihre Geschwister Iris, Wolf-Siegfried (genannt Wummi) und Nike ging sie zunächst in Bayreuth in die Schule und folgte ihnen später ins Internat, zuletzt in Stein am Chiemsee. 1966 trat sie ihre Schauspielausbildung an der Max-Reinhardt-Schule in Berlin an, schon im Jahr darauf debütierte sie am Wiener Theater in der Josefstadt in Anouilhs Stück Die Probe als Hortense an der Seite von Karlheinz Böhm als Graf und Ursula Lingen als Gräfin. 1969/70 folgte ihr erstes festes Engagement am Theater Essen.
Schon bei ihrer nächsten Station, am Deutschen Schauspielhaus Hamburg, traf sie 1971 auf den Regisseur Dieter Dorn, der prägend für ihre künstlerische Laufbahn und für fünfzehn Jahre auch ihr Lebensgefährte werden sollte. Beim ersten gemeinsamen Stück, der Lysistrata von Aristophanes, spielte sie nicht nur eine Böotin, sondern sprang auch gleich als Regieassistentin ein. Was sie eigentlich gerne öfter gemacht hätte, aber damals galt noch – sie hat es sogar schriftlich von einem renommierten Theaterleiter –: Keine Frauen ans Regiepult! (Das späte Regiedebüt sollte ihr erst 2013 beschieden sein, als sie im letztmalig von ihrer Schwester Nike geleiteten Kunstfest Weimar einsprang für das Stück Nieder mit Wagner!) Nach weiteren Engagements in Basel und am Schillertheater Berlin war sie von 1977 bis 2008, zeitweise auch als Pressesprecherin, Ensemblemitglied der Münchner Kammerspiele.
Neben vielen Auftritten in Dorn-Inszenierungen und Uraufführungen, darunter in Stücken von Botho Strauß als K in Kalldeway, Farce und als Frau mit Hut in Schlusschor, als Andromache in Shakespeares Troilus und Cressida sowie als Tod/Morgane le Fay/Orgeluse in Tankred Dorsts Merlin oder Das wüste Land, spielte sie auch unter Regisseuren wie Alexander Lang, Volker Schlöndorff, Anselm Weber, Ernst Wendt, Robert Wilson, George Tabori und Peter Zadek und Jossi Wieler, mit dem sie das Stück Das Fest des Lamms von Leonora Carrington realisierte, der Geliebten des Surrealisten Max Ernst, über die sie gemeinsam mit Tilman Spengler in New York auch einen Dokumentarfilm gedreht hat.
Apropos Film: Wenn man ihre vielen Bühnenauftritte bedenkt, ist die Liste ihrer Kino- und Fernsehfilme beeindruckend lang. Ihr erster wichtiger Spielfilm war »Der starke Ferdinand« von Alexander Kluge 1976, es folgten als erster Mehrteiler 1982 die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull unter Bernhard Sinkel und 1983 der auch als Fernsehserie gezeigte Wagner-Film von Tony Palmer mit Richard Burton in der Titelrolle und ihr als Fürstin Metternich. Zu den TV-Serien, bei denen sie in Hauptrollen mitwirkte, zählen Unsere Hagenbecks im ZDF (38 Episoden in drei Staffeln) und Wildbach in der ARD (52 Episoden in vier Staffeln). Der jüngste Film, den sie gedreht hat, heißt Mittelreich von und mit Josef Bierbichler und kommt im nächsten März in die Kinos und später ins Fernsehen. In dieser bayerischen Familien-Nachkriegs-Wirtschaftswundersaga spielt sie die Baronin Fricka von Wähnen – und an ihrer Seite debütiert Tilman Spengler als Baron Frido von Wähnen.
Dass Daphne Wagner auch als Rezitatorin bekannt ist, sei hier nur als biografische Randnotiz vermerkt: Sie wurde benannt nach einer Lieblingsoper ihrer Mutter Gertrud, ihr Patenonkel war Richard Strauss junior, der gleichnamige Enkel des Komponisten, und unter anderem mit ihm bestritt sie viele Lesungen von Briefen und Texten von Wagner, Cosima und Strauss. Und noch was Familiäres: Nach dem Tod ihrer ältesten Schwester Iris 2014 übernahm sie deren Platz im Stiftungsrat der Richard-Wagner-Stiftung und versuchte streitbar, aber vergeblich noch zu verhindern, dass die Familie dort nichts mehr zu sagen hat.
Tilman Spengler ist am 2. März 1947 in Oberhausen geboren und ist im besten Sinne des Wortes ein Polyhistor von hohen Graden, kurz ein universalgebildeter und universalbegabter Künstler, Wissenschaftler und Publizist, der sich durch sein literarisches Schaffen, durch seine eloquenten Streifzüge nicht nur durch die Weltliteratur, sondern insbesondere auch durch China, sowie auch als Redenschreiber unter anderem für den jetzigen Bundespräsidenten Frank Walter Steinmeier einen Namen gemacht hat. Er studierte in Heidelberg, Taipeh und München Sinologie, Politikwissenschaft und neuere Geschichte, promovierte 1972 und arbeitete zunächst als Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Sozialwissenschaften und als Mitarbeiter des Philosophen Carl Friedrich von Weizsäcker sowie als Journalist für namhafte Publikationen und von 1980 bis 2008 als Mitherausgeber der Zeitschrift Kursbuch.
Mit seiner 1991 erschienenen Romanbiographie Lenins Hirn, die in einundzwanzig Sprachen übersetzt wurde, erlangte er als Schriftsteller auf Anhieb auch internationalen Ruhm, mit der Leidensgeschichte in 24 Wirbeln Wenn Männer sich verheben 1996 gelang ihm ebenfalls ein Bestseller. 1999 bekam er als Mainzer Stadtschreiber die erste öffentliche Auszeichnung, 2003 folgte der Ernst-Hoferichter-Preis, 2008 der Literaturpreis der Stadt München.
Über sein letztes, 2015 erschienenes Buch – Waghalsiger Versuch, in der Luft zu kleben, eine Hommage an den Maler Jörg Immendorff – schreibt Spenglers Schriftstellerkollege Sten Nadolny: „Ein großes Vergnügen. Der Text liest sich amüsant wie wundersam sirrender Nonsense, gibt aber auch die Gewissheit, dass Immendorff und die Situationen genau getroffen sind, sozusagen mit genauer Zärtlichkeit. Ich stelle mir immer wieder Immendorff selbst vor, wie er die Texte liest und ins Kichern gerät, weil er sich völlig wahrgenommen und gleichzeitig auf die Schippe genommen fühlt.“ Der nächste Spengler-Titel ist längst in Arbeit und soll zur Buchmesse 2018 herauskommen: ein Buch über eine große Kunstfälschung des 20. Jahrhunderts.
Dass er, wie Harald Eggebrecht zu seinem 70. Geburtstag in der Süddeutschen Zeitung vermerkte, ein „begnadeter Stegreiferzähler“ ist, wissen alle, die seine Sendereihe Klassiker der Weltliteratur kennen und lieben, mit der es auf einhunderteins Folgen brachte: „Man denke nur“, so Eggebrecht, „an seine Fernsehauftritte bei BR Alpha, wo er nie den Faden verlor, an dem er den Zuschauer durchs Labyrinth der Weltliteratur geleitete, vorbei an all den Behinderungen durch seltsam pseudogemütliche Studioeinrichtungen und unvermittelte Kameraeinstellungswechsel.“ Und noch ein Geburtstagsartikel sei dankbar zitiert. Mark Siemons schrieb in der FAZ über sein Romandebüt: „Vieles, was diesen Schriftsteller ausmacht, schießt da zusammen: die Leichtigkeit des Tons, der sich so sehr vom dräuenden Sound seines Großonkels Oswald abhebt, und eine Ironie, die so sanft und unaufgeregt daherkommt, dass sie manchmal die Schärfe der Analyse übersehen lässt, auf der sie beruht.“
Laut Siemons gehört zu seinen beglückenden Erfahrungen in China die Fähigkeit der Leute dort, sich Begriffe wie Bälle zuzuwerfen. Was sich wunderbar ins Biografische fügt, denn Spengler hat vor zehn Jahren in eine Familie eingeheiratet, in der man nicht mit Begriffen, aber spielerisch-virtuos mit Wagner-Zitaten umzugehen weiß. Dass er seine langjährige Lebenspartnerin Daphne Wagner übrigens erst an seinem 60. Geburtstag geheiratet hat, ist, wie er in einem Interview erzählte, aus einem banalen Grund geschehen: „Sie hat vorher einfach nicht eingewilligt und sie wusste nicht, was sie mir zum Geburtstag schenken soll.“
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